Digitalisierung soll helfen CO2-Emissionen zu reduzieren.

Wohin geht es in Digitalien? Folge 20: Digitalisierung als Anschub für die Energiewende

Digitalisierung scheint für eine Reduktion der CO2-Emissionen unverzichtbar. Tatsächlich gibt es bereits eine ganze Reihe von vielversprechenden Ansätzen. Insbesondere die künstliche Intelligenz spielt hier eine wichtige Rolle. In dieser Folge unserer Serie „Wohin geht es in Digitalien?“ stellen wir einige beispielhafte Projekte vor – werfen aber auch einen Blick auf die Kehrseite der Medaille. 

Aufmacherbild: Geralt via Pixabay

Es ist ein ambitioniertes Ziel. Bis zum Jahr 2030 sollen in der EU die CO2-Emissionen um 40 Prozent reduziert werden. An der Industrie soll dieses Ziel aber nicht scheitern. Im Gegenteil: Wie eine Bitkom-Umfrage vom Sommer 2022 ergab, wollen 45 Prozent de Unternehmen bereits ab 2030 klimaneutral sein, weitere 37 Prozent bis 2040. Sie würden damit die politischen Vorgaben sogar deutlich übererfüllen.

Industrie setzt auf digitale Strategien zur Reduktion von CO2-Emissionen

Die Digitalisierung spielt dabei eine überaus wichtige Rolle. Alle Unternehmen, die eine konkrete Nachhaltigkeitsstrategie verfolgen (52 Prozent) oder planen (37 Prozent), integrieren darin digitale Technologien. Bei einem Viertel (24 Prozent) sind digitale Technologien für die Umsetzung der Nachhaltigkeitsziele sogar entscheidend. Bei 27 Prozent haben sie „große Bedeutung“ und bei 42 Prozent „eher große Bedeutung“ – in Summe also 93 Prozent.

45 Prozent der Unternehmen wollen bereits ab 2030 klimaneutral sein, weitere 37 Prozent bis 2040.
45 Prozent der Unternehmen wollen bereits ab 2030 klimaneutral sein, weitere 37 Prozent bis 2040. Grafilk: Bitkom

Während also die Industrie in Sachen Nachhaltigkeit an der Spitze voranschreitet, scheint die Politik eher hinterherzuhinken – etwa beim Ausbau der Stromnetze. Die entsprechende Politik ist vielen Forschern immer noch zu unflexibel ausgelegt. Sie orientiere sich nicht genug an den Herausforderungen, die die erneuerbaren Energien mit sich bringen.

Stromnetze müssen flexibler werden

Severin Beucker, Mitgründer des Borderstep Instituts für Innovation und Nachhaltigkeit, fordert deshalb auf der Nachhaltigkeitsplattform Reset.org ein komplettes Umdenken: „Das ist ein relativ neuer Gedanke, also dass man sagt, dass die Verbraucher nicht mehr linear einfach weiter verbrauchen, sondern dass sie dann mehr verbrauchen, wenn mehr Strom vorhanden ist, und weniger, wenn weniger Strom erzeugt, wird“. Konkret kann das zum Beispiel bedeuten, dass das Elektroauto nur dann geladen wird, wenn genügend Energie aus erneuerbaren Quellen zur Verfügung steht. „Das ist Digitalisierung, denn alles, was wir dazu brauchen, ist fein verteilte Intelligenz. Ich muss wissen, wann wo wieviel Energie gebraucht wird und wann wo viel Energie erzeugt wird. Und diesen Bedarf und die Produktion, die muss ich aufeinander abstimmen,“ sagt Beucker.

Vernetzung hilft bei Reduktion von CO2-Emissionen

Wie das aussehen könnte, wird derzeit in Kaiserslautern ausprobiert. Dort entsteht auf dem alten Gelände der Pfaff Nähmaschinenfabrik ein neues Quartier, in dem modernste Verbrauchsoptimierungen getestet werden. Dazu sind alle Stromverbraucher und -erzeuger, wie die in den Gebäuden integrierten Solarpanels, über ein Smart Grid verbunden. Ein digitales Energiesparmanagement-System verteilt Wärme und Strom und optimiert den Verbrauch.

Auf dem alten Gelände der Pfaff Nähmaschinenfabrik in Kaiserslautern entsteht ein neues Quartier, in dem modernste Verbrauchsoptimierungen ausprobiert werden
Auf dem alten Gelände der Pfaff Nähmaschinenfabrik in Kaiserslautern entsteht ein neues Quartier, in dem modernste Verbrauchsoptimierungen ausprobiert werden. Bild: Pfaff Reallabor

Was in Kaiserslautern im Kleinen ausprobiert wird, soll auch im Großen funktionieren. Dazu gilt es, als Basis zunächst einmal der Bedarf der Netzbetreiber zu ermitteln. Nur so lässt sich die Infrastruktur wie Leitungen oder Umspannwerke optimieren – etwa auch für den Bedarf von Energiegemeinschaften. Das Open-Source-Projekt PowerTAC nutzt hierfür eine KI, die  entsprechende Simulationen ausführt. PowerTAC schlägt so eine Schneise in den komplexen Dschungel des Energiemarktes.

KI-Systeme optimieren Energieeinsatz und CO2-Emissionen

Auch das Start-up  Etalytics setzt auf eine KI. Das Ziel hier ist es, Energiesparpotentiale etwa in Produktionsbetrieben oder auch in Heiz- und Kühlsystemen zu entdecken. In einem ersten Schritt analysiert das System dazu,  wo und wofür die Energie genutzt wird. Die KI von Etalytics erhebt dafür laufend die Betriebsdaten und leitet eine Strategie ab, die den Energieverbrauch minimiert.

Als Pilotprojekt haben die Darmstädter den Energieverbrauch des Rechenzentrums von Equinix in Frankfurt optimiert. Solche Rechenzentren haben einen enormen Energiebedarf für die Kühlung. Dazu dienen Kühltürme, Kältemaschinen, Pumpen und Wärmetauscher. Etalytics hat diese Komponenten digital vernetzt und ein Modell erstellt, über das sich der Energieverbrauch optimieren und die Anlage automatisiert steuern lässt. „Rechenzentren können mit unserer Software bis zu 50 Prozent der Energie zur Kühlung der Server einsparen“, sagt Niclas Panten, CEO von Etalytics.

Equinix kann dank Optimierung durch Etalytics bis zu 50 Prozent Kühlenergie sparen – und damit CO2-Emissionen verringern.
Equinix kann dank Optimierung durch Etalytics bis zu 50 Prozent Kühlenergie sparen – und damit CO2-Emissionen verringern. Screenshot: Equinix

KI hilft der Kreislaufwirtschaft auf die Sprünge

Künstliche Intelligenz soll auch die Weiterverwertung von Produkten am Ende ihrer Lebenszeit erleichtern und verbessern . Derzeit ist die Identifizierung der einzelnen Komponenten schwierig. Es sind meist wenig Informationen dazu bekannt. Das Projekt EIBA versucht, eine KI mit den verfügbaren Informationen sowie Sensordaten zu trainieren und so eine schnelle Identifikation und Zustandsbewertung des Altteils zu bekommen. So lassen sich etwa Teile, die zur Aufarbeitung geeignet sind, besser erkennen, und viele Tonnen CO2-Emissionen für die Neuproduktion sparen.  Derzeit laufen Tests an Fahrzeug-Teilen wie Startern, in Zukunft ist eine Ausweitung der Anwendung auch auf andere Branchen geplant.

Das Forschungsprojekt DIBIchain versucht dem Informationsmangel schon bei der Produktion zu begegnen. Die Idee dabei ist, dass entlang der Lieferkette alle Beteiligten Daten über ein Produkt verschlüsselt in einer Blockchain ablegen können. Am Ende des Lebenszyklus lassen sich diese Daten dann verwenden, um die Teile und ihre Inhaltsstoffe zu identifizieren und einem Recycling oder einer Wiederverwendung zuzuführen.

KI aus dem Baukasten hilft Gemeinden und Kommunen

KIs scheinen eine Wunderwaffe zu sein, wenn es darum geht, Energie zu sparen und den CO2-Fußabdruck zu verkleinern. Allerdings sind sie auch teuer. Eine KI zu entwickeln kann mehrere hunderttausend Euro kosten – zuviel für viele kleine Kommunen und Unternehmen. Das britische Unternehmen UrbanTide geht dieses Problem an, indem es eine Art Baukasten fürs KIs anbietet, die bereits auf  eine ganze Reihe von Spezialanwendungen trainiert sind. Basis aller dieser Anwendungen ist uSmart – eine KI, die auch Daten aus älteren Systemen verdauen und visualisieren kann. uZero etwa soll Gemeinden einen Überblick über die lokale Energiearmut gegeben. Als energiearm gelten Bürger, wenn die Kosten für Heizen und Strom sie unter die Armutsgrenze zwingen. Der Grund sind oft schlecht isolierte, ältere Häuser. uZero will einen Überblick über die Einsparpotenziale, aber auch über die Sanierungskosten geben, und so helfen, knappe Zuschüsse optimal einzusetzen.

uMove ist eine weitere Anwendung von UrbanTide. Sie kann Verkehrsströme sichtbar machen und so den Verwaltungen Problemfälle aufzeigen – etwa wenn der Radverkehr sich nicht so entwickelt, wie erhofft.

UrbanTide bietet KI aus dem Baukasten, um CO2-Emissionen zu reduzieren.
UrbanTide bietet KI aus dem Baukasten, um CO2-Emissionen zu reduzieren. Screenshot: UrbanTide

Auch in Deutschland sind KIs an Verkehrsprojekten beteiligt. So soll etwa das Projekt KI4LSA dabei helfen, Straßenlärm und Luftverschmutzung  zu verringern und die Menschen schneller an das Ziel zu bringen. Mittel zum Zweck ist eine intelligente Ampelsteuerung. Sensoren liefern dabei Daten über Verkehrsströme, die KI  kann den Verkehrsfluss in Echtzeit optimieren und auch aus der Vergangenheit lernen.

Digitalisierung ist kein Selbstläufer

Bei aller Euphorie: Man sollte nie aus den Augen verlieren, dass die Digitalisierung  in Sachen Energiewende kein Selbstläufer ist. So verbrauchten etwa im Jahr 2021 alle Rechenzentren in Deutschland 17 Mrd. Kilowattstunden Strom. Schon die Entwicklung von KI gilt als energieintensiv.  Nach der Abschätzung einer Forschergruppe an der Universität Berkeley verbraucht allein das Training von GPT-3, dem  Sprachverarbeitungsmodell der amerikanischen Non-Profit-Organisation OpenAI, rund 1.300 Megawattstunden – das Äquivalent von 550 Tonnen Kohlendioxid.

Auch die Herstellung der für die Digitalisierung benötigten Hardware verursacht CO2-Emisionen. So fielen bei der Produktion eines konventionellen Stromzählers etwa 8 kg CO2 an. Die neuen Smartmeter hingegen verursachen mehr als die elffachen Emissionen, nämlich 91 kg. Politik und Wirtschaft sollten daher genau darauf achten, wo sie die Digitalisierung einsetzen.

Schon heute macht die Herstellung und Nutzung digitaler Geräte und Dienstleistungen 8 bis 10 Prozent der weltweiten Stromnachfrage aus – je nach Prognose rechnen die Experten bis 2030 mit einem weiteren nutzungsbedingten Anstieg um 50 bis 80 Prozent.

Bei der digitalen Energiewende gilt es zudem auch, die Verbraucher mit ins Boot zu holen. Doch das scheint nur mit fixen Vorgaben erfolgreich zu sein. Auch vor der Corona-Krise gab es bereits sehr leistungsfähige Videokonferenzsysteme. Aber erst die Reise- und Ausgehbeschränkungen von Corona haben ihnen zum Durchbruch verholfen.

 

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