Messen und Konresse haben stark unter Corona zu leiden gehabt

Wohin geht es in Digitalien? Folge 1, Messen & Events: Hybride Messen – das beste aus zwei Welten

Vom Gastgewerbe über das Bildungswesen bis hin zum Geschäftsalltag: Corona hat die Art, wie wir leben und arbeiten deutlich verändert.  Die Digitaltechnik hat mächtig an Einfluss gewonnen. Doch nicht alles ist gekommen, um zu bleiben. In unserer Serie „Wohin geht es in Digitalien“ untersuchen wir, am Beispiel verschiedener Branchen und Lebensaspekte, welche der neuen Trends sich durchsetzen werden – und welche vielleicht auch nicht. Den Anfang machen wir mit der Messe- und Event-Branche – und dort mit den sogenannten hybriden Messen.

Aufmacherbild: (C) Wolfgang Korne

Es gibt kaum eine Branche, die das Corona-Virus mehr  getroffen hätte als die Messeindustrie. Laut Statista wurden allein im Jahr 2020 in Deutschland 351 Messen abgesagt, 343 weitere verschoben. Das Research Institute for Exhibition and Live-Communication (RIFEL) schätzt den dadurch entstandenen Schaden auf rund 1,6 Milliarden Euro. Weltweit sind die Umsätze der Messebranche im ersten Halbjahr 2020 um Zweidrittel eingebrochen. Die Branche versuchte sich mit  rein virtuellen Messen zu retten. Aber wie gut funktioniert das?

Messen kosten viel  Zeit und Geld

Schon vor der Corona-Krise ging es vielen Messen nicht besonders gut: Viele von ihnen litten an Aussteller- und Besucherschwund.  So musste etwa die CeBit, einst die weltweit größte Messe für Informationstechnik, nach über dreißig Jahren aufgeben. Auch viele kleinere Messen, wie die Power Days in Österreich, eine Fachmesse für die Elektrobranche, hingen und hängen immer noch am seidenen Faden.

Auch die Hannover Messe litt unter schwindenden Besucherzahlen. 2018 war dann endgültig Schluss.
Auch die traditionsreiche CeBIT litt unter schwindenden Besucherzahlen. 2018 war dann endgültig Schluss. Bild: Messe Hannover

Der Grund dafür ist einfach: Solche Branchentreffs bedingen einen beträchtlichen finanziellen, zeitlichen und logistischen Aufwand. Einen Aufwand, den viele Unternehmen nicht mehr bereit sind zu betreiben.  Zumal der Erfolg sich oft nicht mit Zahlen belegen läßt. Auch für die Besucher der Messe stellt sich oft die Frage nach dem Nutzen.  Während eines Messebesuchs fehlen sie ihren Unternehmen zu Hause – zudem produziert der Besuch Reisekosten, die sich manche Firma  sparen möchte.

Virtuelle Messen, also Veranstaltungen, bei denen sich die Besucher einfach über das Netz zuschalten und mit den Ausstellern vernetzen können, minimieren nicht nur das Gesundheits- und Absage-Risiko, sie helfen auch Zeit und  Reisekosten  zu sparen. Auch für die Aussteller sind die Kosten deutlich niedriger.  Doch die Vorbehalte gegen diese Form von Veranstaltungen  sind groß: Der persönliche Kontakt erscheint essenziell. Und virtuelle Besucher langweilen sich schnell – dann sind sie sofort wieder weg, und beim nächsten Mal kommen sie vielleicht gar nicht mehr.

Corona: Neue Chance für virtuelle Messen

Die Corona-Krise zwang jedoch dazu, diese Bedenken in Frage zu stellen. Die virtuelle Messe bekam ihre Chance. Allerdings zunächst in eher bescheidenem Umfang. So probierten 2020 gerade mal 37 Veranstalter in Deutschland ein virtuelles oder hybrides Konzept aus. Und es zeigte sich sehr schnell, dass die Ideen nicht  so leicht  umzusetzen waren, wie erhofft. So versuchten etwa Autokonzerne Journalisten mit Videobrillen und viel Technik virtuelle Testfahrten zu vermitteln. Was ungefähr genauso viel bringt wie einen Flippertisch auf ein PC-Monitor zu kopieren – es fehlt einfach das physische Gefühl, und damit die wichtigen Emotionen.

Auch die Frankfurter Buchmesse versuchte es 2020 mit einem virtuellen Konzept. Doch sie hatte dabei gravierende Probleme es umzusetzen. Die Messe lebt davon, dass es Autoren zum Anfassen und Bücher zum Schmökern gibt. Und die Branche trifft sich dort um hinter verschlossenen Türen über Lizenzen zu verhandeln – alles Dinge  die digital nur schwer zu umzusetzen sind. Kein Wunder, dass die Messe bis zuletzt an einer Präsenz-Veranstaltung festgehalten hat – wie 2021 übrigens auch. Der schnelle Wechsel in die virtuelle Welt führte zudem dazu, dass vieles wenig durchdacht wirkte. Die Livestreams der Lesungen, die zum Teil aus Berlin zugespielt wurden, ließen am Ende Besucher und  die wenigen verbliebenen Aussteller enttäuscht zurück.

Virtuelles Konzept selbst für Gamescom schwierig

Aber auch technikaffine Veranstalter hatte ihre liebe Mühe mit dem virtuellen Konzept.  Man könnte denken, dass gerade eine Messe für Computergames wie die Gamescom in Köln diesen  Schritt noch am einfachsten vollziehen könnte. Doch selbst diese hatte bei ihrer rein digitalen Premiere zu kämpfen. Etwa mit ruckelnden Lifestreams. Und die Fans beklagten sich, dass sie die Spiele nicht testen konnten. Der Festival-Charakter ging ohnehin flöten.

Die Gamescom musste auch in diesem Jahr als virtuelle Veranstaltung über die Bühne gehen.
Die Gamescom musste auch in diesem Jahr als virtuelle Veranstaltung über die Bühne gehen. Screenshot: IW

Trotzdem zogen die Veranstalter eine positive Bilanz. Immerhin kamen die virtuellen Besucher aus 180 Ländern rund um den Globus. Die Messe war damit so international wie nie zuvor. Und zur Eröffnung hatten sich bis zu 2 Millionen Fans gleichzeitig in den Livestream eingeklinkt.

Die positiven Aspekte der Digitalisierung wollte die Gamescom auch in das Jahr 2021 mitnehmen. Geplant war eine hybride Veranstaltung – eine Mischung, bei der sowohl die Party People vor Ort als auch die Gamer rund um den Globus auf ihre Kosten kommen sollten. Doch Corona machte den Veranstaltern auch in diesem Jahr wieder einen Strich durch die Rechnung. Zum zweiten Mal hintereinander war die Gamescom ein rein virtuelles Event.

Die Lösung: hybrid statt rein virtuell

Aber aufgeschoben ist nicht aufgehoben. Nach einer Umfrage des Weltmesseverbands UFI im Juli letzten Jahres unter 459 Firmen aus der Messebranche in 62 Ländern glauben über 56 Prozent der Branchenvertreter, dass die Coronakrise die Messewirtschaft dauerhaft verändern wird. Sie gehen davon aus, dass es weniger internationale Messen vor Ort und weniger Teilnehmer geben wird. 82 Prozent erwarten zudem einen Schub für hybride Messen und digitale Elemente. Ein ähnliches Bild ergibt eine Umfrage  des Bitkom unter deutschen Unternehmen. Hier sind es sogar 85 Prozent, deren Erwartungen in die beschriebene Richtung gehen.

Eine Umfrage der Bitkom zeigt: Deutsche Unternehmen erwarten, dass durch Corona digitale und hybride Messeformate einen Schub erfahren werden.
Eine Umfrage der Bitkom zeigt: Deutsche Unternehmen erwarten, dass durch Corona digitale und hybride Messeformate einen Schub erfahren werden. Screenshot: IW

Die Prognose  ist zum Teil bereits  Wirklichkeit. So hat etwa Mitte Juni Klaus Dittrich, Chef der Münchner Messe, verkündet, in Zukunft nur noch hybride Messen veranstalten zu wollen. Und auch die Hannover Messe schwenkte bereits auf diesen Kurs ein: „Künftig werden wir die Inhalte der Hannover Messe digital verlängern oder mit digitalen Formaten einzelne Trends oder Themen aufgreifen“, so Jochen Köckler, Chef der Deutschen Messe AG anlässlich der Digital Days – der Digital-Veranstaltung der Hannover Messe im vorigen Jahr.

Hybride Messen kombinieren das Beste aus zwei Welten

Die Versuche mit rein virtuellen Messen haben gezeigt, dass ein solches Konzept nicht  erfolgversprechend ist:  Der direkte Kontakt, die reale Präsentation von Neuheiten und die Gewinnung neuer Kunden sind und bleiben die wichtigsten Faktoren  für einen Messerfolg. Die großen und führenden Präsenzmessen werden ihre Bedeutung deshalb wohl behalten. Doch digitale Komponenten bieten gleichzeitig die Möglichkeit,  Kosten zu sparen und die Umwelt zu schonen. Deshalb werden virtuelle Technologien die Präsenzmessen zwar wohl nicht ersetzen, aber sie können sie sinnvoll ergänzen. So dürften viele hybride  Messe-Konzepte entstehen, die das Beste aus den zwei Welten vereinigt.

Vor allem kleine und mittlere Unternehmen profitieren von hybriden Messen. Sie haben die Möglichkeit, Kundengespräche auf dem möglicherweise verkleinerten Messestand zu führen. Gleichzeitig können sie auch virtuelle Messebesucher als potenzielle Geschäftskontakte gewinnen. Die dazu notwendigen technischen Vorrausetzungen sind heute schon vielfach gegeben. Wer etwa eine Präsentation auf einer Bühne zeigt, kann diese auch auf einer Leinwand vorführen. Von dort ist es nur noch ein kleiner Schritt zu einem Lifestream im Netz.

Der Austausch auf Messen ist durch nichts zu ersetzen und damit auch wichtigster Teil des hybriden Konzepts.
Der Austausch auf Messen ist durch nichts zu ersetzen und damit auch wichtigster Teil des hybriden Konzepts. Bild: w.korne

Umdenken ist angesagt

Um das Konzept einer hybriden Messe  umzusetzen, müssen  die Aussteller ihre Präsentationen neu denken. Sie müssen ihre Standkonzepte für beide Welten gleichzeitig entwickeln. Dabei gilt es vor allem die Grundfunktion einer Messe im Auge zu behalten: den Gedankenaustausch. Und der bedingt eine bidirektionale Kommunikation.

Eine der offensichtlichsten Methoden hierfür sind digitale Besprechungsräume. Sie können zur Beratung der virtuellen Besucher durch Experten, zur Produktpräsentation – aber auch für Hintergrundgespräche mit Medien und Geschäftspartnern genutzt werden. Whiteboard-Tools helfen bei der Visualisierung. Der umgekehrte Weg funktioniert natürlich auch: So lassen sich Experten am Firmenstandort zuschalten, um Messebesucher zu beraten. Möglich ist sogar, dass einzelne Promotoren einen Standrundgang durchführen, der dann an die virtuellen Besucher gestreamt wird. Fragen werden über einen Chat beantwortet. Jeder, der im Homeoffice bereits gearbeitet hat, kennt die Technik. Die dafür benötigten Plattformen gibt es bereits. Sie heißen Zoom oder GotoWebinar.

Lösungen für hybride Messen aus dem Baukasten

Die Deutsche Messe AG in Hannover, Veranstalter der bereits vor Corona zu Grabe getragenen CeBIT, hat sich viele Gedanken über ihre eigene Zukunft und die ihrer Kunden und Produkte gemacht. Herausgekommen ist dabei unter anderem die „Media Factory“ – in zwölf Studios und Co-Working-Spaces produziert die Deutsche Messe mit Partnern wie der Agenturgruppe tagg-s und dem 3D-Spezialisten Dassault Systèmes digitalen Content für Marken- und Produktpräsentationen. Als Team bilden 15 Spezialisten einen Kreativ-Hub und sind sowohl einzeln als auch als Gruppe buchbar. Dabei sind etwa Videoproducer, Grafikdienstleister und Moderatoren, aber auch Blogger, XR-Dienstleister und Social Media Agenturen. Im Kundenauftrag produzieren sie maßgeschneiderte Inhalte für digitale und hybride Messeauftritte.

Unternehmen wie etwa Studio 2038 oder ExpoCloud  bieten  Baukasten-Lösungen für hybride Messen. Sie digitalisieren von CAD-Systemen erstellte Messestände  und machen sie im Netz abrufbereit.  Für die Besucher können sogenannte Interaktionspunkte hinzugefügt werden. Sie können sich dort etwa weiterführende Informationen herunterladen oder an Gewinnspielen teilnehmen. Analysefunktionen werten die Aktionen der Besucher aus. Der virtuelle Stand hat dabei grundsätzlich Zugriff auf alle Ressourcen und Inhalte des Internets. Das hilft auch dabei, den Auftritt preisgünstig umzusetzen – denn bereits vorhandene Daten und Inhalte lassen sich problemlos einbinden.

Virtuelle Stände können mit Interaktionspunkten versehen werden.
Virtuelle Stände können mit Interaktionspunkten versehen werden. Grafik: Studio 2028

Mit virtuellen Komponenten neue Interessenten erreichen

Ein solcher virtueller Messestand ist kein Ersatz für einen in der realen Welt. Und er ist sicher auch nicht gleich gut für alle ausstellenden Branchen geeignet. Aber für viele Unternehmen ist er eine sinnvolle Ergänzung zur eigenen Ausstellungspräsenz. So bietet er die Möglichkeit, bereits vor der Messe eine Preview zu geben und die Besucher durch spezielle Inhalte und Interaktionsfunktionen neugierig zu machen. Während der Messe kann er weiterführende Informationen zur Verfügung stellen oder auch der Platz für gezielte Marketingkampagnen sein. Und nach der Messe kann ein virtueller Stand eine Alternative oder Ergänzung zu einer konventionellen Homepage sein  – und damit ein starkes Hilfsmittel für den Vertrieb.

Für Verschmelzung der virtuellen und realen Welt gibt es viele weitere Ideen. So können beispielsweise vor der Messe Muster an Besucher verschickt werden, die dann gemeinsam mit einem Mitarbeiter begutachtet oder getestet werden. Denkbar ist auch, dass kleine Snack-Pakete im Vorfeld verteilt werden, die dann zusammen mit den Besuchern vor Ort in einer virtuellen Lounge zum gemütlichen Smalltalk einladen. Und ein Unterhaltungsprogramm kann auch den eher „langweiligen“ virtuellen Messebesuch auflockern. Ideen gibt es viele. Und die hybride Messe steht ja erst am Anfang ihrer Entwicklung.

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert