(C) VW

Vorausschauender als der Fahrer: Kameras machen Fahrzeuge sicherer

Aufmacherbild: (C) VW

Immer kleiner, immer leistungsfähiger werden die technischen Module, die als Assistenzsysteme in Autos eingebaut werden. Die heutigen Fahrzeuge sehen nicht mehr nur beim Parken nach vorne und hinten, sondern analysieren Fahrverhalten, andere Verkehrsteilnehmer und die Beschaffenheit der Strecke – tausendfach in jeder Sekunde, rundherum und „um die Ecke“, sogar durch Regen und Nebel hindurch. Nicht zuletzt soll diese intelligente Technik helfen, die Zahl und Schwere von Unfällen deutlich zu reduzieren. Automobilzulieferer und -hersteller haben nützliche und spannende Systeme in Arbeit.

Millionen Autofahrer in Deutschland haben täglich eine „undurchdringliche Wand“ vor sich: Wenn ein Lkw die Sicht versperrt, kann nur ein ausreichender Sicherheitsabstand helfen, damit der Autofahrer plötzlich eintretende Gefahren erkennen kann. Größtes Risiko birgt in solchen Fällen ein Überholmanöver bei schlecht einzuschätzendem Gegenverkehr – dachte sich Samsung und stellte das Konzept seiner „Safety Trucks“ vor: In ihren Hecktüren sollen große Displays integriert werden, die tagsüber und auch bei Nacht das zeigen, was vor dem Lkw geschieht, aufgenommen durch eine Frontkamera.

Die Kamera warnt den Dahinterfahrenden auch vor einem plötzlich auftauchenden Stauende, Personen und Tieren am Straßenrand oder anderen Gefahren, die der Fahrer sonst vielleicht zu spät sehen würde. Derzeit testen die Südkoreaner die Prototypen des „Safety Trucks“ in Argentinien. Dort werden laut Samsung im weltweiten Vergleich sehr viele Unfälle beim Überholvorgang verzeichnet.

(C) Samsung Tomorrow
Lkw mit Videowand auf den Hecktüren. (C) Samsung Tomorrow

Solche Kameras helfen zwar nicht unmittelbar ihrem „Träger“, machen das Fahren aber insgesamt sicherer.

Generell sind Kameras in vielen Fällen der Schlüssel zu mehr Fahrsicherheit und auch mehr Komfort an Bord. Die meisten heute in Autos eingesetzten Assistenzsysteme nutzen Kameras. Und diese elektronischen Augen der Fahrzeuge werden immer genauer, feinfühliger und auch platzsparender – was wichtig ist, damit sie im Fahrzeug integriert werden können, ohne zu stören. Kameras erkennen, ob sich beispielsweise ein Radfahrer im toten Winkel befindet, ob ein Autofahrer müde wird oder unbeabsichtigt die Fahrspur verlässt; sie erkennen Verkehrsschilder oder einen zu geringen Abstand zum vorausfahrenden Fahrzeug – und noch vieles mehr. Schon heute kennt die Automobilbranche bis zu vierzig verschiedene kamerabasierte Systeme.

Interessant (nicht nur) für Autokäufer: Ob ein Fahrzeug beim Crashtest der Organisation „Euro NCAP“ vier oder volle fünf Sterne bekommt, hängt seit 2014 auch davon ab, ob es ein Assistenzsystem enthält oder nicht – mindestens eines muss an Bord sein. Im nächsten Jahr, 2016, werden schon zwei gefordert: Ein vorausschauender Fußgängerschutz wird Pflicht – sonst gibt es keine fünf Sterne, selbst wenn der Rest des Autos gemäß den Testkriterien „sicher“ ist.

Das liegt vor allem daran, dass Unfallforscher einen klaren Zusammenhang belegen können: Wenn Assistenzsysteme zum Einsatz kommen und den Fahrer in kritischen Situationen unterstützen, sinken die Unfallzahlen. Jeder achte Unfall ließe sich zum Beispiel durch einen Notbremsassistenten und ein Auffahrwarnsystem komplett vermeiden.

Schon längst haben die Kamerasysteme dazu auch das räumliche Sehen vom Menschen gelernt. Stereokameras und die dahinter arbeitenden Rechnersysteme sind in der Lage, dreidimensional zu „sehen“. So können sie zum Beispiel den Abstand zu einem Fußgänger oder Tier besser einschätzen. Außerdem gelingt es der Bilderkennung und -verarbeitung so besser, wichtige Objekte wie Personen auf oder neben der Straße von unwichtigen wie etwa umherfliegenden Tüten zu unterscheiden.

Noch mehr Funktionen werden in Zukunft vor allem durch Software realisiert werden. So sollen Stereokameras in künftigen Fahrzeugmodellen zum Beispiel in Baustellen Fahrbahnverengungen erkennen und bei Unfallgefahr automatisch abbremsen.

(C) BMW
Systeme mit Stereokameras können Objekte klassifizieren. (C) BMW

Gerade bei der Nutzung der Kamerasignale für neue Assistenz- und Warnfunktionen sind die Autohersteller sehr kreativ. Eine Auswahl, was wir schon bald in unseren Fahrzeugen vorfinden werden:

Ford schaut um die Ecke: Damit sich ein Fahrer nicht erst in einen Gefahrenbereich hineintasten muss, wo sich die Front des Autos bereits befindet, nimmt das Ford-Modell S-Max ihm die Arbeit ab – mit Hilfe einer Kamera im Kühlergrill, die das Bild dreigeteilt auf einen Monitor im Innenraum übermittelt.

Diese „Split View“-Funktion sollen nach und nach auch andere Ford-Modelle erhalten – bis hin zum großen Pickup, der dann sogar sieben Kameras bekommen soll, um auch im hinteren Bereich einen 180-Grad-Winkel überwachen zu können.

Continental schaut rundherum: „Surround View“ nennt der Automobilzulieferer Continental einen Assistenten, der Kollisionen beim langsamen Rangieren vermeiden soll – auch über das Parken hinaus, da der Anzeigebereich eine vergleichsweise große Distanz von bis zu 15 Metern abdecken soll.

(C) Continental
Der Rückfahrassistent beobachtet auch den Querverkehr und bremst automatisch ab. (C) Continental

Taucht ein Hindernis auf, wird automatisch abgebremst, Fußgänger und Radfahrer werden als solche erkannt, und auch den Querverkehr und Fahrbahn-Markierungen behält das System im Auge. Genauer gesagt: im Fischauge – mit einem Blickwinkel von mehr als 180 Grad.

(C) Continental
Rückfahrassistent mit 360-Grad-Rundumblick. (C) Continental

Im Demonstrationswagen kommen vier solcher Kameras zum Einsatz und ergeben eine überlappende 360-Grad-Überwachung. Der Serieneinsatz ist in ein bis zwei Jahren geplant.

Scheinwerfer passen ihr Licht an: Forscher der Universität von Pittsburgh, USA, haben „adaptive Scheinwerfer“ entwickelt, die über Kameras die Straße überwachen, blitzschnell die ermittelten Daten auswerten und darauf reagieren, was vor dem Fahrzeug passiert. Erkannte Objekte, etwa Tiere am Straßenrand, werden dann gezielt „angestrahlt“, um den Fahrer gezielt darauf aufmerksam zu machen. Ebenso werden Kurven noch vor dem Einlenken ausgeleuchtet – man fahre, so die Forscher, wie auf einem Lichtteppich dem Ziel entgegen. Der Clou: Das System kann sogar Regen oder Schnee erkennen und bei der Formung des Lichtstrahls berücksichtigen. So soll vermieden werden, dass die Tropfen oder Flocken bei der Ausleuchtung das Scheinwerferlicht störend reflektieren.

Gefahrenhinweise auf Motorrad- und Radfahrern: Nur ein kleiner Schritt ist es von Kameras zu Projektoren. So soll ein kleiner Lichtwerfer namens „Cyclee“, entwickelt vom Designer Elnur Babayev aus Aserbaidschan, bei Dämmerung und im Dunkeln gut sichtbare Signale auf den Rücken von Zweiradfahrern projizieren.

(C) Cyclee
Fahrradprojektor zeigt wichtige Signale an. (C) Cyclee

Die anzuzeigenden Bilder kann man mittels Smartphone-App einstellen, und je nach Aktion des Fahrers passen sich die Zeichen an. Derzeit sammelt Babayev per Crowdfunding die Mittel ein, um seine Idee zur Marktreife weiterzuentwickeln.

(C) Cyclee
Cyclee lässt sich mittels Smartphone-App einstellen. (C) Cyclee

Intelligente Fahrradhelme: Prototypen der britischen Organisation Future Cities arbeiten in Echtzeit mit Augmented Reality und blenden Hinweise und Anweisungen ins Sichtfeld des Radfahrers ein, etwa Gefahrenhinweise oder Routen für den schnellsten und sichersten Weg durch die Großstadt. Sogar vor toten Winkeln und schlechter Luftqualität wird gewarnt.

Volvo wiederum hat eine Idee entwickelt, die ganz ohne Daten, Internet und Rechenleistung auskommt – und dennoch perfekt in eine intelligente Welt passt: eine Reflektorfarbe, die auf Fahrrad, Helm und Kleidung aufgesprüht werden kann. „Lifepaint“ soll bis zu einer Woche lang haften bleiben, abwaschbar und bei Tageslicht unsichtbar sein. Im Dunkeln leuchtet die Spezialfarbe jedoch umso heller. Die Spraydosen sind als Versuchsballon bereits in einigen Geschäften in Großbritannien erhältlich. Falls sich ein Verkaufserfolg einstellt, soll „Lifepaint“ auch international vermarktet werden. Mit dem Produkt will das Unternehmen zu einer deutlichen Reduzierung von Radfahrer-Unfällen in dem Land beitragen.

„Der beste Weg, einen Unfall zu überleben, ist keinen zu haben“, sagte Volvo bei der Vorstellung der Reflektorfarbe. Eine schöne Devise für die intelligente Welt auf der Straße –  und für alle Situationen des täglichen Verkehrslebens mehr als wünschenswert.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert