Digitales Lernen ist für Studenten zur Selbstversändlichkeit geworden.

Wohin geht es in Digitalien? Folge 6: Bildungswesen – Universitäten und Erwachsenenbildung

Universitäten würde man noch am meisten zutrauen, für die Digitalisierung im Bildungswesen gerüstet zu sein. Das dem nicht unbedingt so ist, und dass auch manche Hochschulen einen immensen Aufholbedarf haben, zeigt die vorliegende Folge unserer Serie „Wohin geht es in Digitalien“. Sie beleuchtet den Stand der Digitalisierung speziell in der Hochschulwelt und in der Erwachsenenbildung.

Aufmacherbild: Andrea Piacquadio/Pexels

Man sollte eigentlich denken, dass die Universitäten relativ gut auf die von Corona forcierte Digitalisierung im Bildungswesen vorbereitet waren. Im Prinzip trifft das auch zu. So gehören Hochschulen zumindest in Sachen technischer Ausstattung zu den privilegierten Lehranstalten. Und ihre Klientel, die Studenten, sind in der Regel auch überdurchschnittlich fit in der Anwendung der Technik. Manchmal zu fit. Denn die eine  oder andere Online-Klausur ist in der Corona-Zeit exorbitant gut ausgefallen. Eben weil die Lernenden die Technik zu ihrem Vorteil zu nutzen wussten. An manchen Unis gibt es deshalb gleich nur noch Open-Book-Prüfungen, bei denen alle Hilfsmittel erlaubt sind. Über die Aussagekraft solcher Klausuren wird bereits heftig diskutiert, auch unter den Lernenden selbst. Die Generation Corona gerät so in einen Schummel-Generalverdacht.

Digitalisierung von Universitäten mit strukturellem Problem

Umgekehrt scheinen die Professorinnen und Professoren bisweilen im Umgang mit der digitalisierten Universität deutlich weniger technisches Verständnis an den Tag legen, als man von ihnen erwartet hätte.  Wenn ein Informatik-Professor wie etwa zuletzt in Wien vergisst, den Chat freizuschalten, und sich ein halbe Stunde lang wundert, dass er für seine immerhin live vorgetragene Vorlesung kein Feedback bekommt, ist das schon peinlich.

Prof. Dr. Miriam Leuchter
Prof. Dr. Miriam Leuchter Foto: Uni Koblenz Landau

Doch das sind nur Kleinigkeiten im Vergleich zu den strukturellen Problemen, die durch die digitale Lehre aufgeworfen werden. „Diese Lehre ist nämlich nicht Fernunterricht. Und auch wenn digitale Medien genutzt werden, ist dies ebenfalls kein E-Learning. Hinter den Begriffen Fernunterricht und E-Learning stehen nämlich spezifische didaktische Konzepte, die unter diesen Bedingungen nicht optimal umgesetzt werden können“, betont Prof. Dr. Miriam Leuchter von der Universität Koblenz Landau.

Digitalisierte Universitäten generieren virtuelle Hamsterräder für Studierende

Wie ein Stimmungsbericht des Polit-Magazins Cicero nahelegt, sind für die Studierenden an digitalisierten Universitäten vor allem die sogenannten asynchronen Formate problematisch. Statt Vorlesungen und Seminare gab es in der Corona-Zeit unter dem Schlagwort selbstbestimmtes Lernen jede Woche neue Aufgaben, die es zu lösen galt. Viele der Studierenden vor allem in den Geisteswissenschaften empfinden das aber als eine Art Hamsterrad – eine Fremdbestimmung, die ihnen keine Freiräume beim Lernen lässt. Sie fühlen sich allein gelassen, und ihnen fehlt auch die Diskussion über die Inhalte, was die Arbeitsaufträge dann ein Stück weit sinnlos erscheinen lässt.

„Lehren und Lernen ist immer interaktiv“,  sagt denn auch Prof. Leuchter. Und sie weiß: „Die Nutzung der Lehrangebote verlangt insbesondere bei asynchronen Formaten ein extrem hohes Maß an Selbststeuerung und Selbstdisziplin von den Lernenden.“

Digitalisierung von Universitäten: Allein studieren im stillen Kämmerlein ist nicht jedermanns Sache.
Digitalisierung von Universitäten: Allein studieren im stillen Kämmerlein ist nicht jedermanns Sache. Bild: Andrew Neel/Peyels

Blended Learning: der Megatrend in der digitalen Erwachsenenbildung?

Möglicherweise muss man bei der Digitalisierung der Erwachsenbildung ja auch einen Schritt zurückgehen, um ein optimales Format zu finden. Prof. Leuchter plädiert für sogenanntes Blended Learning: Eine Form, bei der Online-Formate mit Präsenzphasen gemischt werden. Denn immerhin hat es auch Vorteile, wenn man Vorlesungen wann immer man will als Aufzeichnung hören kann, und sich nicht morgens um 8 Uhr schlaftrunken in einen Hörsaal setzen muss.

Auch laut der Trendstudie mmb Learning Delphi ist Blended Learning „eine zentrale Lernform der kommenden Jahre“ – nicht zuletzt auch für betriebliches Lernen. Die Studie, die bereits zum 15. Mal durchgeführt wurde, spiegelt die Meinung von rund 60 E-Learning-Expertinnen und -Experten wider. Durchgeführt wurde sie Ende 2020 und stand damit ganz unter dem Eindruck von Corona. Neben Blended Learning glauben die Expertinnen und Experten an eine wichtige Rolle von Virtual Classrooms und Online Coaching für die betriebliche Weiterbildung. Chatbots oder Web-based Trainings und Social Media werden hingegen kleineren Rolle zugeschrieben.

VR-Technik: Hoffnungsträger für die Zukunft

Präsenzkurse, so glauben die befragten Pädagoginnen und Pädagogen, werden sich immer stärker in virtuelle Klassenräume verlagern. Statt speziellen Lernplattformen werden Collaboration-Tools wie Teams oder Slack Lehrende und Lernende zusammenbringen. Das gilt auch im Verhältnis von Unternehmen und ihren Kunden, wo digitale Schulungen stark an Bedeutung zunehmen.

Möglicherweise sind das aber nur Übergangsphänomene. Mehr als ein Drittel der Expertinnen und Experten glaubt nämlich auch an einen Siegeszug der immersiven Lernwerkzeuge, also Virtual- oder Augmented-Reality-Anwendungen. Gut möglich, dass Schulungen wie auch Vorlesungen in Zukunft in einem VR-Hörsaal abgehalten werden.

Digtialisierung im Bildungswesen: VR-Systeme könnten die Zukunft auch in der betrieblichen Ausbildung sein.
VR-Systeme könnten die Zukunft auch in der betrieblichen Ausbildung sein. Foto: Vive

Was auch die mmb-Studie unterstreicht: Gerade in Pandemie-Zeiten sind synchrone Tools, die einen sozialen Kontakt zwar auf Distanz, aber zumindest in Echtzeit ermöglichen, mehr gefragt als asynchrone, bei denen es kein direktes Feedback gibt.

Technische Voraussetzungen für die digitale Erwachsenenbildung oft schlecht

Bei der digitalen Erwachsenenbildung ist wie in den Schulen die technische Ausstattung ein kritischer Faktor. Und mit der steht es in Deutschland nicht zum Besten. In seiner Trendanalyse 2021 kommt das Deutsche Institut für Erwachsenenbildung zu dem Schluss, dass die Realität der Weiterbildung mit Blick auf Ausstattung, Angebot und Nutzung „teilweise ernüchternd“ sei. Die Mindestausstattung des Lehrpersonals mit Laptop und Beamer wird laut der Studie von einem Viertel der Weiterbildungsanbieter als unzureichend eingeschätzt. Mit der Internetanbindung, die immerhin eine Grundvoraussetzung für die digitalen Angebote darstellt, sind 17 % der Befragten nicht zufrieden. Der Einsatz von Smartboards oder Lernumgebungen, die mit Virtual- oder Augmented Reality arbeiten, sind in der Weiterbildung immer noch Einzelfälle.

Die Probleme variieren aber in Art und Stärke je nach Bildungsinstitut. Ein Stiefkind der Digitalisierung im Bildungswesen scheinen bisher die Volkshochschulen gewesen zu sein. Sie konnten  die Probleme, die Corona verursacht hat, am schlechtesten abfangen. Mehr als die Hälfte (56 %) ihrer Angebote mussten laut der Studie entweder auf einen späteren Zeitpunkt verschoben oder aber ersatzlos abgesagt werden. Berufliche Schulen hatten dagegen nur einen Ausfall von 8 % zu verzeichnen.

Digitalisierung im Bildungswesen: Die Anzahl der auf vhs.cloud angebotenen Kurse wuchs von Januar 2020 bis Dezember 2021 um mehr als den Faktor 10,
Die Anzahl der auf vhs.cloud angebotenen Kurse wuchs von Januar 2020 bis Dezember 2021 um mehr als den Faktor 10. Grafik: vhs.cloud

Digitalisierung der Volkshochschulen: Aufholjagd gestartet

Dennoch gab es als Folge von Corona auch bei den Volkshochschulen einen Digitalisierungsschub. Numerisch lässt sich das an der gestiegenen Nutzung der vhs.cloud und des daran angeschlossen vhs.lernportal ablesen. Die vhs.cloud ist ein kostenpflichtiges Online-Netzwerk und Lernmanagementsystem für Volkshochschulen, in dem jede registrierte Volkshochschule ihren eigenen Arbeitsbereich hat. Die Anzahl der auf dem Portal angebotenen Kurse wuchs von Januar 2020 bis Dezember 2021 um mehr als den Faktor 10, die Anzahl der Nutzer und Nutzerinnen steigerte sich um zwei Drittel. Problematisch ist laut dem österreichischen Magazin erwachsenbildung.at aber immer noch Ausstattung der Lernenden. Statt einem Laptop nutzen etwa viele nur ein Smartphone. Und das dürfte nicht nur in Österreich der Fall sein. Bei der Digitalisierung im Bildungswesen sind die Volkshochschulen die Nachzügler.

Die Finanzierung der Digitalisierung in der Erwachsenenbildung muss entgegen der schulischen Bildung, wo ein entsprechender „Digitalpakt“ zur Verfügung steht, sowohl in Deutschland wie auch in Österreich von den Anbietern zu großen Teilen selbst getragen werden. Das wird außerhalb den Universitäten den Ausbau der digitalen Angebote verlangsamen. Vielleicht ist das aber gar nicht so schlecht. Die Lernenden haben zwar die Flexibilität von E-Learning-Angeboten schätzen gelernt. Aber viele Menschen scheinen sich derzeit auch nach persönlicher Nähe und realem Kontakt gerade in Zusammenhang mit Bildungsangeboten zu sehnen. Die Digitalisierung im Bildungswesen ist gekommen, um zu bleiben. Aber es gilt, das richtige Maß und den richtigen Mix zu finden – und dafür dann die richtigen digitalen Tools.

 

 

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