Aufmacherbild: YouTube / Scania
Grenzenlos scheinen die Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz, doch im Fokus von Unternehmen und Forschungseinrichtungen steht zunehmend ihr konkreter Nutzwert – mit rasanten Fortschritten vor allem im Bereich Verkehr und Logistik. Schon jetzt können wir Transport und Lieferketten automatisieren, Verkehrsflüsse optimieren und die Sicherheit von Waren und Verkehr erhöhen. In Zukunft geht aber noch mehr.
An Künstlicher Intelligenz und Deep Learning führt langfristig auch in der Transportbranche kein Weg mehr vorbei – das ergab nicht nur eine Umfrage unter Fach- und Führungskräften im Rahmen der Münchner Messe „transport logistic“ im Herbst 2017, sondern es zeigen auch die zahlreichen praktischen Anwendungen, auf die die Branche mehr und mehr zurückgreifen kann.
Ein Beispiel ist das Hamburger Startup Cargonexx, das den Straßentransport mit einem selbstlernenden Algorithmus revolutionieren will. Auf der Basis von über einer Million Tourendaten und anhand von 400 Parametern wie Jahreszeit, Wetter und den Terminen von Großveranstaltungen sorgt das System für eine optimale Auslastung von Lkw, transparente Preise und Vermeidung von Leerfahrten – jedoch deutlich komplexer und somit effektiver als bisherige Frachtbörsen. Cargonexx hat schon eine Ausweitung angekündigt und garantiert über aktuelle Touren hinaus eine Auslastung für die nachfolgenden Tage, sodass sogar eine intelligente Verkehrsführung möglich werden könnte.
Vier Ziele durch KI: weniger Verkehr und Kosten, mehr Effizienz und Sicherheit
Das Prinzip, das wir von Suchmaschinen kennen, verändert schon jetzt die Logistik: Gigantische Datenmengen werden quasi ohne Zeitverlust analysiert und nach Mustern durchsucht, sodass gleich die passenden Lösungen präsentiert werden können. Dabei haben alle Projekte vier Ziele im Auge: Durch weniger Leerfahrten soll der Verkehr insgesamt entlastet werden, die Kosten sollen deutlich sinken, ebenso die Unfallzahlen, und auch Versorgungsengpässe sollen der Vergangenheit angehören.
Das geht aber nur, wenn die Unmengen an Daten nicht nur gesammelt, sondern intelligent ausgewertet werden – und zwar vor dem Hintergrund der wirtschaftlichen Entwicklung in Deutschland, Europa und der Welt. Dazu hat DHL ein Tool entwickelt, das die aktuelle und zukünftige (!) Entwicklung des Welthandels abbildet. Dafür kamen wiederum Künstliche Intelligenz und statistische Methoden zum Einsatz.
Das „DHL Global Trade Barometer“ trifft Vorhersagen für einen Zeitraum von drei Monaten. Die Berechnung der Prognosen übernimmt der Partner Accenture. Sie basiert auf Import- und Exportdaten für verschiedene Zwischenprodukte, die als Grundlage für industrielle Wertschöpfung dienen. Aggregiert werden Marktdaten aus der Luft- und Container-Seefracht von sieben Ländern, die über 75 Prozent des Welthandels ausmachen.
KI ermöglicht Prognose sinnvoller Standorte von Paket-Shops
„Auch wir bündeln alle Informationen, die wir zu Paketen bekommen können, in einem großen Zentralrechner. Wenn man mit klugen Algorithmen und schnellen Prozessoren arbeitet, ist es unglaublich, was man mit diesen Daten alles machen kann“, schließt sich Dirk Rahn in einem Interview an.
Der Geschäftsführer des Bereichs Operations bei Hermes Germany will dabei nicht nur die Effizienz steigern und Kosten senken, sondern verwertbare neue Produkte und Mehrwerte für die Kunden schaffen. „Und das vielleicht sogar mit Vorsprung gegenüber dem Wettbewerb. Das ist aus meiner Sicht die eigentliche Königsdisziplin der Digitalisierung.“
Ein praktisches Beispiel ist die Vorhersage sinnvoller Standorte von Paket-Shops, aber auch die Ermittlung effizienter Zustellrouten, indem die Wahrscheinlichkeit der Anwesenheit von Empfängern eingerechnet wird. Aktuell testet Hermes diese Möglichkeiten, und schon jetzt wird die Auslastung von Fahrzeugen durch Künstliche Intelligenz optimiert. Automatisierungen wiederum sind in der Sortiertechnik und beim Entladen von Lkw geplant.
Autonome Fahrzeuge und Lieferdrohnen mit künstlicher Intelligenz
Automatisiert wird auch zunehmend im Bereich Verkehr: Autonome Fahrzeuge versprechen weniger volle Straßen und weniger Unfälle, und selbst der akute Mangel an Berufsfahrern ließe sich beheben. Zahlreiche Lkw-Hersteller haben bereits Testfahrzeuge auf die Straße geschickt, die beispielsweise das sogenannte „Platooning“ beherrschen. Dabei fahren mehrere Fahrzeuge fahren teil- oder sogar vollautomatisiert hintereinander her – dicht an dicht im Konvoi und miteinander vernetzt. Ein zweiminütiges Video von Scania erklärt das Prinzip:
Autonome Fahrzeuge kommen auch schon in Lagerhallen und Betriebshöfen zum Einsatz. Die Firma Dachser zum Beispiel testet zur Abwicklung von Pallettenbewegungen selbstständig fahrende Transportsysteme, die Hindernisse erkennen und umfahren können und sogar im Mischbetrieb mit konventionellen Staplern einsetzbar sind. Geplant sind auch Hoffahrzeuge, die Wechselbrücken umsetzen – während der Fahrer die Zeit nutzt, um wichtigere Aufgaben wie Avisierung oder Tourenplanung durchzuführen.
Neben autonomen Fahrzeugen wird wohl auch die – immer wieder heiß diskutierte – Lieferdrohne kommen. 42 Prozent der Befragten in einer Umfrage des Branchenverbands BITKOM unter 508 Logistikunternehmen erwarten Drohnenflüge zu den Endkunden. Und fast zwei Drittel sind überzeugt, dass die Transport- und Wertschöpfungsketten durch Digitalisierung und Cloud-Services weniger fehleranfällig werden.
Künstliche Intelligenz: Zwei Tipps für interessierte Logistiker
Der 35. Deutsche Logistik-Kongress vom 17. bis 19. Oktober 2018 in Berlin geht auf den Trend von KI und Maschinellem Lernen unter dem Motto „Digitales trifft Reales“ noch stärker ein als bereits im vergangenen Jahr. In der Programmvorschau fallen vor allem diese Themen auf: „Robotik und autonome Logistik“, „Künstliche Intelligenz: Chancen ohne Grenzen?“, „Urbane Logistik: Verkehrsinfarkte verhindern“ sowie „Retail Logistics: Anything, anywhere, anytime“.
Ein Tipp ist auch das Sonderheft „Software in der Logistik 2018“, das vom Magazin „Logistik heute“ herausgegeben wurde und in Kooperation mit dem Dortmunder Fraunhofer-Institut für Materialfluss und Logistik (IML) entstand. Es beleuchtet den Nutzen und die Anwendungs-Möglichkeiten von Künstlicher Intelligenz im Supply-Chain-Management. Auch zeigen die Forscher auf, welche Schwierigkeiten bei der Analyse von Daten bestehen und was Firmen beim Einstieg beachten sollten.
Ein Blick in die Zukunft: Logistik in zehn Jahren
Geht es nach dem „DHL-Trendradar“, werden Verkehr und Logistik in zehn Jahren stark durch KI-Analysen und Automatisierungen geprägt sein. So werde Big Data Prognosen liefern können, wohin Waren höchstwahrscheinlich geliefert werden müssen, noch bevor sie überhaupt bestellt werden – ausgeliefert von selbstfahrenden Lieferwagen. Auch würden autonome Gabelstapler, Smart Container und Transportroboter bei Wind und Wetter rund um die Uhr im Einsatz sein. Und während Lieferwagen die Waren transportieren, könnten integrierte 3D-Drucker sie noch während der Fahrt brandneu produzieren.
Gespannt sein darf man auch auf viele neue Geschäftsmodelle von immer mehr Startups, die eine wichtige treibende Kraft darstellen. Schon jetzt wächst weltweit der Markt für KI-basierte Dienstleistungen, Anwendungen und Technologien jedes Jahr um bis zu 25 Prozentl und wird nach Schätzungen von Analysten wie McKinsey bis 2025 voraussichtlich ein Volumen von 130 Milliarden US-Dollar erreichen.