Auf dem Digitalgipfel 2019 sprach Intelligente-Welt-Chefredakteur Christian Spanik mit Achim Berg, dem Präsidenten des IT-Branchenverbands Bitkom. Welche Chancen bei Deutschland bei Digitalen Plattformen? In welchen Branchen haben wir die besten Chancen, Standards für den Weltmarkt zu setzen? Welche Rolle spielt dabei der B2B-Bereich? Und welche strategischen Fehler sollten wir dabei vermeiden?
Auf dem Digitalgipfel 2019, der am 28. und 29. Oktober in Dortmund stattfand, sprach Christian Spanik mit dem Bitkom-Präsidenten Achim Berg. Passend zum Fokusthema der Veranstaltung wollte er wissen, ob Deutschland nicht viel zu spät dran sei in Sachen Digitale Plattformen.
Sie haben wieder die Wahl: Schauen Sie sich das rund sechsminütige Videointerview an – oder lesen Sie die Textfassung darunter:
„Es wäre mir zu einfach gedacht, wenn man sagt, wir hätten die digitalen Plattformen verloren“, konterte Achim Berg: „Das haben wir mit Sicherheit nicht.“ Ja, es stimme, dass im B2C-Bereich von 60 großen Plattformen nur sieben aus Europa kommen – und große Plattformen immer stärker wachsen als die kleineren. Aber es gebe noch jede Menge anderer Themen, bei denen Deutschland und Europa gut im Rennen lägen. Berg führt etwa die Beispiele Flixbus, Zalando und Spotify an. „Ich glaube, der entscheidende Kampf findet im B2B-Umfeld statt, zum Beispiel um IoT-Plattformen“, ist sich Achim Berg sicher. Allerdings müsse Deutschland sehr darauf aufpassen, sich hier nicht die Butter vom Brot nehmen zu lassen. Dringend erforderlich sei es, die bestehenden Plattformen auch gut koordinieren.
Achim Berg sieht gute Chancen für europäische B2B- und IoT-Plattformen
Man höre ja oft, so Christian Spanik, dass wir in Deutschland zwar keine Plattformen hätten, aber dafür die Maschinen. Ist dies unser großes Asset, wollte Christian wissen.
„Unser großes Asset ist, dass wir die IoT-Schnittstellen an unseren Maschinen haben“, so Achim Berg. Damit könnten wir Standards setzen und Plattformen entwickeln. Es gelte aber zu vermeiden, dass sich die Industrie verzettelt. Sie sollte im IoT-Bereich ihre Kräfte bündeln und dabei wirklich zusammenarbeiten. Dann könnten Deutschland im Bereich Digitalisierung Standards schaffen wie den Ladestecker an Elektroautos oder viele DIN-Stecker.
Europa ist nach den USA und gemeinsam mit China die zweitgrößte Volkswirtschaft – darauf wies Achim Berg hin. Wir hätten also von der Größe her genug Möglichkeiten, Standards zu setzen. Allerdings seien wir oft zu kleinteilig unterwegs und nutzten unsere schiere Größe gerade nicht wirklich. Und auch mit einen weiteren Punkt möchte der Bitkom-Präsident aufräumen: „Man sagt immer, es gäbe in Deutschland kein Wagniskapital. Doch das stimmt nicht. Es ist genügend Wagniskapital da, und es sind auch genug gute Idee da. Es gibt eine ganze Reihe sogenannter Unicorns, die in den letzten Jahren in Deutschland gewachsen sind – ich habe mit Zalando und Flixbus schon zwei Beispiele genannt. Sie haben Plattformen im B2C-Bereich geprägt – warum soll uns das nicht auch im B2B-Bereich gelingen? Ich sehe keinen Grund, der dagegen spricht.“
Wie sieht die richtige Strategie für digitale Plattformen aus?
Dieter Kempf, der Präsident des Bundesverbandes der Deutschen Industrie, habe zuletzt laut geschimpft und gesagt, wir machen den Standort Deutschland kaputt, meinte Christian Spanik und wollte wissen: Was sagt der Bitkom dazu?
„Man sollte Missstände und Probleme durchaus aufzeigen. Aber viel wichtiger finde ich, zu den Problemen auch die Lösungen zu zeigen“, so die Antwort von Achim Berg. Wir bräuchten in Deutschland einen Dreiklang: „Erstens: Wir müssen konsequent sein – die Dinge, die wir machen, müssen wir richtig machen. Dazu zählt zweitens aber auch, nicht jede Woche eine neue Sau durchs Dorf zu treiben. Wir können uns nicht auf alles konzentrieren – wir tendieren dazu, von Cybersecurity bis zum Weltraumbahnhof alles angehen zu wollen. Wir sollten uns lieber auf wenige Themen richtig konzentrieren. Drittens: Wenn wir das gemacht haben, müssen wir es auch konsequent umsetzen. Das gilt nicht nur für die Politik, sondern auch für die Wirtschaft.“ 30 Prozent der Unternehmen sagten, sie bräuchten keine Plattformen. Achim Berg könne sich keine Branche vorstellen, in der Plattformen kein Gewinn wären. Deshalb finde der Bitkom-Präsident die zitierte Denkweise brandgefährlich.
Welche Rolle in diesem Zusammenhang der deutsche und europäische Datenschutz spiele, wollte Christian Spanik als nächstes wissen.
Dazu Achim Berg: „Ich finde, wie Europa das Thema Datenschutz behandelt, positiv und richtig. Allerdings machen wir einen Fehler, wenn wir von der Schuhgröße bis zum Genom alles über einen Kamm scheren. Denn das hat dann zur Folge, dass wir viele Daten nicht nutzen können.“ Wenn in anderen Regionen dank weniger restriktiver Datenschutzregeln etwa bislang unheilbare Krankheiten geheilt würden, schaue Europa in die Röhre. „Wir sollten uns genauer Gedanken machen, wie wir Daten nutzen – welche wir freigeben und welche nicht. Ein starker Datenschutz in Europa kann helfen, wenn er intelligent gedacht ist“, so Berg.
Welche Branchen können Digitale Plattformen aus Deutschland weltweit erfolgreich machen?
Welche Branchen hätten besonders gute Aussichten, B2B-Plattformen aus Deutschland weltweit erfolgreich zu machen, so Christian Spaniks nächste Frage.
Achim Berg fällt dazu sofort das Thema Künstliche Intelligenz ein: „Es wird in Zukunft nichts mehr ohne Künstliche Intelligenz gehen. Und wir haben so einige Bereiche, in denen wir echte Vorteile haben – zum Beispiel in der Mobilität. Bei der autonomen Mobilität wird Deutschland mit Sicherheit eine wichtige Rolle spielen. So wie wir heute Getriebe in alle Welt liefern, liefern wir in Zukunft hoffentlich die Steuersysteme für autonome Autos in alle Welt.“ Ein zweiter Bereich sei die Medizin: §Bei Computertomographen sind wir mit Abstand weltweit führend. Warum fördern wir nicht auch personifizierte Medizin über KI?“ Wenn wir uns auf solche Bereiche konzentrierten, ist sich Achim Berg sicher, könne Deutschland in ihnen Weltmarktführer werden.
„Welche Nachricht würden Sie in zehn Jahren gern auf eine Veranstaltung wie hier bekanntgeben“, wollte Christian zum Abschluss noch wissen.
Auch hier muss der Bitkom-Präsident nicht lange nachdenken: „Was ich mir wirklich wünschen würde, ist dass wir in zehn Jahren im DESI-Index, also beim Digital Economy and Society Index – dem Digitalindex der EU, im Verwaltungs-Umfeld unter den Top Drei sind. Und nicht wie heute Platz 24. Ich glaube, wenn wir das vormachen können, erkennt auch jeder Bürger, wie wichtig es ist, für die Digitalisierung zu arbeiten.“