Aufmacherbild: (C) BodyTel
Nicht nur die Städte, sondern auch die Dörfer Deutschlands müssen smart und digital werden – davon sind viele Wissenschaftler überzeugt. Denn auf dem Land entfalten die gesellschaftlichen und demografischen Realitäten ihre Wirkung noch früher. Sie reichen von Landflucht über Ärztemangel bis hin zum Infrastrukturverfall. Dem soll das Konzept „Smart Rural Areas“ entgegentreten – als Grundlage für eine nachhaltige Zukunft. Als Beispiel für viele Aktivitäten aus den Bereichen Gesundheit und Pflege stellen wir drei Projekte exemplarisch vor.
„Für die zunehmend alternde Gesellschaft im ländlichen Raum wird es immer schwieriger, die nötigen Leistungen in Prävention, Vorsorge, Rehabilitation und Pflege adäquat zu gewährleisten“, warnt Gerald Swarat, der das Projekt „Smart Rural Areas“ des Fraunhofer-Instituts für Experimentelles Software Engineering (IESE) koordiniert. Vor dem Hintergrund, dass Wege zu Ärzten und Pflegenden weiter werden, die soziale Versorgung dünner und die Nähe zur Familie seltener gegeben, stellt Swarat unbequeme Fragen: „Wird daher der Umzug in die Stadt für ältere und insbesondere pflegebedürftige Menschen zwangsläufig? Oder steht am Ende sogar die soziale Vereinsamung als unausweichliche Alternative?“
Diese Fragen stellt auch die regelmäßige „Pflegestudie“ der Techniker Krankenkasse (TK) – und gibt unbequeme Antworten: „Das Potenzial, durch die Familie gepflegt zu werden, wird immer geringer – schon weil die örtliche Nähe der engsten Familie, von Ärzten, Freunden und Verwandten nicht mehr gegeben ist. Während dieser Trend zunimmt, ebenso wie die sich verschlechternde Personalsituation in der Pflege, wächst dagegen die Zahl der Pflegebedürftigen weitaus schneller.“
Das Fraunhofer IESE versucht daher, Lösungen zu entwickeln, mit deren Hilfe die Pflegebedürftigen so lange wie möglich – am besten zu Hause – ein eigenständiges Leben führen können. Ein weiteres Ziel ist die Sicherstellung der medizinischen Grundversorgung für alle Altersklassen. Beides setzt eine Vernetzung der lokalen Akteure im Gesundheits- und Pflegewesen voraus – und zwar gemeinsam mit dem Patienten. Ein Ansatz, über den das Institut unter anderem nachdenkt, sind dabei Tele-Arbeitsplätze für Familienangehörige, die ihrer beruflichen Tätigkeit von dort aus nachgehen könnten, wo sie sich auch um pflegebedürftige Verwandte kümmern.
Ob man im Pflegefall zwingend in städtische Regionen mit besserer Infrastruktur umziehen müsse, „muss von Politik und Gesellschaft nachdrücklich mit ’nein‘ beantwortet werden“, mahnt Projektkoordinator Gerald Swarat. „Denn schon heute existieren eine ganze Reihe von Ansätzen, mit deren Hilfe es gelingt, das Altern in Würde und mit Lebensqualität in ländlichen Regionen zu sichern und sogar als echte Alternative zu etablieren.“
Einer dieser Ansätze ist die Telemedizin. Gerade auf dem Land wird sie für die medizinische Versorgung immer wichtiger, weil sie den Weg zwischen Arzt und Patient mit Hilfe des Internets überbrückt.
Ein Beispielprojekt ist „E.He.R.“, das in Rheinland-Pfalz dabei helfen soll, Patienten mit Herzinsuffizienz und Herzrhythmusstörungen zu versorgen. Die Betreuung umfasst die elektronische Übermittlung von Daten sowohl externer Geräte (wie Körperwaage und Blutdruckmessgerät) als auch implantierter Herzschrittmacher.
Die Patienten werden täglich rund um die Uhr überwacht (Telemonitoring). Berichte über den Verlauf der Daten werden regelmäßig an den behandelnden Arzt weitergeleitet, der die primäre Kontaktperson des Patienten ist. Er kann mit Hilfe der Informationen die Therapie optimieren und auf kritische Veränderungen schnell reagieren. Lange Anfahrtswege, Wartezeiten oder auch die Gefahr durch Ansteckung mit Krankheiten beim Aufenthalt im Wartezimmer fallen praktisch komplett weg.
Eine klinische Studie des Westpfalz-Klinikums zeigt, dass die kontinuierliche telemedizinische Betreuung, die eine zeitnahe Anpassung der Therapie erst ermöglicht, den Gesundheitszustand der Patienten signifikant verbessern kann. Auch das seelische Gleichgewicht der Programmteilnehmer wurde positiv beeinflusst, und die wahrgenommene Lebensqualität stieg deutlich an. Überhaupt waren die Patienten mit der telemedizinischen Versorgung sehr zufrieden: „Dank moderner Informationstechnologie fühlen sich die Patienten sicherer und gut betreut. Das kann sogar das Wohlbefinden und die Therapiemöglichkeiten insgesamt verbessern“, fasst Thomas Luiz aus dem Projektteam des Fraunhofer IESE zusammen. „Zusammen mit unseren Partnern werden wir die Chancen der Telemedizin nun in die Fläche bringen.“
Ebenso stolz verweist das Institut auf sein hochentwickeltes Senioren-Assistenzsystem „SUSI TD“, das die Lebensqualität im Alter nachhaltig verbessern soll. Das vom rheinland-pfälzischen Gesundheitsministerium geförderte System wurde während einer Pilotphase 2014 in ausgewählten Haushalten in Trier und im Landkreis Trier-Saarburg erprobt.
Durch den Einsatz unauffälliger Sensortechnik in der eigenen Wohnung erhöht SUSI TD (= Sicherheit und Unterstützung für Senioren durch Integration von Technik und Dienstleistung) die Sicherheit alleinstehender Senioren. Darüber hinaus sorgt die integrierte Kommunikationstechnik für einen regen Austausch mit Familie und Freunden. Nicht zuletzt ermöglicht das System durch die Mitwirkung der Pflegestützpunkte Trier und Konz den beteiligten Senioren einen besseren Zugang zu Hilfs- und Pflegedienstleistungen.
Doch die Überlegungen speziell zur Telemedizin gehen noch weiter: Anfang September 2015 hat die Techniker Krankenkasse einen Feldtest für Online-Video-Sprechstunden angekündigt. Daran beteiligt sind der Berufsverband der Deutschen Dermatologen (BVDD) und das Unternehmen Patientus, das die Technik zur Verfügung stellt. Fünf niedergelassene Fachärzte für Haut- und Geschlechtskrankheiten aus Mönchengladbach, Bergen auf Rügen, Günzburg und Selters testen die Online-Videosprechstunde drei Monate lang – die Krankenkasse bezahlt ihnen die Leistung der Videosprechstunde. Nur Patienten, die sich bereits bei einem teilnehmenden Arzt in Behandlung befinden, können am Feldtest teilnehmen.
Als „virtuelles Wartezimmer“ dient die Plattform patientus.de, wo der Patient eine sechsstellige Termin-TAN eingeben muss und dann automatisch in das Wartezimmer seines Arztes weitergeleitet wird. Wer sich dort befindet, kann nur der Arzt sehen – und auch das Konsultationsgespräch kann nur er beginnen. Während eines Zehn-Sekunden-Countdowns vor dem Start der Bild- und Tonübertragung können beide Gesprächsteilnehmer die Verbindung beenden. Die Übertragung soll speziell verschlüsselt sein und nicht über einen zwischengeschalteten Server ablaufen.
„Wenn der Patient einmal in meiner Praxis war, reichen zur Nachkontrolle oft ein kurzer Blick und ein kurzes Gespräch – dafür muss sich künftig kein Patient mehr auf den Weg in meine Praxis machen“, erklärt Klaus Strömer. Der Hautarzt ist zugleich Präsident des BVDD und setzt als einer der ersten Ärzte die Patientus-Software in seiner Praxis in Mönchengladbach ein. „Besonders geeignet erscheint die Videokonsultation etwa, um eine Änderung in der Medikation zu besprechen. Oder zur Abklärung des Krankheitsverlaufs, beispielsweise der Wundheilung nach einer OP, wie überhaupt zur Überprüfung des therapeutischen Erfolgs oder für die Patientenschulung im Verlauf einer längeren Behandlung.“
In solchen Fällen verordnet er jetzt die Video-Sprechstunde auf einem ausgedruckten Flyer und trägt dort den persönlichen Zugangscode und den Termin ein.
Übrigens: Neben den Bereichen Gesundheit und Pflege erforschen noch zahlreiche weitere Projekte die Möglichkeiten zur Verbesserung der Lebensqualität im ländlichen Raum, zum Beispiel in den Bereichen Mobilität und Energie sowie Logistik.