Die Grenzen verwischen sich: Online-Händler wie Amazon und Alibaba suchen den Kontakt mit dem stationären Einzelhandel. Einzelhändler versuchen, sich mit Smartphone und Click&Collect ein Stück vom Online-Kuchen abzuschneiden. In dieser Folge unserer Serie „Wohin geht es in Digitalien?“ beleuchten wir, welche Rolle das Smartphone bei der Realisierung der Omnichannel-Strategie spielt – und wagen auch einen kleinen Ausblick in die Zukunft.
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Der klassische Einzelhandel ist auf der Suche nach einem neuen Ich. Die stationären Geschäfte sehen sich vor allem auch aufgrund der Corona-Pandemie zunehmend in einem harten Konkurrenzkampf mit den Online-Angeboten verwickelt. Um sich zu behaupten, setzen viele Geschäftsinhaber auf die Omnichannel-Strategie: Sie übernehmen Komponenten des Online-Handels, und versuchen so, das Beste aus beiden Welten zu vereinen.
Auch Online-Plattformen nutzen Omnichannel-Strategien
Doch auch traditionelle Online-Händler haben diese Strategie für sich entdeckt. Prominentestes Beispiel ist Amazon, das bereits vor einigen Jahren mit den kassenlosen Lebensmittelläden Amazon Go von sich reden gemacht hatte. Mit Amazon Style hat der Versandriese im Mai 2022 in der Nähe von Los Angeles nun auch ein Ladengeschäft für Kleidung eröffnet. Der Verkauf dort läuft weitestgehend automatisiert ab. Das Mittel zum Zweck ist eine App, mit der die Kaufwilligen QR-Codes scannen und dann Informationen über verfügbare Größen, Farben und – Amazon-typisch – Bewertungen der Produkte abrufen können. Diese App hilft auch weitere, ähnliche Styles zu finden und merkt sich. welche Produkte gescannt wurden.
Enge Verzahnung von Online und Offline
Dadurch kann Amazon beim nächsten Online-Besuch des Kaufwilligen weitere Vorschläge ausspielen. Die Kundinnen und Kunden können sich diese dann ins Ladengeschäft von Amazon-Style schicken lassen, um sie dort anzuprobieren. Im stationären Geschäft können sie auch Kleidung zurückgeben, die sie über den normalen Versandweg bestellt haben. Als kleines technisches Schmankerl gibt es das von einigen Amazon Go-Shops bereits bekannte Amazon One obendrauf: Der Handabdruck genügt zum Bezahlen.
Alibaba erfindet „New Retail“
Auch der chinesische Online-Gigant Alibaba versucht, sein Online-Geschäft durch den stationären Handel zu stärken. Alibaba ist ein wahrer Riese: Mehr als eine halbe Milliarde Menschen tummeln sich auf den unterschiedlichen Plattformen des Konzerns. Allerdings: Trotz dieser imponierenden Zahlen gilt China immer noch als Land des stationären Handels. Mehr als 80 Prozent des Umsatzes werden in Ladengeschäften generiert. Das hat Alibaba-Gründer Jack Ma wohl dazu bewogen, sein Konzept des „New Retail“ zu entwickeln.
Dieses Konzept soll für eine nahtlose Verzahnung zwischen Online- und stationärem Handel sorgen und sich für alle stationären Geschäfte, etwa auch für Einkaufscenter oder für Autohändler, nutzen lassen. Erprobt wurde es erstmals in der Supermarkt-Kette Hema. Mit Hilfe ihres Smartphones können Käufer alle Produkte im Store scannen. Sie erhalten dann wie online gewohnt alle wichtigen Informationen über das Produkt auf ihr Display. In Textilgeschäften gibt es zudem spezielle Bildschirme, die das Kleidungsstück scannen und dann Auskunft darüber geben, in welchen Größen und Farben es verfügbar ist. Ist die gewünschte Ausführung in dem Geschäft nicht lagernd, so kann die Kundin oder der Kunde die fehlende Variante bestellen, und ein Lieferservice bringt sie dann bequem nach Hause. In den Hema-Shops hat man sogar die Wahl, ob man ein Produkt frisch oder bereits zubereitet mit nach Hause nehmen will.
Smartphone als Schlüssel für die Omnichannel-Strategie
Beide Konzepte, sowohl das von Amazon als auch das von Alibaba, setzen vor allem auf das Smartphone. Es ist das ideale Hilfsmittel, um die Bedürfnisse einer modernen Kundschaft zu befriedigen und die Lücke zwischen Online und Offline zu überbrücken. Allerdings braucht man dazu auch die passenden Apps. Ein Anbieter von solchen Tools ist Scandit. Samuel Müller, CEO und Mitgründer von Scandit, ist überzeugt: „Verbraucher wünschen sich den Komfort und die Freiheiten von Self-Scanning, inklusive der Möglichkeit, vor dem Kauf auf ihrem Gerät Produktinformationen in Echtzeit abzurufen“.
Händler, die eine solche App nutzen wollen, sollten genau überlegen, welche Kundengruppe sie ansprechen wollen . Zielorientierte Kundinnen und Kunden etwa, die genau wissen, was sie kaufen möchten, können mit Hilfe von AR-Technik schnell Regal und Ablageort des gesuchten Produktes finden. Schnäppchenjäger wiederum können über die App Angebote entdecken und gleich auch virtuelle Gutscheine einlösen. Die Apps können zudem mit Self-Scanning-Funktionen auch den Einkauf von eiligen Kunden beschleunigen. Das Schlangestehen an den Kassen ist für diese dann hinfällig.
Kampf um den Platz auf dem Handy-Display
Allerdings: Untersuchungen haben auch gezeigt, dass Smartphone-Besitzer nur eine begrenzte Anzahl von Apps regelmäßig nutzen. Welche das sind, hängt vor allem davon ab, welchen Nutzen sie bieten. So werden etwa Bezahl-Apps, die gegenüber einer Karten- oder Barzahlung keinen Vorteil bringen, kaum genutzt. Um sie attraktiver zu gestalten, können sie ihre Anbieter aber zum Beispiel mit einem Rabattsystem koppeln. Ein starkes Argument für eine solche App ist auch eine Verfügbarkeitsanzeige für Waren. Denn nichts ist so ärgerlich wie unverrichteter Dinge wieder nach Hause fahren zu müssen, nur weil ein Produkt nicht vorrätig ist
Eine solche Verfügbarkeitsanzeige ist auch die Basis für Click&Collect-Angebote, eine bereits weit verbreitete Variante der Omnichannel-Strategie. Der Kunde bestellt dabei online und bezahlt meist auch im gleichen Schritt. Die Geschäfte legen dann die entsprechende Ware bereit, der Kunde kann sie im Shop abholen. Diese Mischform zwischen stationärem und Online-Handel hat deutliche Vorteile für den Kunden. So kann der Kunde sich sicher sein, dass das gewünschte Produkt für ihn bereit liegt. Er kann sich dabei den Abholtermin aussuchen und ist nicht von den Auslieferungszeiten eines Paketdienstes abhängig. Zudem gibt es keine Versandkosten, und die Ware kann bei der Übernahme geprüft werden.
Für den Verkäufer gilt es aber einige Hürden zu nehmen. So muss er sein Geschäft für diese Form des Handels anpassen, besondere Abholplätze einrichten und diese auch klar kennzeichnen. Selbstverständlich muss es eine entsprechende Homepage mit umfangreichen Zahlungsmöglichkeiten geben. Bisweilen sind solche Click&Collect Funktionen aber schon in Webshop-Baukästen integriert und brauchen nur aktiviert zu werden.
SaaS: Omnichannel-Strategie leicht gemacht
Solche Angebote aus dem Baukasten gibt es mittlerweile auch für den Lebensmitteleinzelhandel: So ist die Online-Plattform OvO (Online vor Ort) ein SaaS-Angebot (Software as a Service), das Lieferungen für den regionalen Einzelhandel organisiert. Die Lösung funktioniert ohne Investition in die eigene IT oder Auslieferungsstrukturen und ermöglicht so stationären Lebensmittelhändlern einen unkomplizierten Einstieg in die Omnichannel-Strategie.
Metaverse – die Zukunft des Online-Shoppings?
Ein vollkommen neues Einkaufserlebnis soll das Metaverse bieten, an dem derzeit an allen Ecken und Enden geschraubt wird. Facebook-Gründer Mark Zuckerberg glaubt fest an die neuen virtuellen Welten und investiert Milliarden in deren Entwicklung. Nach Zuckerbergs Vorstellungen wird das Metaverse eine Welt werden, die man mit einer VR-Brille und haptischen Handschuhen erkunden kann – und in der man natürlich auch einkaufen gehen kann. Vor allem die Digital Natives, die heute nicht alter als 42 Jahre sind, scheinen sich darauf zu freuen. Das sagt zumindest die ECC CLUB Studie. Demnach erhoffen sich 74 Prozent dieser Altersgruppe aus Deutschland und den USA vom Metaverse ein ganz neues Shopping-Erlebnis. Knapp zwei Drittel der Befragten glauben sogar, dass hier die Zukunft des Online-Shoppings liegen wird.
In Südkorea lässt sich immerhin schon besichtigen, wie das einmal aussehen könnte. Dort sprießen Metaverse-Anwendungen wie Pilze aus dem Boden. Die dort ansässige GS-Shop-Gruppe hat sogar eine eigene Abteilung für die Entwicklung solcher Anwendungen gegründet, und seit Herbst 2021 gibt es bereits eine Filiale in der virtuellen Welt. Knapp ein Jahr später hat das Unternehmen nachgelegt und eine Simulation für seine GS25-Convenience-Store-Kette freigeschaltet. Diese läuft auf Roblox – einem speziellen Metaversum, das vor allem von Kindern und Jugendlichen genutzt wird.
Verankerung in der realen Welt ist wichtig
Im Rest der Welt steht man der Innovation aber noch ein wenig skeptischer gegenüber. Und so klagt auch Zuckerbergs Metaversum derzeit noch über sehr mäßigen Zuspruch. Möglicherweise ist das nur der Vorbote eines neuen Trends. Denn wie eine aktuelle Studie der Wirtschaftskammer Österreich (WKO) gezeigt hat, gibt es bereits eine Gegenbewegung zur Digitalisierungswelle: Immer mehr Konsumentinnen und Konsumenten schätzen und bevorzugen physische Kontakte gegenüber virtuellen. Das Pendel schlägt damit mit dem Abklingen der Covid-19-Pandemie wieder in Richtung stationärer Einzelhandel aus. „Die Handelsunternehmen sind daher gut beraten, nicht nur auf Digitalisierung, sondern auch auf exzellenten persönlichen Service und ein entsprechendes Einkaufserlebnis zu setzen“, mahnt WKO-Bundesspartenobmann Rainer Trefelik. Die Online-Riesen Amazon und Alibaba scheinen das längst erkannt zu haben.