Digitalisierung ist für die Städte der Zukunft überlebensnotwendig.

Smart Cities: Der steinige Weg von Städten nach Digitalien

Nicht zuletzt Corona hat gezeigt, wie wichtig es ist, dass Bürger die Dienstleistungen der städtischen Verwaltung auch online, von zu Hause nutzen können. Auf der anderen Seite gilt Corona auch als Brandbeschleuniger der Digitalisierung: Videokonferenzen statt Dienstreisen, Online-Events statt physische Messen – vieles bewegte sich auf einmal viel schneller in Richtung Digital als man noch vor zwei Jahren jemals gedacht hätte. Dies gilt auch für Städte. Sie müssen nun voll auf Digitalisierung setzen und zu Smart Cities werden – aber auch Defizite bei diesem Thema wurden überdeutlich.

Aufmacherbild: tumisu (Pixabay)

Die Pandemie hat wichtige Schritte in Richtung Digitalisierung beschleunigt, andererseits aber auch Schwachstellen und Herausforderungen gnadenlos sichtbar gemacht. Diese Ambivalenz und ihre Auswirkungen auf viele Branchen wollen wir in den nächsten Monaten im Rahmen einer großen Serie ausführlich ausleuchten. „Wohin geht es in Digitalien?“ wird mit seinen ersten regulären Folgen in Kürze hier auf Intelligente-Welt.de starten.

In diesem Beitrag wollen wir dabei den Stand der Dinge bei „Smart Cities“ unter die Lupe nehmen. Damit ist dieser Artikel eine Art „Soft Launch“ unserer Digitalisierungs-Serie. Denn smarte Städte sind auf einen Seite ein extrem breites Thema. Auf der anderen Seite aber auch wieder ein recht spezielles Feld. Deshalb haben unsere Bestandsaufnahme zu Smart Cities quasi als Vorkonzert der neuen Serie vorangestellt.

Mehr Klimaschutz durch Digitalisierung

Tatsächlich ist „Smart City“ ein schwieriger Begriff – einerseits ein Buzzword, das schon seit dem Jahrtausend-Wechsel im Umlauf ist; andererseits nicht wirklich klar definiert. Fast jeder, der den Betriff nutzt, versteht darunter etwas anderes. Aus Sicht der Einwohner einer Stadt kann man aber festhalten – und ein Stück weit fordern: Es geht um Digitalisierung – die im Alltag des Stadtlebens mehr Lebensqualität bringen soll.

Wenn man die Menschen in den Städten fragt, so haben diese recht konkrete und durchaus aktuelle Vorstellungen, wohin der Weg zur Smart City sie führen soll. Laut einer Umfrage des Branchenverbands Bitcom sehen sie in der Digitalisierung vor allem eine Chance auf mehr Klimaschutz und Komfort am Wohnort. So wünschen sich 92 Prozent eine intelligente Straßenbeleuchtung, die ihre Helligkeit automatisch an den aktuellen Bedarf anpasst, statt sich zu einer festen Uhrzeit an- oder auszuschalten. Fast ebenso viele, nämlich 91 Prozent, wollen dass eine emissionsarme und platzsparende Zustellung von Paketen per E-Bikes an ihrem Wohnort eingeführt werden soll.

Wenig begangene Wege bieten ein hohes Optimierungspotential durch eine intelligente Beleuchtung.
Wenig begangene Wege bieten ein hohes Optimierungspotential durch eine intelligente Beleuchtung. Bild: TheOtherKev (Pixabay)

Bürgerwunsch: Smart Cities sollen Behördengänge vereinfachen

Daneben wünschen sich die Bewohner der Städte aber vor allem auch einen erleichterten Zugang zu den Behörden. So plädieren 81 Prozent der 1004 Befragten für einen digitalen Mängelmelder. Mehr als die Hälfte, nämlich 56 Prozent, wollen Zugang zu aktuellen Umweltdaten in ihrer Umgebung. Und nicht zu vergessen: der Zugang zu digitalen Verwaltungsleistungen, den sich 78 Prozent der Befragten wünschen. Immerhin, so hat der Bitkom herausgefunden, dauert ein „analoger“ Behördengang im Schnitt zweieinhalb Stunden. Daran hat die Bearbeitung des Anliegens gerade mal einen Anteil von 25 Minuten. Der Rest entfällt auf Anfahrt und Wartezeiten.

In Smart Cities haben Aktenberge ausgedient.
In Smart Cities haben Aktenberge ausgedient. Bild: Birgit Böllinger (Pixabay)

Und wenn Corona auch sonst wenig Gutes bewirkt hat: Der digitalen Verwaltung hat die Pandemie einen Schub gebracht. So hat der Bitkom auch erhoben, dass fast die Hälfte der städtischen Verwaltungen (47 Prozent) seit den ersten Lockdowns neue digitale Angebote für Bürger eingeführt hat. Und jeder fünfte Bundesbürger (22 Prozent) hat diese neuen Angebote auch schon genutzt,

Internet der Dinge als Schlüsseltechnologie für Smart Cities

Das bedeutet aber im Gegenzug auch: In mehr als der Hälfte  der Städte hat sich nichts oder nur sehr wenig getan, trotz Corona. Dabei ist „smart“ zu werden für alle Städte essenziell. Und zwar nicht nur um die Wünsche ihrer Bürger zu befriedigen, sondern vor allem auch um ihre Aufgaben auch in Zukunft effizient und kostensparend erledigen zu können.

Eine der Schlüsseltechnologien ist das Internet der Dinge, englisch abgekürzt IoT.  Für die Vernetzung von Sensoren und ihre Anbindung an zentrale Rechner gibt es natürlich auch in Städten unzählige Anwendungsgebiete. Als Übertragungstechnik kommt dabei vor allem das energiesparende NarrowBand IoT (NB-IoT) zum Einsatz.  NB-IoT ist eine sogenannte Low-Power-Wide-Area-Technologie (LPWA) – der Funkstandard verbindet niedrigen Energiebedarf mit guter Gebäudedurchdringung und hoher Reichweite. Zudem bietet diese Technik Batterielaufzeiten von bis zu zehn Jahren und hat selbst mit dicken Betonmauern kaum Probleme. Sie ist damit maßgeschneidert für das schmalbandige Internet der Dinge – in der Regel müssen Sensoren nur vergleichsweise geringe Datenmengen übertragen. Ein weiterer Vorteil von NB-IoT: Die Kommunikation funktioniert auch international und deckt in Deutschland schon heute mehr als 90 Prozent der Fläche ab. Alternativ oder ergänzend soll aber auch die neue Mobilfunktechnik 5G zur Übertragung genutzt werden.

NB-IoT ist auch für den Einsatz hinter dicken Beton-Mauern geeignet, wie etwa hier in einer Tiefgarage.
NB-IoT ist auch für den Einsatz hinter dicken Beton-Mauern geeignet, wie etwa hier in einer Tiefgarage. Bild: Peter H (Pixabay)

Santander als Vorreiter bei der Digitalisierung

IoT bietet Städten eine Fülle von Möglichkeiten.  Die spanische Stadt Santander zeigt schon heute, was alles möglich ist. So misst die Kommune per Funk den Füllstand der über die Stadt verteilten  Abfallbehälter . Die Leerung erfolgt „auf Zuruf“ und nicht mehr zu fixen Abholzeiten. Ein Algorithmus berechnet dafür die effizienteste Route. Das spart Zeit und Energie und vermeidet auch Beeinträchtigungen des Stadtbilds durch überquellende Papierkörbe. Quasi nebenbei  können Temperatursensoren erkennen, falls Abfallkörbe zu brennen beginnen – etwa durch nicht richtig ausgedrückte Zigaretten.

Ebenfalls in Santander bereits realisiert: die in Deutschland noch raren „mitdenkenden“ Straßenlaternen. Sie registrieren, ob Fußgänger vorbeigehen und  passen automatisch ihre Helligkeit an. Das spart Strom, reduziert die Lichtverschmutzung und vermittelt auch ein erhöhtes Sicherheitsgefühl.

Dank stromsparender LED-Technik sollen die Straßenlaternen in Zukunft den von ihnen benötigten Strom sogar selbst erzeugen können. Sie sind dann auch als gut geeignete Antennenstandorte für 5G im Visier der Mobilfunker.  Weitere wichtige Anwendungen der NB-IoT-Sensoren sind Schadstoffmessungen, Smart Parking, Straßenzustandsmelder oder auch Energieverbrauchs-Monitoring – etwa in Schwimmbädern,  Solar- Pump- und Kläranlagen.

In Smart Cities läßt sich der Energieverbrauch von städtischen Einrichtungen wie Schwimmbädern zentral überwachen und optimieren.
In Smart Cities läßt sich der Energieverbrauch von städtischen Einrichtungen wie Schwimmbädern zentral überwachen und optimieren. Bild: Peggy und Marco Lachmann-Anke (Pixabay)

Hitparade der Smart Cities

Unter den großen Städten der Welt ist mittlerweile ein regelrechter Wettkampf ausgebrochen, bei dem es um die Umsetzung der besten Ideen geht. Unterschiedliche Institutionen, wie etwa die private Wirtschaftshochschule IMD (International Institute for Management Development) oder die Unternehmensberatung Roland Berger versuchen die Bemühungen der Städte qualitativ zu erfassen und ein Ranking zu erstellen. Diese Rankings sind untereinander aber nicht unbedingt vergleichbar – zu unterschiedlich sind die Kriterien und Gewichtungen.

So sieht etwa IMD in seinem Smart City Index 2020 Singapur, Helsinki und Zürich auf den Plätzen 1 bis 3. Das bei Roland Berger 2019 im Smart City Strategy Index auf Platz Eins gerankte Wien liegt bei IMD nur auf Platz 25 von 109. Beste deutsche Stadt ist bei IMD München auf Platz 11, danach kommt Hamburg auf Platz 22. Hamburg wiederum hat beim nationalen Ranking der Bitcom, das sich ebenfalls Smart City Index 2020 nennt, die Nase vorne – wenn auch nur knapp.

Singapur ist für IMD die Nummer Eins unter den Smart Cities.
Singapur ist für IMD die Nummer Eins unter den Smart Cities. Bild: Pexels (Pixabay)

Hier punktet Hamburg vor allem mit intelligenten Verkehrssystemen. Die Stadt setzt derzeit rund 60 Projekte um, die beispielsweise den autonomen Busverkehr, intelligentes Parken oder eine Baustellenkoordinierung erproben. Das Geheimnis des Erfolgs der Hansestadt ist wohl auch eine behördenübergreifende Zusammenarbeit in der Verwaltung, was die Umsetzung der smarten Ziele beschleunigt und deutlich erleichtert.

Songdo: Die wenig smarte City

Doch ebenso wichtig ist es, die Ziele auf dem Weg zur Smart City  sorgfältig zu wählen und dabei auch die Wünsche der Bürger zu berücksichtigen. Eine reine Top-Down-Strategie – also Vorgaben und Projekte auf den oberen Verwaltungsebenen, die sich dann schon irgendwie „nach unten“ weiterverbreiten sollen – kann ziemlich schnell scheitern. Wie etwa bei der südkoreanischen Retortenstadt Songdo. Sie wurde Anfang der 2000er Jahre auf dem Reisbrett entworfen und sollte eine Art Blaupause für andere Smart Cities  werden. Eigentlich hatte sie die Digitalisierung regelrecht in ihren Genen. So gibt es etwa ein System, das Fassaden scannt und automatisch Brände entdecken kann. In den Appartements ist fast alles per Tablet steuerbar, selbst der Aufzug lässt sich so rufen.

Aber die schöne digitale Welt hat auch ihre Schattenseiten. So gibt es zwar fast 1000 Kameras in der Stadt, die für eine Optimierung des Verkehrsflusses sorgen sollen. Doch sie scannen auch jedes Nummernschild der Autos, die über eine der fünf Brücken in die Stadt fahren. Nur zur Sicherheit natürlich. In ganz Songdo lauscht eine KI den Stadtgeräuschen. Streit, Autocrashs oder splitterndes Glas alarmieren automatisch Einsatzkräfte. Nicht jeder kann sich mit diesem „Big Brother“- Konzept anfreunden – selbst in Südkorea nicht.

Wer Müll entsorgen will, muss sich mit einem Chip identifizieren. Erst dann öffnet sich eine Klappe, der Abfall wird zur zentralen Entsorgung abgesaugt. Aber wer nicht richtig getrennt hat, kann Ärger mit der Stadtverwaltung bekommen. Und dummerweise passen die Styropor-Boxen, in denen gekühlte Produkte geliefert werden, nicht hinein. Sehr ungünstig in einem Land, in dem Lieferservices eine überaus wichtige Rolle spielen. Die Boxen stapeln sich deshalb vor dem Einwurf.

Der Top-Down-Ansatz von Songdo funktioniert nicht wirklich.
Der Top-Down-Ansatz von Songdo funktioniert nicht wirklich. Bild: GwangwonArtHall (Pixabay)

Keine Mechanismen zur Optimierung der Verwaltung

Darüber hinaus haben die Stadtplaner wohl auch vergessen, sich ein überzeugendes Energiesparkonzept einfallen zu lassen – heute eine der wohl wichtigsten Aufgabe für Smart Cities. Immerhin entfallen rund 70 Prozent des weltweiten Energieverbrauchs und rund 75 Prozent der entstehenden Emissionen auf städtische Gebiete. Ein umfangreicher Einsatz von Solarzellen wie in Songdo genügt nicht als Lösungskonzept – viel mehr hat die aktuelle Umsetzung aber nicht zu bieten.

Auch Mechanismen zur Optimierung der Verwaltung und ein zufriedenstellendes Verkehrskonzept für die Anbindung an die nahe Hauptstadt Seoul vermissen die Bürger der Stadt. Trotz optimaler Startvorraussetzungen – so richtig smart ist Songdo also nicht. Was sich auch in der Bevölkerungsstatistik niederschlägt: Die Stadt ist für 260.000 Einwohner ausgelegt, derzeit wohnen dort aber nur 150.000 Menschen. Eine Rolle spielen dabei wahrscheinlich die hohen Lebenshaltungskosten  – die aufwändige Technik will nämlich auch bezahlt werden.

Digitalisierung: Politik der langsamen Schritte

Mit diesem Beispiel wird klar, dass sich Städte  dem Ziel, eine Smart City zu werden, sinnvollerweise Schritt für Schritt nähern. Dabei sollten sie ihren Weg immer mal wieder überprüfen. Dabei können sie aber wiederum von den Erfahrungen anderer Städte lernen. So fand etwa im Oktober 2021 in Berlin die smart country convention statt, bei der erfolgreiche Projekte vorgestellt und diskutiert wurden. Auch die  EU fördert die Möglichkeit, gemeinsame Projekte auszuprobieren und zu entwickeln. So wurde etwa das FABULOS-Projekt – ein selbstfahrender E-Bus für die Überbrückung der letzten Meile – in Finnland, Norwegen, Griechenland, Estland und den Niederlanden im Alltag getestet. Eines der Ergebnisse: Neben technischen Problemen müssen auch die entsprechenden rechtlichen Rahmenbedingugnen für die Nutzung geschaffen werden. Und damit sind auch die Politik in Brüssel wie auch in Berlin gefordert, beim smarten Digitalisieren mitzudenken.

 

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