Digitalisierung der Wirtschaft: Mehr Effizienz, mehr Produktion, mehr „Fließband“?

Henry Ford, der große Pionier der Massenproduktion, hätte an der Digitalisierung der Wirtschaft seine Freude gefunden. 111 Jahre nachdem Ford das „Model T“ aufs Fließband gehievt hatte, erzielt die „Industrialisierung 4.0“ längst heftigere Auswirkungen als das Original von damals. Überall entstehen neue Geschäftsmodelle oder werden alte völlig umgekrempelt. Vor allem Optimierung und Effizienzsteigerung stehen im Vordergrund. Dabei sind sich die Forscher keineswegs einig, wie komplett menschliche Arbeit künftig durch Maschinen und Software ersetzt werden könnte.

Quelle des Aufmacherbilds: Pixabay.com / Collage

Ford war zwar nicht der Erfinder der Fließband-Produktion, aber er perfektionierte die moderne Fertigung von Fahrzeugen so sehr, dass man bei der ersten Revolution der industriellen Produktion vor allem an ihn denkt. Der Einfluss des sogenannten „Fordismus“ auf die moderne Kultur – durch die starke Standardisierung von Produktion und Verbrauch von Konsumgütern – reicht bis heute.

Autoproduktion am Fließband.
Autoproduktion am Fließband. Bildquelle: Von Original. Uploader: Fab at de.wikipedia – „Assembly.“ Detroit Publishing Company, 1923 May 7. Touring Turn-of-the-Century America: Photographs from the Detroit Publishing Company, 1880-1920, Library of Congress., Gemeinfrei,

Toyota entwickelte den mit Fords Fließband begonnenen Perfektionismus weiter: Das in der Tat als „Toyotismus“ bezeichnete Produktionssystem hat sich der Vermeidung jedweder Art von Verschwendung verschrieben. Seine Ziele: Konsequente Synchronisierung und Standardisierung von Prozessen, Vorbeugung von Fehlern, Verringerung von Materialbeständen bis zu ihrer völligen Vermeidung und „Just-in-Time Production“.

Klingt das alles irgendwie bekannt?

Fordismus und Toyotismus in digitaler Form

Fordismus und Toyotismus erleben wir heute erneut – aber nicht „analog“, sondern in digitaler Form. Manche Experten reden von einem gigantischen unsichtbaren Tsunami: die Digitalisierung der Wirtschaft. Ob er noch auf uns zurollt, oder uns schon überrollt hat, darüber gibt es unterschiedliche Ansichten.

Zum Beispiel beim Thema künstliche Intelligenz: „Wenn man sich die rasante Entwicklung der letzten Jahre ansieht, glaube ich, dass es bereits in wenigen Jahren kaum mehr einen Wirtschaftsbereich gibt, der auf KI verzichten kann“, ist Dominique Ziegelmayer von Trusted Shops überzeugt.

Dagegen meint die Sozialwissenschaftlerin Lisa Herzog, Professorin am Centre for Philosophy, Politics and Economics (PPE) der Universität Groningen: „Gewinne generieren, indem man Menschen an ihren durch künstliche Intelligenz vorhergesagten Schwachstellen packt – ist das wirklich das Beste, was wir mit diesen neuen Technologien anstellen können? Oder ist es ein Fall von natürlicher Dummheit auf der gesellschaftlichen Ebene, dass sie nicht an Stellen eingesetzt werden, an denen sie dringender gebraucht werden könnten?“

Immer mehr analoge Services werden durch digitale ersetzt

Ob in der Produktion von Waren, beim Bezahlen, im Finanzsektor, in der Versicherungsbranche, im Bereich Mobilität, beim Einkaufen und im Handel, im Grunde in allen Bereichen der Wirtschaft und Gesellschaft – überall gilt: Alte Services werden mindestens modernisiert, viele davon aber eher durch neue ersetzt. So sagte schon Bill Gates über das Bezahlen in der Zukunft: „Banking is necessary, banks are not.“

„Software wird die Welt essen“, prophezeite schon Marc Andreessen, Gründer von Netscape und der Venture-Capital-Firma Andreessen Horowitz. Tatsächlich verfolgen viele Unternehmen mit ihren Produkten und Dienstleistungen das Ziel, auf der Basis von Daten aus der Vergangenheit sozusagen Vorhersageprodukte zu entwickeln, die sich zu Geld machen lassen. Lisa Herzog stellt dazu die Frage, „ob die Algorithmen, mit denen wir online interagieren, uns dabei unterstützen, dass unser ‚besseres Selbst‘ die Oberhand behält – oder ob sie im Gegenteil darauf ausgerichtet sind, unsere Schwächen und Fehler auszunutzen“.

Digitalisierung der Wirtschaft ist nicht nur gut für die Umwelt

Spannend sind zum Beispiel Big-Data-Anwendungen, mit denen Unternehmen einerseits Umsatzsteigerungen im Internet erreichen wollen, andererseits aber auch Verbraucher zurück in die Läden locken. Die Intelligente Welt hat dazu bereits in verschiedenen Beiträgen berichtet.

Ebenso zum Thema Mobilität: Die Analyse von massenhaften Echtzeitdaten im Bereich Verkehr kann Logistikprozesse optimieren. So lassen sich Staus vermeiden, Benzinverbrauch und Schadstoffemissionen verringern, Transportvolumen besser ausnutzen, Leerfahrten reduzieren und Fahrtzeiten verkürzen.

Auch die Produktion selbst läuft nicht mehr ohne Big Data: Sensoren an allen relevanten Punkten des Produktionsprozesses sammeln Daten zur Analyse und Optimierung in Echtzeit. Etwa um einen möglichen Ausfall einer Anlage frühzeitig vorhersagen zu können und dem kompletten Produktionsstopp rechtzeitig entgegenzuwirken.

Immer noch aktuell ist ein etwa 10-minütiger Kurzfilm der Hannover Messe zur digitalen Industrialisierung:

„Die verschiedenen Punkte innerhalb der Fabrik und im gesamten Ökosystem zu verbinden und Informationen intelligent zu nutzen, wird für Unternehmen elementar wichtig, um wettbewerbsfähig zu bleiben“, erklärt Reinhard Geissbauer vom Beratungsunternehmen PricewaterhouseCoopers. 2022 soll der Anteil der Firmen, die Datenanalysen zur Optimierung von Prozessen und Produktqualität nutzen, bei 65 Prozent liegen.

Beispiele für mehr Effizienz durch Digitalisierung

  • Forscher am MIT haben eine Bilderkennungs-Software mit 1,6 Millionen Fotos von US-Städten gefüttert, um das KI-basierte System auf Prognosen hin zu trainieren. Damit lassen sich Theorien zur Stadtentwicklung aufstellen und wirtschaftliche Entscheidungen dahingehend anpassen.

  • Automatisierung ist auch in der Versicherungsbranche ein Trend: Die Versicherer haben ihre KI mit Millionen von Aufnahmen beschädigter Autos trainiert, so dass Autofahrer nur noch Fotos der beschädigten Wagen einschicken müssen. Die Begutachtung funktioniert unabhängig von Aufnahmeperspektive und Lichtverhältnissen. Und selbst die finanzielle Begleichung von Schäden übernimmt die Software.
  • Wird es bald weniger junge Rechtsanwälte geben? Viele Arbeiten von Berufsstartern haben mit der Auswertung von massenweise Dokumenten zu tun. Auch hier kann KI helfen: „Wenn ein Maschinenlern-Algorithmus mit Hilfe von Millionen von bestehenden Dokumenten, Fallbeispielen und juristischen Anträgen trainiert wurde, kann er automatisch diejenigen Quellen kennzeichnen, die ein Anwalt für seinen Fall braucht – oft besser als ein Mensch.“
  • Eine KI der Plattform Lawgeex hat in einem Test 20 US-Anwälte bei der Analyse von Verträgen klar hinter sich gelassen – sowohl bei der Genauigkeit als auch bei der Dauer. Die Aufgabe lautete: 30 rechtliche Probleme in fünf Geheimhaltungs-Verträgen identifizieren. Das Ergebnis: Die KI brauchte schlappe 26 Sekunden und war zu 94 Prozent genau, in einem Fall sogar zu 100 Prozent – gegenüber 92 Minuten und 85 Prozent bei 20 erfahrenen Anwälten.
  • In Japan wird eine KI auf Basis von IBM Watson eingesetzt, die in der Lage ist, ärztliche und andere Dokumente auszuwerten, um fällige Zahlungen zu berechnen – und das sogar unter Berücksichtigung spezieller Klauseln in Versicherungsverträgen. Das Versicherungsunternehmen Fukoku Mutual Life Insurance sparte auf diese Weise 30 Prozent seiner Mitarbeiter in der Abteilung Schadensbemessung ein.

Führt die Digitalisierung der Wirtschaft zu massiven Jobverlusten?

Apropos Mitarbeiter einsparen: Als größter Nachteil der Digitalisierung der Wirtschaft gilt der eventuell dramatische Wegfall von Arbeitsplätzen. Eigentlich lehrt die Geschichte, dass technische Revolutionen zuerst Arbeitsplätze zerstört und in anderen Bereichen neue geschaffen haben. Wird es einen ähnlichen Effekt bei der Digitalisierung der Wirtschaft geben? Oder könnte es diesmal vielleicht anders sein?

Dieser Befürchtung widerspricht die IT-Consultingfirma Capgemini, die gut 1000 Firmen zu Künstlicher Intelligenz befragt hat. In der Studie sagen die allermeisten Befragten, dass KI menschliche Arbeit nicht überflüssig mache. Die Algorithmen würden zwar Aufgaben übernehmen, die zuvor von Menschen erledigt wurden. Jedoch würden die Unternehmen durch Einsatz von KI wachsen und dadurch wiederum mehr Spezialisten einstellen.

Pessimistischer sehen es dagegen die Ökonomen Matthias Weik und Marc Friedrich. 2017 erschien ihr viertes Buch „Sonst knallt‘s! – Warum wir Wirtschaft und Politik radikal neu denken müssen“, das sie gemeinsam mit dem dm-Gründer Götz Werner verfassten. Nach ihrer Meinung würden zwar branchenübergreifend „Abermillionen Jobs“ in der Produktion, in der Verwaltung, bei Banken und Versicherungen und nicht zuletzt im Einzelhandel verschwinden. Andererseits würden auch zahlreiche neue entstehen. „Diese werden jedoch zumeist nicht von denen besetzt, welche ihren Job verloren haben.“

Dass die Digitalisierung Machtkonzentrationen und Ungleichheiten verstärke, glaubt Dirk Messner, Politikwissenschaftler an der Universität Duisburg/Essen und Direktor des „Institute for Environment and Human Security“ an der UNO-Universität in Bonn. Er verweist auf zwei diametral gegenläufige Ansätze: die autoritär-digitale Haltung in China und die sehr liberale, Kontrolle weitgehend ablehnende Haltung der USA. Deshalb plädiert der Experte für Entwicklungspolitik dafür, dass Europa ein eigenes Gesellschaftsmodell der Zukunft entwickeln solle. Sein Vorschlag zur Zieldefinition: „Digitalisierung mit sozialem Zusammenhalt, Teilhabe und Nachhaltigkeit zusammenbringen.“

Wie wird die Digitalisierung die Zukunft beeinflussen? Dass sie Risiken birgt, aber eben auch große Chancen, erklärt Unternehmensgründer Alexander Müller in einem 22-minütigen Panel-Vortrag:

Bedingungsloses Grundeinkommen als Folge der Digitalisierung?

Umso mehr befürworten die Ökonomen Weik, Friedrich und Werner die Einführung eines Bedingungslosen Grundeinkommens (BGE), das unweigerlich mit der Digitalisierung von Wirtschaft und Gesellschaft zusammenhänge: „Wir sind vollkommen überzeugt, dass das BGE kommt. Im Zuge der Industrie 4.0 werden so viele Jobs wegfallen und verhältnismäßig wenige neue Jobs für absolut hochqualifizierte Fachkräfte entstehen, dass wir überhaupt gar keine andere Möglichkeit haben, als das BGE einzuführen.“

Mit dieser Prognose stellen sie sich in eine Reihe vieler bekannter Firmenchefs. So sprechen sich die Chefs bzw. Gründer von Ebay, Siemens, Telekom, SAP, Tesla und viele andere klar für die Einführung des Grundeinkommens aus. Das Fazit der Buchautoren: „Entweder setzt sich die Erkenntnis eines BEG bei den Eliten in Wirtschaft und Politik durch – oder ‚sonst knallt’s‘.“

Übrigens: Auch Henry Ford führte für seine Beschäftigten etwas Neues ein – den Achtstundentag (1914) und ein neuartiges System zur Gewinnbeteiligung. Gleichzeitig hob er den Mindestlohn auf mehr als das Doppelte an, später sogar auf fast das Dreifache des ursprünglichen Werts. Seine soziale Ader war jedoch nicht so ausgeprägt wie das „wirtschaftliche Kalkül“ (O-Ton Ford). Denn der Zweck der Lohnsteigerungen war eindeutig: Die Arbeiter sollten mehr Kaufkraft besitzen, um sich massengefertigte Produkte leisten zu können. Irgendwer musste die am Fließband gebauten Autos ja schließlich auch kaufen können.

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