Im Internet geht ein neuer Hype um: Non Fungible Token oder kurz NFT machen aus ganz gewöhnlichen Dateien einzigartige Kunstwerke – für die einzigartige Beträge gezahlt werden, gerne auch mal zweistellige Millionensummen. Aber eigentlich sind die NFT gar nicht unbedingt als Spekulationsobjekte gedacht.
Aufmacherbild: Marco Verch/CC-BY 2.0
Spätestens seit dem 11. März dieses Jahres ist klar: NFT sind das nächste große Ding im Internet. An diesem Tag hat ein ansonsten eher schlecht gelaunter Webkünstler namens Beeple richtig Geld gemacht: Vignesh Sundaresan und Andand Venkateswaran aus Singapur haben ihm eine elektronische Collage aus 5000 einzelnen Bildern für mehr als 69 Millionen Dollar abgekauft – rund 59 Millionen Euro. Die beiden Käufer erhielten dafür im Gegenzug lediglich eine Datei – und einen sogenannten NFT.
NFT: das elektronische Echtheitssiegel
Das Kürzel NFT steht für „Non Fungible Token“. Der Begriff Fungibilität stammt aus der Rechtswissenschaft und bezeichnet die Austauschbarkeit von Gütern. Ein Kilo Gold etwa ist austauschbar. Oder auch die drei Eier, die Sie der Nachbarin leihen. Non-Fungible Güter sind im Gegensatz dazu einzigartig und nicht austauschbar. Etwa die Mona Lisa oder aber auch die hübsche Villa am Strand.
Damit aus einer beliebig oft kopierbaren Datei ein einzigartiges, „non fungible“ Kunstwerk wird, erhält sie eine kryptographische Signatur – ein NFT. Dazu registriert der Künstler sein Kunstwerk in einer Blockchain. Durch diesen Prozess wird der NFT erzeugt, der die Datei eindeutig identifiziert und gleichzeitig als fälschungssichere Besitzurkunde dient. Dieses Paket lässt sich dann wie etwa ein Originalgemälde kaufen und verkaufen
Blockchain und der Geruch des Geldes
Auch wenn dies keineswegs festgeschrieben ist, wird derzeit als Blockchain fast ausschließlich Ethereum genutzt. Ethereum ist die zweitgrößte Krypto-Währung der Welt, was sicher einen Teil der Faszination von NFT ausmacht – NFT surfen auf der Hype-Welle virtueller Währungen wie Bitcoin. Ethereum und viele kleine Verwandte erzielen immer abstrusere Kursrekorde. Manche sehen sie als die Währung der Zukunft. Hier riecht es nach Geld, nach viel Geld.
Das Grundprinzip der Blockchain geht sogar weit vor das digitale Zeitalter zurück. Der Italienische Philosoph Maurizio Ferraris hat es mit einem Kerbstock verglichen: „Bei dieser genauso primitiven wie raffinierten Technik werden zwei Stöcke nebeneinandergelegt und quer eingeritzt, wobei jede Kerbe einer Schuld entspricht. Der Gläubiger nimmt einen Stock, der Schuldner den anderen. Der Gläubiger wird keine Kerbe hinzufügen und der Schuldner keine beseitigen können, da der Vergleich der zwei Stöcke die Fälschung sofort offenbaren würde.“ Die Blockchain ist für ihn nichts anderes als ein auf unzählige Computer ausgeweitetes solches Kerbholz. Natürlich ist das das Ganze tatsächlich um einiges komplizierter, aber im Prinzip funktioniert es genauso.
Rarible, KnownOrigin & Co: Verknappung als Prinzip
Aber auch die Idee, elektronische Kunst mit einem NFT zu signieren und dann auf dem virtuellen Markt anzubieten, ist nicht neu. Sie existiert praktisch seit es Blockchains gibt. Längst gibt es im Netz Börsen wie etwa Rarible, KnownOrigin oder Async, der nach eigenen Angaben größte Marktplatz heißt OpenSea. Wer jetzt die Hoffnung entwickelt, seine selbst erstellten JPEGs oder GIFs für viel Geld verkaufen zu können, wird aber schnell enttäuscht werden. Getreu dem Prinzip der Verknappung ist es ziemlich mühsam. in den erlauchten Kreis der Künstler aufgenommen zu werden, die ihre Kunstwerke auf diesen Plattformen anbieten dürfen.
Blockchain erzeugt hohe Nebenkosten
Und die, die verkaufen dürfen, werden damit auch nicht unbedingt reich. Denn auch wenn es deutliche Ausreißer nach oben gibt, gehen die meisten der auf den Plattformen angebotenen Kunstwerke für Beträge unter 1000 Euro weg, viele auch unter 100 Euro. Bezahlt wird in der Regel in Krypto-Währungen. Wer kaufen will muss also erst Mal Geld „wechseln“. Für den Wechselvorgang und vor allem auch für den Kaufvorgang über die Blockchain werden bisweilen hohe Gebühren fällig, die besonders bei geringen Kaufpreisen ein Vielfaches des eigentlichen Rechnungsbetrags ausmachen können.
Jede Transaktion muss nämlich verschlüsselt und in der gesamten Blockchain verteilt werden. Dieser Vorgang ist extrem ressourcenintensiv und kostet Unmengen an Strom. Übrigens ein oft genanntes Argument von Blockchain-Gegnern. Diesen Vorgang wickeln die sogenannten Miner ab. Sie erhalten dafür Geld – die sogenannten Gaskosten. Und die steigen und steigen – die Nachfrage bestimmt den Preis. Für die Entstehung eines Massenmarktes ist das eher hinderlich.
Sammler treiben den Markt
Das stört Sammler und Spekulanten jedoch eher wenig. Sie investieren weiter in die digitale Kunst. So wurden etwa Bilder, die eine KI mit Roboterarm gemalt hat, für über eine Million Dollar (840.000 Euro) verkauft. Allein das Selbstbildnis des Roboters war Käufern rund 680.000 Dollar (rund 578.000 Euro) wert. Vignesh Sundaresan und Andand Venkateswaran, die viel von ihrem Geld mit Krypto-Währungen gemacht haben, stellen ihre NFT-Sammlung bereits in der virtuellen Welt Cryptovoxels aus. Dort kann man sich wie einst bei Second Live virtuelle Gebäude für echtes Geld kaufen.
Bereiten NFT den Weg für Web3?
Aber Second Live ist ja längst Geschichte, und auch der Hype um Krypto-Kunst könnte schon wieder rückläufig sein – zumindest, wenn man die zuletzt erzielten Preise betrachtet.
Das ändert jedoch nichts an der potentiellen Bedeutung von NFT jenseits der Kunstszene. Für die Krypto-Szene sind die Token nicht mehr und nicht weniger als der Start für eine neue Generation des Internets: das Web3. Das Hauptmerkmal: Das Internet und vor allem die Datenverwaltung werden wieder dezentral. Die damit verbundene Hoffnung: Konzerne wie Google, Facebook oder Amazon könnten an Bedeutung verlieren.
Bands und Fans, Seite an Seite
Was eher theoretisch klingt, könnte gewaltige Vorteile bringen, etwa auch für die Musiker. Denn so wie man Bilder mit einem NFT einzigartig machen kann, könnte man das zum Beispiel auch mit Alben machen. Es entstehen einzigartige digitale Sammlerstücke – sozusagen handsignierte Exemplare. Die Künstler könnten sie auf eigene Rechnung verkaufen, ohne, dass ein Plattenlabel oder auch Streaming-Plattformen wie Spotify oder Deezer mitverdienen. Hinzu kommt, dass diese Plattformen derzeit (noch) mit ihren Algorithmen bestimmen, was ein Hit wird, und was nicht. Auch das könnte sich so in Zukunft ändern.
Kings of Leon spielen ganz vorne mit
Einer der Vorreiter sind die Kings of Leon. „When You See Yourself“ war das erste Pop-Album überhaupt, das es auch mit NFT zu kaufen gab. Das Album wurde bis 19. März 2021 als „NFT Yourself“ verkauft. Für 50 Dollar bekam man nicht nur einen Download, exklusives Artwork und eine limitierte Vinyl-Ausgabe, sondern eben auch den Token als Sammlerstück. Daneben wurden 18 „Golden Tickets Token“ geprägt, die unter anderem lebenslangen Eintritt für die Konzerte der Band beinhalten. Die Erlöse wurden zum Teil für Corona-geschädigte Tour-Mitarbeiter gespendet.
Zukünftig könnten sogenannte Smart Contracts dafür sorgen, dass der Erschaffer der NFT bei jedem weiteren Verkauf eine bestimmte Provision bekommen – ganz automatisch. Damit ist sogar vorstellbar, dass sich die Fans bei ihrer Lieblingsband einkaufen und künftig am Erfolg beteiligt sind.
Non Fungible Token beglaubigen auch Dokumente
Weiter gedacht können die kryptografischen Signaturen auch unser aller Leben vereinfachen, etwa indem sie digitale Identitäten oder Dokumente wie Zeugnisse und Diplome beglaubigen. Passwörter, Übersetzungen und der Gang zum Notar werden dann der Vergangenheit angehören. Denkbar ist es auch, die Eigentumsrechte an Immobilien oder Kunstwerken über NFT zu regeln. Mona Lisa etwa ließe sich auch stückweise verkaufen, ohne dass der Louvre das Gemälde aus der Hand geben müsste.
Doch das ist definitiv Zukunftsmusik. Noch sind die verwendeten Protokolle nicht wirklich für den Masseneinsatz gerüstet, und noch fehlt für solche Gedankenspiele auch der rechtliche Rahmen. Und dann ist da noch ein weiteres Hindernis: die mangelhafte Skalierbarkeit von Blockchains wie Ethereum. Aber vielleicht ist Ethereum ja nicht wirklich das Medium der Zukunft. Schon heute gibt es andere Systeme, die die Verwaltungsaufgaben effizienter und mit deutlich weniger Stromverbrauch erledigen können. Und die Entwicklung hat ja gerade erst begonnen.