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Highspeed-Datennetze: Endlich drückt Deutschland aufs Tempo

Aufmacherbild: (C) Google Fiber

breitbandatlas_6mbit_leitungsgebundenBeim Internet ist die Vorzeige-Wirtschaftsmacht Deutschland immer noch Entwicklungsland. Wer auf www.breitbandatlas.de durch die Regionen stöbert, wird sich wundern, wie unterschiedlich die Datennetze ausgebaut sind – teilweise so extrem, dass nicht nur auf dem Lande die berühmten „weißen Flecken“ auffallen, sondern sogar innerhalb mancher Städte der Nachbar vielleicht zehn Mal so schnell surft wie man selbst. Gleichzeitig präsentiert sich das Land auf der CeBIT 2015 als Vorreiter beim Mobilfunkstandard 5G, mit dem sich eine komplette Folge einer TV-Serie in HD-Qualität in einer einzigen (!) Sekunde übertragen lässt. Vielleicht kommt aber alles ganz anders, und wir surfen demnächst über Leitungen eines mächtigen Internetpioniers.

„Der Worte sind genug gewechselt, lasst uns endlich Daten sehen.“ Auch wenn der Zitatgeber, der Politologe Gerhard Kocher, aus der Schweiz kommt: Sein Wunsch passt hervorragend zur Situation in Deutschland – und seine Worte sind auch Balsam auf die Seele des Verfassers, der diesen Beitrag mit nachgemessenen, geradezu gigantischen 473 kbit/s ins Netz gestellt hat (siehe Speedtest-Grafik).

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Wirkt der Verfasser, also ich, etwas frustriert? Dabei „genieße“ ich immerhin einen offiziellen 6-Mbit/s-Zugang (mehr geht hier einfach nicht, nicht mal über LTE), wogegen es anderswo in unserem Landkreis sehr viel trauriger aussieht – im Sinne von: viel langsamer. Aber wieder anderswo, selbst im halben Kerngebiet meines 45.000-Einwohner-Ortes, erfreut man sich an 50 oder gar 100 Mbit/s. Bevor nun jemand die Notwendigkeit anzweifelt: Doch, doch, diese Geschwindigkeiten braucht man, wenn sich das Mediennutzungsverhalten der Familie vom linearen Fernsehen hin zu Video-on-Demand auf drei Plattformen entwickelt hat, wenn über Tablets im Multiplayer-Modus gespielt und nebenbei auch mal ein hochauflösendes Youtube-Video gestreamt wird. Da bleibt für Papas HTML-Dokument – so winzig es ist – nicht mehr viel Platz, um sich durchs Nadelöhr zu quetschen.

Nehmen wir als Beispiel den Abo-Video-on-Demand-Anbieter Netflix: Auch wenn das Unternehmen selbst keine Angaben dazu machen, welches Datenvolumen es pro Monat überträgt, lassen Hochrechnungen von Experten auf etwa 24 Millionen TByte und gut 8 Milliarden Stunden Filmmaterial schließen, die jeden Monat gestreamt werden. Für Haushalte in den USA dürfte die Nutzung kein Problem sein, denn dort gehen bereits 85 Prozent mit 50 Mbit/s online.

Selbst in der Definition des Breitbandanschlusses ist man in den USA weiter als in Deutschland. Galten seit 2010 dort noch 4 Mbit/s im Download und 1 Mbit/s im Upload als schnelles Internet, so hat die US-Regulierungsbehörde FCC vor kurzem 25 Mbit/s im Download und 3 Mbit/s im Upload als Minimum festgelegt. Dieser neue Download-Mindestwert ist auch bitter nötig, sofern man Video-on-Demand in vierfachem HD empfangen möchte. Jetzt schon vereinnahmt Netflix mehr als ein Drittel des gesamten Datenverkehrs in den USA – dagegen kommt YouTube gerade mal auf gut 15 Prozent. Unschwer auszumalen, was passiert, falls Netflix hierzulande ähnliche Beliebtheitswerte erreicht.

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Immerhin: In Deutschland gehen zwei Drittel aller Haushalte mit 50 Mbit/s ins Netz, ein Fünftel sind es auf dem Land. Trotzdem ist die Durchschnittsgeschwindigkeit erschreckend niedrig: Schätzte der Branchenverband BITKOM noch auf der CeBIT 2010 hierzulande die durchschnittliche Zugangsgeschwindigkeit für das Jahr 2015 auf 100 Mbit/s, sind es aktuell tatsächlich nur magere 8,8 Mbit/s. Das ist so wenig, dass Deutschland im Ranking der Länder auf Platz 29 landet. Selbst bei unseren direkten Nachbarn kann schneller gesurft werden: in der Schweiz mit 14,5 Mbit/s, in den Niederlanden mit 14,2 Mbit/s, in Tschechien mit 12,3 Mbit/s. Auf Platz 1 und 2 liegen Südkorea (22,2 Mbit/s) und Hongkong (16,8 Mbit/s).

Endlich aber kommt Bewegung in den Markt: Gerade erst ist der forcierte Ausbau der Breitbandnetze in Deutschland beschlossen worden. Er soll unter anderem durch Fördermittel der EU realisiert werden, die nach dem Willen der Bundesregierung freiwillig von Privatunternehmen abgerufen werden. Ziel ist die flächendeckende Versorgung mit 50-Mbit/s-Anschlüssen bis zum Jahr 2018. Die Richtung ist klar: „An der Qualität und dem weiteren Ausbau der Infrastruktur entscheidet sich maßgeblich, ob Deutschland ein Innovationsland bleibt“, meint Alexander Dobrindt, Bundesminister für Verkehr und digitale Infrastruktur. „Mit den zusätzlichen 6 Milliarden Euro werden wir unsere Netze weiter modernisieren, noch leistungsfähiger machen und die Wettbewerbsfähigkeit unseres Landes steigern.“

Ob das Geld ausreichen wird? Laut einer Studie des TÜV Rheinland vom August 2013 würde der Breitbandausbau in Deutschland mit einem Technologie-Mix aus Glasfaser, Kupferkabel und LTE rund 20 Milliarden Euro kosten, eine flächendeckende Glasfaserversorgung weit über 80 Milliarden Euro. Denn: „Wir wissen, dass 50 Mbit/s allein nicht ausreichen, um das Management von Big Data hinzubekommen, sondern wir brauchen für viele Anwendungen sehr viel größere Bandbreiten“, so Bundeskanzlerin Angela Merkel. Im Interview mit „Deutschlandradio Kultur“ hält Grünen-Politikerin und Breitband-Expertin Tabea Rößner dagegen: „Das Ziel liegt in ganz weiter Ferne, weil wir gerade in ländlichen Räumen überhaupt noch nicht soweit sind, über 50 Mbit oder vielleicht 30 Mbit zu sprechen.“

Noch deutlicher wurde Ex-Telekom-Vorstand René Obermann auf der Jahrestagung des Bundesverbands Breitbandkommunikation (BREKO): „Wenn wir es nicht hinbekommen, auch den Ausbau auch in den dünn besiedelten Regionen Europas, nicht nur aus der deutschen Perspektive, sondern europäisch, hinzubekommen, dann müssen wir uns über die Folgen nicht wundern. Wenn man durch die neuen Bundesländer fährt, durch manche Teile Mecklenburg-Vorpommerns, Brandenburgs zum Beispiel, dann wissen Sie, was ich meine. Diese Landschaften bluten aus. Nicht zuletzt, weil die Infrastruktur so ist, wie sie ist.“

Eine mögliche Lösung heißt „Brückentechnologie“. Sie präsentiert sich derzeit in Form der Datenübertragungstechnik „G.fast“, die als Nachfolger des VDSL2-Anschlusses gilt. Über existierende Telefonie-Kupferkabel sollen Datenübertragungsraten von bis zu 1 Gbit/s möglich werden, 500 Mbit/s peilt die Telekom schon für das Jahr 2018 an. Denn: „Ein flächendeckender Glasfaser-Ausbau in einem Schritt wird nicht möglich sein – da muss man Zwischenschritte machen“, erklärt Stephan Albers vom BREKO in einem Beitrag des Deutschlandfunks. „Deswegen wird G.fast den Glasfaser-Ausbau nicht verlangsamen, sondern beschleunigen.“

Im Wettstreit um hohe Übertragungsgeschwindigkeiten wird die Frage nach der Art der Technologie fast nebensächlich – fast scheint es, als würde der „leitungsgebundene“ Zugang vom Mobilfunk buchstäblich abgehängt. Auf der CeBIT 2015 zeigte Vodafone Deutschland in Kooperation mit der TU Dresden einen neuen Weltrekord bei der mobilen Datenübertragung, Erstmals wurden per Mobilfunk Datenraten von über 10,2 Gbit/s pro Sekunde erzielt – wenn auch noch unter Laborbedingungen.

Laut den Entwicklern sei Deutschland bei der Entwicklung der Mobilfunkgeneration 5G „weltweit federführend“. Ein Live-Betrieb wäre bereits 2020 denkbar – dann zunächst mit Bandbreiten von 1 Gbit/s. Dies, so Vodafone, mache „autonomes Fahren, Operationen aus der Ferne und wirklich virtuelle Klassenzimmer möglich“ – aber nicht nur durch die hohe Geschwindigkeit, sondern vor allem durch die angestrebte, sagenhaft geringe Latenz (sozusagen Reaktionszeit) von nur 1 Millisekunde.

Ebenfalls mit 1 Gbit/s plant die Deutsche Telekom – nachdem sie die Geschwindigkeit von LTE schon bald auf 300 Mbit/s und im Jahr 2018 auf 600 Mbit/s steigern will. Sogar eine Art „4,5 G“ ist geplant: Der als „LTE Advanced“ bezeichnete Mobilfunkstandard soll über 1 Gbit/s erreichen.

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Doch während sich die großen deutschen IT-Firmen einen Wettstreit liefern, könnte jemand anders der „lachende Dritte“ werden: Google. In den USA ist der Internet-Gigant fleißig dabei, ein Highspeed-Glasfasernetz namens „Google Fiber“ aufzubauen, das schon jetzt – und zwar in beide Richtungen – die sensationelle Geschwindigkeit von 1 Gbit/s bietet. Nach dem Start 2013 in Kansas City folgen Austin (Texas) und Provo (Utah) – und auf der Ausbauliste stehen bereits 34 weitere Städte, wie zum Beispiel Phoenix, Portland, Salt Lake City, San José, San Antonio, Nashville und Atlanta. Das Prinzip: Je mehr Interessenten es an einem Ort gibt, desto wahrscheinlicher ist dessen Versorgung mit Googles Fiber-Netz.

(C) Flickr: Google Fiber von Paul Sableman, Lizenziert unter CC BY 4.0
(C) Flickr: Google Fiber von Paul Sableman, Lizenziert unter CC BY 4.0

Zwar hat Google in den USA noch einiges vor sich, doch wird bereits gemunkelt, dass der Internet-Gigant auch über einen Start in Deutschland oder generell in Europa nachdenkt. Sollte dies so kommen, würde es nach Einschätzung von Experten die Karten für die Breitband-Versorgung in Deutschland völlig neu mischen. (Pssst: Wenn das in Ihrem Sinne sein sollte, gibt es hier die passende Petition dazu.)

Ohne Breitbandausbau – so prophezeit es René Obermann im Deutschlandfunk – werde unser Land von der technologischen und wirtschaftlichen Entwicklung abgehängt: „Software, Cloud, Video etc. pp. mündet in einem Phänomen – nämlich in eine Gigabit-Gesellschaft, weil jeder und Milliarden von Geräten jeden Tag in großem Maße Daten nehmen und abgeben. Gigabyte. Jeden Tag. Und diese Daten in Zukunft auch in Gigabit-Speed übertragen werden wollen.“

Schon in wenigen Jahren könnten also ganz selbstverständlich 10 Gbit in einer Sekunde übertragen werden – was dem Begriff „Highspeed“ eine völlig neue Bedeutung gibt. Man muss es sich auf der Zunge zergehen lassen: Eine komplette TV-Serienfolge in HD ist mit solchen Geschwindigkeiten in wenigen Sekunden übertragen. Da ist die Erkenntnis schon ernüchternd,  dass man für die gleiche Datenmenge mit einem 6-Mbit/s-Zugang etwa so lange braucht, wie die TV-Folge dauert. Download in Echtspielzeit sozusagen.

Zum Schluss eine persönliche Bitte an die Unternehmen, die sich am 27. Mai an der Versteigerung der DVB-T-Frequenzen (zur Nutzung fürs mobile Internet) beteiligen werden: Bietet fleißig mit! Wenn viel Geld in die Kassen von Bund und Ländern fließt, könnte dies – zumindest theoretisch – für einen schnelleren und intensiveren Breitband-Ausbau verwendet werden.

Und ich bräuchte meiner Familie nicht zuzurufen, dass sie alle Internetgeräte ausschalten soll, nur weil Papa „House of Cards“ gucken will…

René Wagner

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