Naturkatastrophe, Großbrand, Amoklauf, Terroranschlag. Gibt es davon heute wirklich mehr als früher oder bekommen wir nur einfach sehr viel mehr davon mit – dank digitaler Technik? Jedenfalls hilft es immens, dass in Zukunft auch den Einsatz- und Rettungskräften in Krisensituationen mehr digitale Unterstützung zur Verfügung steht. Denn auch Rettungsdienste und Katastrophenschützer sind von der Digitalisierung betroffen.
Die schnelle und gezielte Hilfe bei der Lawinenkatastrophe in den italienischen Abruzzen Mitte Januar war eines der jüngsten und eindringlichsten Beispiele dafür, wie wichtig mobile Kommunikation und professionelle Koordination in Krisenfällen ist. Auch frühere Beispiele wie der Amoklauf in München im Juli 2016 belegten deutlich, dass gerade auch soziale Medien wie Twitter in solchen Situationen eine zunehmend entscheidende Rolle spielen. Nicht nur die Polizei twitterte, auch Nutzer teilten Informationen, Fotos und Videos in sozialen Netzwerken. Die Aktion #offenetür verbreitete sich wie ein Lauffeuer und besorgte Angehörige versuchten, ihre Lieben zu erreichen.
Mobile Kommunikation im Krisenfall
Tatsächlich lassen sich Informationen, Fotos und Videos, die User in sozialen Medien teilen, bei Rettungs- und Katastrophenschutz-Einsätzen nutzbar machen. Wie dies geht, damit beschäftigt sich das Forschungsprojekt „EmerGent“ am Institut für Feuerwehr- und Rettungstechnologie (IFR) der Feuerwehr Dortmund.
Der erhöhte Kommunikationsbedarf der Bevölkerung bei solchen Ereignissen oder auch bei Massenveranstaltungen kann allerdings auch ein massives Problem darstellen. Weil er das öffentliche Mobilfunknetz an die Grenze der Belastbarkeit oder gar zum Zusammenbruch bringen kann. Das erklärt Bernhard Klinger im folgenden rund 10-minütigen Video.. Klinger ist Vice President Geschäftsentwicklung bei Hytera Mobilfunk und Stellvertretender Vorsitzender des Vorstandes und Vorsitzender des Fachbereiches Breitband im Bundesverband Professioneller Mobilfunk e.V.
Aus einsatztechnischen Gründen kann es außerdem erforderlich sein, das öffentliche Mobilfunknetz zeit- oder ortsweise komplett abzuschalten, um etwa die Kommunikation von Terroristen oder die Fernauslösung von Bomben zu verhindern. Nutzen aber Rettungskräfte öffentliche Funknetze mit, wäre das nicht möglich, weil dann auch die eigene Kommunikation der Rettungskräfte nicht mehr möglich wäre.
Daher sollten Rettungskräfte in der Lage sein, Informationen mobil und mit höchster Geschwindigkeit auch abseits der kommerziellen Mobilfunknetze auszutauschen. Für Sicherheits- und Rettungskräfte ist im Krisenfall ein eigenes Kommunikationsnetz unverzichtbar, erklärt Klinger.
Forschungsprojekte zur digitalen Rettung bei Fraunhofer IIS
Über zwei Forschungsprojekte zur schnellen situationsspezifischen Aufklärung und Lokalisierung von Opfern oder Gefahrenquellen, berichtet Marc Faßbinder, Gruppenleiter Funkortung und -kommunikation, Fraunhofer IIS, im folgenden rund 7-minütigen Video.
Beim Projekt SENEKA kartographieren etwa bei einer Naturkatastrophe Drohnen die Landschaft, während am Boden autonome Roboter ausgesendet werden. Drohnen und Roboter werden dabei ad hoc vernetzt und bilden ein Kommunikationsnetz, über das alle Informationen an die Einsatzleitzentrale gesendet werden. Die Drohnen können über eingestürzten Gebäuden auch Sensorsonden abwerfen. Diese bewegen sich durch einen Rüttelmotor durch das Gelände, so dass auch abgelegene Gebiete erreicht werden können. Der Sensorball beinhaltet Gassensoren, der giftige Chemikalien detektieren kann, sowie einen Sensorknopf, mit dem ein Verschütteter einen Alarm auslösen kann. Da die Lage der Bälle bekannt ist, kann man gezielt Rettungskräfte zum Einsatzort schicken.
Wie man die Retter selbst, beispielsweise Feuerwehrkräfte, durch Digitalisierung besser schützen kann, damit beschäftigt sich das Projekt Sensprocloth. Derzeit geben Einsatzkräfte ihre Position in einem Gebäude über Funk durch. Über ihren Gesundheitszustand ist dadurch noch nichts bekannt. Sensprocloth ist eine sensorische Schutzbekleidung. In ihr ist Vitaldaten-Sensorik wie etwa einPuls- und Temperaturmesser integrier. Deren Daten werden über ein Kommunikationsmodul an die Einsatzzentrale weiterleitet. So kann etwa bei gesundheitlichen Problemen durch stressbedingte Situationen im Einsatz oder bei zu starker Hitzeentwicklung ein Suchtrupp losgeschickt werden, um den betroffenen Retter aus der Gefahrensituation zu bergen. Das Kommunikationsmodul lässt sich präzise orten, sodass die Einsatzleiter jederzeit Überblick über die Standorte ihrer Rettungskräfte haben. Dafür muss vor allem die Stockwerk-Erkennung sehr genau funktionieren, damit nicht wertvolle Minuten verloren gehen.
Bessere Qualifizierung dank Digitalisierung
Bereits beim Training für den Ernstfall kann digitale Technik die Einsatzkräfte unterstützen. Mit ihrem Forschungsprojekt „RescueLab“ hat etwa die Universität Paderborn ein System entwickelt, das Rettungskräfte in der Vorbereitung, Durchführung und Nachbereitung von Einsatzübungen unterstützt. Dabei werden die Abläufe der Einsatzübungen durch Sensorik, Video und Audio dokumentiert. Die Übungsteilnehmer können Beobachtungen und Anmerkungen über Tablets ergänzen. Auf der Plattform „Rescue Lab“ findet die Auswertung statt, die Rettungsdienste erhalten gezieltes Feedback.
Von der Forschung zum realen Einsatz
Nicht nur Forschungsinstitute sind beim Thema Digitalisierung gefordert. Gerd Friedsam, Vizepräsident des Technischen Hilfswerks, ruft auch Institutionen wie Feuerwehren oder am Katastrophenschutz beteiligte Behörden auf, sich an der Forschung und Entwicklung von Sicherheits- und Rettungs-Techniken zu beteiligen. Denn Feuerwehren oder das THW sollten sich nicht nur als Kunde solcher Lösungen verstehen.
„Ohne vernetzte Daten werden wir in Zukunft nicht mehr arbeiten können.“
Gerd Friedsam, Vizepräsident des Technischen Hilfswerks
Wie gut das funktionieren kann, zeigt das Institut für Feuerwehr- und Rettungstechnologie – eine an die Feuerwehr Dortmund angegliederte Forschungsinstitution, die anwenderorientierte Forschung im Bereich Feuerwehr und Rettungsdienst leistet.
Hier wird nicht nur untersucht, was technisch machbar ist, sondern auch die Nutzbarkeit der Lösungen unter widrigen Umständen getestet. Wie etwa das System „Anchors“, das Radioaktivitäts-Sensorik etwa bei Kraftwerksunfällen in Bereiche bringt, die Menschen nicht mehr betreten können. Doch gerade für den Einsatz von Flugkörpern, sieht Detlev Harries, Leitender Branddirektor Feuerwehr Dortmund, in Deutschland noch einige bürokratische Hürden. Die erforderliche Genehmigung zum Betrieb von Flugkörpern verbietet es ausgerechnet Rettungskräften, Drohnen über Einsatzstellen zu steuern. Nur Polizei und Bundeswehr genießen für den Drohneneinsatz Sonderrechte – Feuerwehr und Katastrophenschutz hingegen nicht.
Auch Prof. Dr.-Ing. Christian Wietfeld, Leiter des Lehrstuhls für Kommunikationsnetze an der TU Dortmund bestätigt, dass noch rechtliche Probleme gelöst werden müssen, damit Rettungsdienste Unmanned Aerial Vehicles (UAV) beziehungsweise Unmanned Aerial Systems (UAS) überhaupt einsetzen dürfen. Die Technik der Fluggeräte wäre seiner Einschätzung nach schon heute recht ausgereift. Weiteren Forschungsbedarf sieht er vor allem bei der Vernetzung mehrerer Drohnen.
Digitalisierung und Vernetzung
Die Vernetzung unterschiedlichster Systeme, Quellen und Partner wird in Zukunft auch erheblich dazu beitragen, im Krisenfall schnell die richtigen Entscheidungen zu treffen. Auf der Interschutz 2015 präsentierte die Feuerwehr Hannover mit ihrer Partnerfeuerwehr aus dem polnischen Poznan das von der Uni Poznan entwickelte System PROTEUS. Herzstück ist das Mobile Command Center (MCC), das mit Telekommunikations- und IT-Equipment ausgestattet ist. Das MCC verarbeitet und analysiert die Daten, die von anderen Systemteilen wie unbemannten Flugzeugen oder Robotern geliefert werden. PROTEUS soll vor allem bei Naturkatastrophen zum Einsatz kommen. Oder dann, wenn unterschiedliche Einsatzkräfte wie Feuerwehr, Polizei, Rettung oder auch Militär koordiniert werden müssen und schnell die richtigen Entscheidungen treffen sollen.
Ebenfalls auf der Fachmesse entdeckt haben wir die Anwendung „Connected Rescue“ des Softwareherstellers Novato, die von BMW als Teil des „Connected Drive“-Systems vorgestellt wurde. Die Lösung sorgt dafür, dass die Einsatzleitstelle auf direktem Weg mit den Einsatzfahrzeugen kommunizieren kann. Alle wichtigen Informationen wie Adresse, Grund des Einsatzes sowie Ansprechpartner für die Rettungskräfte werden direkt ins Fahrzeug übermittelt. Auch exakte Geodaten des Einsatzortes können gesendet werden, die manuelle Eingabe eines Navigationsziels ist nicht mehr erforderlich.
Satellitendaten für die Rettungsdienste
Ohnehin spielen Geodaten im Rettungseinsatz eine entscheidende Rolle. Auch Satellitenfernerkundung kann in Krisensituationen und im Katastropheneinsatz eine wichtige Datenquelle für die Lagebeurteilung, Planung und Einsatzleitung sein, erklärte uns Thomas Kukuk, Projektleiter bei der Gesellschaft für Angewandte Fernerkundung (GAF AG). Wenn etwa das THW nach einer Naturkatastrophe in ein Land reist, für das keine adäquaten Kartendaten zur Verfügung stehen, kann die GAF je nach Land und zeitlichem Ablauf meist innerhalb weniger Stunden aktuelle Satellitenbilder zur Verfügung stellen. Dafür kommen optische wie auch Radar-Satelliten zum Einsatz. Die professionelle Datenauswertung und -aufbereitung durch Spezialisten hat das Ziel, Rettungskräfte ausschließlich mit den für sie relevanten Informationen zu versorgen. Da die Zahl der Satelliten und Sensoren im All weiter wächst, werden die Dienste und Informationen von Anbietern von Satellitendaten, zu einem immer wichtigeren Informationsmittel.
Drohnen und Roboter, Sensoren und Satelliten, mobile Kommunikationssysteme und digitale Vernetzung – fast scheint es, als sprechen wir über einen Science-Fiction-Film. Doch dank der Digitalisierung der Rettungsdienste ist dies schon heute Realität oder wird es zumindest bald sein. Und das ist eine gute Nachricht sowohl für die Betroffenen von Katastrophen und Unfällen als auch für ihre Retter.