Bereits vor der Pandemie hatte die Politik ansehnliche Summen für eine Digitalisierung der Schulen bereit gestellt. Corona sorgte dafür, dass alles noch ein bisschen schneller ging als erwartet. Für manche zu schnell. In der vorliegenden Folge unserer Serie „Wohin geht es in Digitalien“ nehmen wir den Stand der Dinge in Sachen Digitalisierung weiterführender Schulen unter die Lupe.
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2019 wurde in Deutschland der Digitalpakt Schule beschlossen. Sechs Milliarden Euro wollten damals Bund und Länder in die Digitalisierung der Schulen investieren – mittlerweile sind es sogar schon sieben Milliarden geworden. Das macht rechnerisch für jede der 32.228 Schulen in Deutschland rund 186.000 Euro. Auch in Österreich gibt es seit Juni 2020 einen 8-Punkte-Plan zur Digitalisierung im Bildungswesen. Er ist mit 250 Mio. Euro finanziert. Damit stehen einer einzelnen österreichischen Schule mit rund 45.000 Euro aber noch deutlich weniger als einer deutschen Bildungseinrichtung zur Verfügung.
Digitalisierungsschub dank Corona
Vielleicht kam der Geldsegen für die Digitalisierung der Schulen genau zum richtigen Zeitpunkt. Corona sorgte dafür, dass die lange vor sich hin dümpelnde Entwicklung abrupt an Fahrt aufnahm. Wie die S-Clever-Studie zeigt, gab es in allen deutschsprachigen Ländern zwischen März 2020 und Sommer 2021 einen regelrechten Digitalisierungsschub. Die Studie hat Schulleiter und Schulleiterinnen im gesamten deutschsprachigen Raum nach den Auswirkungen der Pandemie auf das Thema digitale Schule befragt. Demnach verfügen mittlerweile zwei Drittel der Schulen in Deutschland über ein Konzept für digitales Lernen, fast doppelt so viele wie vor der Pandemie. 80 Prozent der Schulen nutzen Online-Plattformen für den Austausch von Lernmaterialien. Interaktive Lehr-Lernplattformen finden sich in rund 40 Prozent der Schulen in Deutschland, in 52 Prozent der Schulen in Österreich und in 43 Prozent in der Deutschschweiz.
Die Digitalisierungswelle traf dabei auf unterschiedlich gut vorbereitete Pädagoginnen und Pädagogen. Die in der S-Clever-Studie befragten Schulleiterinnen und Schulleiter berichten von einer „großen Heterogenität in den digitalen und technischen Kompetenzen des Lehrpersonals“.
Digitalisierung der Schulen machte 2021 einen Sprung
Auch in Sachen Hardwareausstattung waren die Voraussetzungen für Online-Unterricht zu Beginn der Pandemie keineswegs optimal. So ergab eine Umfrage unter Lehrkräften an deutschen Schulen für das Deutsche Schulbarometer, dass im Dezember 2020 gerade mal an 19 Prozent der Bildungsinstitute genug Tablets oder Laptop vorhanden waren, um das Lehrpersonal damit adäquat auszustatten.
Auch hier hat Corona als Beschleuniger gewirkt. Im September 2021 waren bereits 53 Prozent der Schulen so ausgestattet, das für das Lehrpersonal ausreichend mobile Computer zur Verfügung standen. Die, um die es eigentlich geht, – die Schülerinnen und Schüler –, kommen aber immer noch deutlich schlechter weg. Gerade 9 Prozent der Schulen hielten 2020 für sie genügend Tablets oder Laptops bereit, im September 2021 waren es zumindest „schon“ 20 Prozent.
Gymnasien schneiden bei der Beurteilung der digitalen Ausstattung am besten ab. Hier sind laut Schulbarometer mittlerweile 73 Prozent gut für den Fern- und Hybrid-Unterricht vorbereitet, bei den Haupt- und Realschulen hingegen sind es nur 49 Prozent. Und bei den Förderschulen gar nur 36 Prozent, was nach einhelliger Expertenmeinung die Bildungsschere weiter aufklappen lässt.
Digitalisierung der Schulen ist kein Selbstzweck
Dabei ist eine gute digitale Ausstattung einer Schule nicht automatisch ein Garant für einen guten Bildungserfolg. Davon ist Kerstin Jasper überzeugt, didaktische Leiterin der IGS Lengede. Die IGS Lengede ist eine von 20 Schulen, die den Bitkom Bildungspreis erhalten haben. Die Schule darf sich damit Smart School nennen und gilt als eine Art Vorbild für andere Schulen in Sachen Digitalisierung. Jasper hat ihre eigene Sicht auf die Digitalisierung von Schulen, die sie in einem Gespräch mit dem Online-Portal „Die Region“ erläutert: Für sie ist Digitalisierung keineswegs ein Selbstzweck, sondern schlicht eine Ergänzung der bisherigen pädagogischen Konzepte. Sie sei ein Werkzeug, mit dem noch besser auf die die Bedürfnisse der Lernenden eingegangen werden kann – auch nach den üblichen 45 oder 90 Minuten und über die Inhalte der Schulbücher hinaus.
Ein großer Vorteil: Die eingesetzten Tools können an den jeweiligen Leistungsstand der Lernenden angepasst werden – sie bekommen genau die Übungen, die sie brauchen. Sie bieten zudem ein direktes Feedback. „Der digitale Werkzeugkasten erweitert den traditionellen Klassenraum um die Vorzüge des digitalen Klassenzimmers“, sagt Jaspers gegenüber dem Portal. Der jederzeit mögliche Zugriff auf Arbeitsmaterialien, Aufgaben oder digitale Medien schaffe zudem Verbindlichkeit. Zettel vergessen gilt nicht mehr.
Allerdings: Die digitale Kompetenz der Schule kommt nicht von ungefähr. Die IGS Lengede wurde bereits im Februar 2017 Projektschule für die niedersächsische Bildungs-Cloud. Und blieb auch auf diesem Weg, obwohl das Land Niedersachen sich in der Folge anders orientierte. Die Schule gewann das private Unternehmen Christmann Informationstechnik als Partner. Zusammen entwickelten Schule und Informatikunternehmen die Lernplattform L3Kids online, die heute die Basis der digitalen Kompetenz der IGS bildet
Digitale Schule braucht spezielle Werkzeuge
Tatsache ist nämlich auch, dass viele Tools, die derzeit in der digitalen Schule eingesetzt werden, noch wenig ausgereift sind. Bisweilen werden schlicht analoge Ansätze 1:1 in die digitale Welt übertragen – etwa indem man PDFs mit Weblinks aufhübscht. Das reicht aber nicht aus. Insbesondere das qualifizierte Feedback, das auf dem Erkennen der Stärken und Schwächen der Schüler beruht, ist immer noch eine Domäne der Lehrerinnen und Lehrer, die digitale Tools bisher kaum gefährden können. Der Diesterweg-Verlag hat mit dem FeedBook eine Anwendung entwickelt, die versucht diese Kluft zumindest ein bisschen kleiner zu machen. Das digitale Englischbuch gibt nicht nur die Rückmeldungen wie „falsch“ oder „richtig“, sondern erklärt auch die zugrunde liegende Regel. Bei Leseverständnis-Aufgaben kann der Algorithmus sogar feststellen, ob wichtige Informationen fehlen und sagt dann wo sie im Text zu finden sind.
Entwicklung von digitalem Unterrichtsmaterial ist komplex
Die Entwicklung von Unterrichtsmaterial, das wirklich Vorteile aus seiner digitalen Natur zieht, kann aber durchaus langwierig sein. Es ist bisweilen notwendig, Grundlagen zu erforschen, und dann auch praxisgerecht umzusetzen – was viel Zeit kostet.
Ein Beispiel hierfür ist das bereits 2016 präsentierte digitale Chemieschulbuch eChemBook, entwickelt vom Leibniz-Institut für Wissensmedien in Kooperation mit der Fachdidaktik Chemie der Leibniz Universität Hannover. Das digitale Lehrbuch, das von Westermann Digital publiziert wurde und nun kostenlos als App für das iPad zum Download angeboten wird, beinhaltet eine ganze Reihe innovativer Komponenten. So können die Lernenden Experimente in Videos verfolgen und gleich auch das Gesehene beschreiben und interpretieren. Abgestufte Hilfsangebote unterstützen dabei. Daneben gibt es interaktive Grafiken, die beispielsweise Experimente zum Thema „Gasdruck“ erlauben. Auch hier gibt es Hinweise für die Lernenden, die sie anleiten sollen. Die Entwicklung des digitalen Buches war letztlich aber ziemlich aufwendig. So aufwendig, dass derzeit nicht an eine Fortschreibung des Prototyps gedacht ist.
Digitale Schulen in Nachbarländern als Vorbild?
Bei der Entwicklung von digitalen Lernmethoden lohnt es sich deshalb bisweilen, einen Blick in die Nachbarländer zu werfen. Laut der internationalen Schulleistungsstudie ICILS verwenden in Dänemark heute 81 Prozent der Schüler im Unterricht täglich digitale Medien. Nach Expertenmeinung sind die Dänen der Entwicklung in Deutschland in Sachen Digitalisierung in der Schule um 20 Jahre voraus. Es könnte sich deshalb lohnen, diesen Erfahrungsschatz anzuzapfen. Auch digitale Räder muss man ja nicht zwei Mal erfinden.
Wir sind immer noch weiter hinter dem wo wir stehen müssten um wirtschaftlich auf Dauer mithalten zu können. Es gilt weiter aufzuholen – da sind 186.000 Euro pro Schule wohl zu wenig.
Was zuviel und was zuwenig ist, finden wir immer schwer zu beurteilen. Das kommt auf die Umstände an. Klar ist aber: Wir sind auf einem Marathon und sollten einen Weg finden im Bildungswesen die Dinge konsequent voranzubringen. Das gilt für Geld. Das gilt aber auch für die handelnden Personen. Danke für den Kommentar.