Die Energiewende funktioniert nur mit Hilfe von vielen dezentralen Kraftwerken. Die Integration dieser Einheiten ist jedoch ohne Digitalisierung nicht zu bewältigen. In dieser Folge unserer Serie „Wohin geht es in Digitalien?“ betrachten wir, welche Herausforderungen dies mit sich bringt und wo die Entwicklung geeigneter Lösungen aktuell steht.
Aufmacherbild: Pixabay via Pexels
Aus Schaden wird man klug. Dieses alte Sprichwort gilt nun auch für manchen Energieversorger. Allzu lang vertraute die Branche auf fossile Energieträger und große zentrale Kraftwerke. Nun hat vor allem der Krieg in der Ukraine vieles in Frage gestellt – aber damit vielleicht auch der Energiewende einen Anschub gegeben.
Die Entwicklung hat Fahrt aufgenommen. Ziel sind kleine, dezentrale Einheiten, die Wind, Solarenergie oder auch nachwachsende Rohstoffe in Strom umwandeln. Stefan Dohler, Vorstandsvorsitzender des Oldenburger Energieversorgers EWE AG sagt: „Lange Zeit haben etwa hundert große Kraftwerke die Netze mit Energie versorgt. Das wird sich in Zukunft ändern. Es wird Millionen von Kraftwerken geben – in Form von Windparks oder Solaranlagen gibt es sie bereits heute.“
Teure Energiewende
Vor allem bei der Solarenergie sind auch die privaten Häuslebauer gefragt. Systeme, wie etwa Picea von Home Power Solutions (HPS) propagieren dabei sogar Autarkie. Das System speichert die überschüssige Energie einer PV-Anlage in Form von Wasserstoff. Dazu zerlegt ein Elektrolyseur Wasser in seine Bestandteile. Nachts, wenn die Solaranlage keinen Strom liefert, verwandelt eine Brennstoffzelle die so zwischengespeicherte Energie wieder in elektrischen Strom. Eine zusätzliche Batterie sorgt für eine Kurzzeitpufferung. Soviel Unabhängigkeit hat aber ihren Preis: Eine solche Anlage kann bis zu 145.000 Euro kosten, hinzukommen etwa 500 Euro jährlich für einen Service-Vertrag.
Das wird vielen Häuslebauern erstmal zu viel sein. Sie setzen deshalb meist auf eine gewöhnliche Solaranlage, den überschüssigen Strom speisen sie ins Netz ein. Und bedienen sich umgekehrt dort, wenn die eigene Anlage nicht genug Strom liefert. Die Salzburg AG hat dafür sogar ein eigenes Produkt entwickelt: das Solar-Depot. Statt den Strom zu verkaufen, kann man ihn hier in einer „virtuellen Batterie“ speichern und bei Bedarf bis zu 80 Prozent des selbsterzeugten Solarstroms wieder abrufen.
Ohne Daten geht gar nichts
Ein Grundproblem der Stromerzeugung per Photovoltaik liegt darin, dass ihr Output stark von den Witterungsbedingungen abhängt und im Tagesverlauf erheblichen Schwankungen unterliegt. Mit steigender Anzahl von PV-Anlagen wird es für Stromnetzbetreiber deshalb immer schwieriger, ihr System im Gleichgewicht zu halten. Abhilfe soll die Digitalisierung bringen. Die dafür notwendigen Daten liefern unter anderem Smartmeter. Diese werden in Deutschland derzeit vor allem an Großverbraucher ausgeliefert und auch in Österreich hat der Austausch begonnen.
Beim Endverbraucher sind diese neuen Stromzähler nicht unbedingt beliebt. Manche fürchten Missbrauch und sehen in ihnen ein neues Mittel zur Überwachung. Der österreichische Thriller-Autor Marc Elsberg hat dieses Angst-Szeanrio bereits 2012 in seinem Roman „Blackout“ verarbeitet: Durch gezielte Manipulation der Zähler und durch Einschleusen von Schadsoftware in die Steuerungen der Stromnetze kommt es zu einem totalen Blackout – und in der Folge zu chaotischen Zuständen in Europa.
Auch wenn Elsberg sich hier einige dramaturgische Freiheiten herausgenommen hat: Die von ihm geschilderte Gefahr ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Doch allzu viele Sorgen sollte man darum sich nicht machen. So unternehmen Stromnetzbetreiber wie auch Telekommunikationsanbieter größte Anstrengungen, um kritische Infrastrukturen wie Kraftwerke, Übertragungsnetze oder Großspeicher vor IT-Angriffen zu schützen. Der Einsatz als sicher zertifizierter Software und Hardware ist in diesem Bereich Pflicht.
Energiewende: auch die Wissenschaft tastet sich voran
Ein Projekt, das sich unter anderem mit der Entwicklung solcher Systeme beschäftigt hat, ist das Ende 2020 abgeschlossene enera. Es war eines von fünf Unterprogrammen, die das Bundesministeriums für Wirtschaft und Energie (BMWi) im Rahmen des Programms SINTEG („Schaufenster intelligente Energie – Digitale Agenda für die Energiewende“) gefördert hat. Mit 31 Konsortialpartnern, hunderten Beteiligten und einem Budget von mehr als 170 Millionen Euro war es in Deutschland eines der am umfangreichsten geförderte Projekte im Kontext der Energiewende.
Im Zuge von enera wurde etwa versucht, mit vorhandenen Daten aus dem Verteilernetz sowie Wetter- und Wartungsdaten eine Vorhersage der Netzlast zu errechnen. Sie sollte auch dann belastbar bleiben, wenn die Daten vieler kleinerer Anlagen nicht verfügbar sind. Eine solche Voraussage ist wichtig, um die Netze stabil zu halten. Für die Erstellung der Prognosen setzten die Forschenden unter anderem auch neuronale Netze ein.
Das erfreuliche Ergebnis ist ein Proof-of-Concept, das bestätigt, dass eine Künstliche Intelligenz auch unabhängig von Netztopologie und Kenntnis der unterliegenden Erzeugungsstruktur brauchbare Vorhersagen errechnen kann. Damit ist eine wichtige Grundlage für eine einfache Integration von dezentralen Kraftwerken gelegt.
Kleine Schritte, große Wirkung
Nicht immer bleibt die Forschungsarbeit aber so theoretisch. Enera hat auch versucht, Menschen in verschiedenen Musterregionen in Nord-Deutschland mit einzubeziehen und bei ihnen ein Bewusstsein fürs Energiesparen zu entwickeln. Das Werkzeug hierzu ist eine einfache Webapplikation, die den Gemeinden den Stromverbrauch auf Liegenschaftsebene anzeigt. Die Daten stammen von einem smarten Auslesemodul (SAM), das per Magnet auf die optische Schnittstelle von digitalen Stromzählern aufgesetzt wird. Dieses Modul kann die Daten theoretisch alle 2 Sekunden auslesen und dann per WLAN übertragen. In der Praxis wurde ein 15-Minuten-Intervall gewählt.
Mehr als 20 Kommunen in der Modellregion sagten ihre Teilnahme an dem Pilotprojekt zu. Zum Teil mussten dafür vorher noch alte Zähler ausgetauscht und neue WLAN-Netze bereitgestellt werden. Ein Onlineportal, auf das nur berechtigte Mitarbeiter der jeweiligen Kommune Zugriff hatten, visualisierte die Online-Verbräuche. Nach dem Login konnten die Gemeindemitarbeiter über eine Karte einzelne Liegenschaften auswählen. Es öffnete sich dann eine Detailansicht, die je nach Bedarf aktuelle oder historische Daten zeigte und diese in Wochen-, Monats- oder Jahresansichten gliedern konnte
„Es war erstaunlich zu sehen, wie bereits nach wenigen Tagen der Datenaufzeichnung zum Beispiel in einem Kindergarten anhand der Verbrauchsdifferenz zwischen Werktag und Wochenende klar zu erkennen war, wie hoch der ständige Verbrauch durch Kühlschränke und andere Standby-Geräte ist. So konnten in einigen Kommunen bereits nach sehr kurzer Zeit erste Handlungsprioritäten abgeleitet werden“, zieht Ralf von Dzwonkowski, EWE NETZ Kommunalbetreuung eine positive Bilanz.
Energiewende: die Entwicklung geht weiter
Auch wenn enera zwischenzeitlich abgeschlossen wurde, geht die Entwicklung doch weiter. Ein neues, spannendes Projekt heißt LIMBO. Es erweitert das ursprüngliche Angebot von enera um die Themen Gas und Wasser und führt auch neue Funktionen ein. Dazu zählen zum Beispiel Alarme bei auffallend abweichenden Verbräuchen oder die regelmäßige Erstellung eines Energieberichtes. Die Kommunen, die bereits die Webanwendung eingesetzt haben, können nun hier ihre Erfahrungen mit einbringen.
Dass solche digitalen Tools in Zukunft eine immer wichtigere Rolle spielen werden, steht außer Frage. Dies belegt nicht nur die aus der aktuellen Weltlage entstandene aktuelle Energiekrise. Sondern auch die Notwendigkeit, mit möglichst smarten Mitteln dem Klimawandel zu begegnen. Jede Unterstützung, die Digitalisierung hier leisten kann, ist willkommen.