Und wieder ist ein Jahr vorbei. Zeit, mal wieder die Glaskugel auszupacken und einen Blick in die Zukunft zu werfen. Wir halten Ausschau nach den Digitalisierungstrends des Jahres 2024. Und da brauchen wir nicht lange zu suchen: Künstliche Intelligenz, die sich bereits in diesem Jahr deutlich zu Wort gemeldet hat, steht 2024 ganz im Vordergrund. Sie dringt in fast alle Lebensbereiche ein und verändert die Arbeitsweisen vieler Berufsgruppen – mehr oder weniger radikal.
Aufmacher: Pavel Danilyuk via Pexels
Lang hat es gedauert, nun ist es so weit: Die künstliche Intelligenz zieht in unser aller Leben ein – und stellt es mitunter auch schon mal auf den Kopf. Als eine der ersten Berufsgruppen, die die Veränderungen zu spüren bekommen, gelten Journalisten. ChatGPT wird bereits eingesetzt, um Texte zu strukturieren, DeepL Write verbessert die Verständlichkeit. Grafiker haben Konkurrenz durch Midjourney bekommen, eine KI die Illustrationen auf Zuruf erzeugen kann. Kleinere Meldungen, etwa im Finanz- oder Sportbereich, werden zum Teil schon ohne menschliches Zutun erzeugt. Der Burda-Verlag hat sogar schon eine ganz Ausgabe des Kochmagazins „Lisa“ der elektronischen Intelligenz anvertraut – und diese Tatsache wohl der Einfachheit halber den Lesern einfach unterschlagen.
KI: Jetzt aber!
Ob Arbeitsminister Hubertus Heil Recht behält und es bis 2035 keinen Arbeitsplatz mehr geben wird, der nicht mit KI-Anwendungen zu tun hat, ist noch nicht sicher. Tatsache ist aber, dass sich der Vormarsch auch auf anderen Gebieten fortsetzt.
Dafür sorgen auch die einschlägigen Internetriesen mit kräftigen Geldspritzen. Microsoft investierte bereits vor einigen Jahren eine Milliarde Dollar in OpenAI, den Entwickler von ChatGPT. Jetzt sollen weitere zehn Milliarden Dollar folgen. Amazon will laut Reuters bis zu vier Milliarden Dollar in Anthropic investieren, einen Konkurrenten von OpenAI. Auch Google, das zum Konzern Alphabet gehört, mischt mit. Google investierte bereits 550 Millionen Dollar in Anthropic und will nun bis zu zwei Milliarden Dollar nachschießen.
Goldgräberstimmung bei KI-Projekten
Es ist eine wahre Goldgräberstimmung ausgebrochen, nicht nur bei den großen Unternehmen. Auch viele kleinere stürzen sich auf den Trend. Deren Projekte sind bisweilen etwas skurril. So erstellt etwa das amerikanische Startup Delphi mit Hilfe von KI digitale Clone von Menschen – egal ob tot oder lebend. Der Chatbot braucht als Training nur vier persönliche Dokumente. Durch eine Partnerschaft mit Elevenlabs, einem Unternehmen, das sich auf das Klonen von Stimmen spezialisiert hat, kann sogar die Stimme des KI-Bots angepasst werden. Dara Ladjevardian, Co-Founder und CEO von Delphi erklärte gegenüber der Plattform Venturebeat, dass er ursprünglich die Idee hatte, sich mit seinem verstorbenen Großvater zu verbinden. Daraus habe sich dann Delphi entwickelt.
Der Niederländer Jordi Van Den Bussche, alias Kwebbelkop, hat sich gleich selbst durch einen Avatar ersetzt. Statt Kwebbelkop, der mit einem Burnout zu kämpfen hat, zockt nun sein elektronisches Pendant Spiele wie etwa Minecraft oder Roblox . „Jedes Mal, wenn ich Urlaub machen wollte oder etwas Zeit für mich selbst brauchte, konnte ich das nicht tun, weil dann mein ganzes Geschäft stillstand“, erzählt van den Bussche dem Magazin Wired. Das ist nun kein Problem mehr. Sein Avatar vertritt ihn zuverlässig. Auch wenn seine 15,2 Mio. Follower das nicht unbedingt goutieren und Kwebbelkop als Reaktion auf die Umstellung einen immensen Shitstorm bescheren. Ungeachtet dessen will Van Den Bussche sein Geschäft ausbauen: Er hat mittlerweile ein Video online gestellt, das zwar anscheinend ihn persönlich zeigt, aber, wie er sagt, komplett von einer KI generiert wurde. Einfach nur um zu zeigen, was schon möglich ist. Und damit nicht genug. Seine Firma Kwebbelkop AI soll zukünftig helfen, auch andere Influencer virtuell zu doublen.
Auch Kriminelle setzen auf KI
Solche Doubles können natürlich auch missbraucht werden, wie einige Fälle mit prominenten Nachrichtensprechern aus der jüngeren Vergangenheit zeigen. So wurde etwa der heute journal-Moderator Christian Sievers das Opfer eines „Deepfakes“. Er machte in einem gefälschten Video Werbung für eine dubiose Anlageplattform. Auch tagesschau-Sprecherin Susanne Daubner sowie tagesschau-Sprecher Jens Riewa wurde bereits Opfer einer solchen Fälschung. Sie haben sich in drei gefakten Videos für angebliche Manipulationen und Lügen des öffentlich-rechtlichen Rundfunks scheinbar entschuldigt.
Die Beispiele zeigen, wie schwer es in Zukunft sein wird, Täuschung und Wirklichkeit auseinander zu halten. Ein Fakt, den sich auch Kriminelle zu Nutzen machen, von denen das man sonst eher nicht erwarten würde. Die Rede ist von Erpressern. Sie entführen ihre Opfer nicht mehr, sondern erstellen stattdessen einfach via Deep Fake ein Abbild des Opfers. Da genügen ein paar Sekunden Audiomaterial und eine Handvoll Videosequenzen, die ihre Opfer meist „bereitwillig“ über die Social-Media-Kanäle liefern. „Vor zwei Jahren, sogar noch vor einem Jahr, brauchte man eine Menge Audio, um die Stimme einer Person zu klonen“, sagte Hany Farid, Experte für Digitalforensik, gegenüber der Washington Post. Heute reiche ein TikTok-Video, sagt er. Dank der Social-Media-Kanäle erfahren die Kriminellen auch, wann ihr Opfer im Urlaub oder auf längeren Reisen ist. So wird die angebliche Entführung erst glaubwürdig.
KIs werden im kommenden Jahr vermutlich noch stärker von Kriminellen für ihre Zwecke missbraucht werden: „Die für die Suche nach Opfern erforderliche Datenverarbeitung erfordert die Filterung großer Mengen von Opferdaten“, geben die Sicherheitsexperten Gibson und Hagen in einem Blogbeitrag über virtuelle Entführungen zu bedenken. Und das ist dann wieder ein typischer Job für eine künstliche Intelligenz
Friedhof der KI-Projekte wächst massiv
Doch auch für KI-Anwendungen wachsen die Bäume nicht in Himmel. Es wird zwar auch im kommenden Jahr wieder viele neue Anwendungsideen geben, aber gleichzeitig werden viele Projekte auch wieder sterben. Die Erkenntnis setzt sich nur langsam durch: Längst nicht für jede Tätigkeit braucht man eine KI. Das Internet zollt dieser Tatsache mit dem AI Graveyard Tribut. Dort werden alle gescheiterten Projekte zusammengetragen.
Ihren festen Platz hat die KI bereits in der Medizin. In diesem Bereich stehen im kommenden Jahr mRNA-Impfstoffe im Fokus. mRNA, wir erinnern uns, war auch die Basis der ersten Covid-Impfstoffe. KI und klassische Algorithmen sollen nun helfen, diese Basis zu verbreitern und so zum Beispiel neue Impfstoffe gegen Krebs zu finden. Diese sollen, wie Spektrum.de berichtet, die entarteten Zellen für das Immunsystem „sichtbar“ machen, damit dieses sie dann gezielt angreifen und vernichten kann.
Social-Media: Twitter, Bluesky oder doch was ganz anderes?
Im Umbruch befindet sich auch – wieder mal – die Social-Media-Branche. Vor allem ein Unruhestifter ist hier unterwegs: Elon Musk. Er hat 2022 den Kurznachrichtendienst Twitter für 44 Milliarden US-Dollar gekauft. Heute heißt der Dienst X und ist nur noch 19 Milliarden Dollar wert, Tendenz sinkend. Die Eskapaden des Egozentrikers Musk haben viele Nutzer in die Flucht geschlagen. In außereuropäischen Gefilden sind sie vor allem zu Threads umgezogen. Threads ist die Twitter-Konkurrenz von Meta, der Mutter von Facebook und Telegram. Meta-Chef Mark Zuckerberg konnte bereits mehr 100 Mio. neue Threads-Konten vermelden. Seit einigen Tagen ist der Dienst auch in Europa verfügbar. Trotz kolportierten Hakeleien mit dem Digital Services Act Paket.
In Europa galt eine Zeitlang Mastodon als Alternative. Das verteilte Netzwerk gilt aber als schwierig zu durchschauen und schreckt mit einigen unnötig kompliziert umgesetzten Funktionen Neulinge ab. Stattdessen scheint nun Bluesky auf dem Vormarsch zu sein – obwohl oder gerade weil man eine individuelle Einladung zum neuen Netzwerk braucht, das von Twitter-Gründer Jack Dorsey aus der Taufe gehoben wurde. Daneben gibt es noch eine ganze Reihe von kleineren Netzwerken, die um die User buhlen, wie Artifact oder auch BeReal. 2024 wird sich zeigen, wer von ihnen sich durchsetzen kann.
Wasserstoff? Da war doch noch was?
Große Fortschritte werden im kommenden Jahr 2024 auch im Bereich der erneuerbaren Energien erwartet. Wenn die Energiewende Erfolg haben soll, dann sollte hier vieles ein bisschen schneller funktionieren. Und auch wenn sich die Politik auf Fotovoltaik und Windkraft fokusiert, so ist der Grüne Wasserstoff als Energieträger noch lange nicht tot. Im Gegenteil. Ein Forschungsteam der Universität Tübingen hat gerade eine neuartige Solarzelle vorgestellt, die Wasser direkt in Wasserstoff und Sauerstoff zerlegen kann. Der Wirkungsgrad liegt bei 18 Prozent. Das Besondere der Tübinger Entwicklung: Ein zusätzlicher externer Stromkreis, wie etwa bei einem Photovoltaik-Solarpanel, ist nicht mehr nötig. Zudem kann der Wasserstoff gespeichert werden und steht dann etwa auch nachts als Energieträger zur Verfügung. Das schlägt dann auch wiederum die Brücke zu digitalen Steuerungen und vernetzten Anwendungen. Im Jahr 2024 sind die Solarzellen aber wohl noch nicht verfügbar – noch ist ihre Stabilität zu gering.
5G NTN: Mobilfunk out of the Sky
Größere Veränderungen stehen möglicherweise auch im Mobilfunk an. Denn dort sollen endlich die letzten Versorgungslücken geschlossen werden. Zumindest im Freien. Die Hoffnung darauf basiert auf Satelliten, die eine 5G-Versorgung aus dem All bereitstellen sollen. Das steckt hinter der Bezeichnung „5G NTN“ – non-terrestrial networks bzw. auf Deutsch: Nicht-terrestrische Netze.
Profitieren können davon etwa Landwirte mit IoT-Anwendungen wie Boden- und Wettersensoren, Rettungsdienste oder auch Windkraftanlagen, die in abgelegenen Gebieten stehen. Spezielle Mobilfunkgeräte sollen nicht notwendig sein. Qualcomm hat zudem kürzlich angekündigt, dass neue Chips des Herstellers schon bald standardmäßig in der Lage sein werden, Verbindungen auch mit Satelliten aufzubauen. Für Kunden wird das Weltraum-5G dann nur wie ein weiterer Roaming-Anbieter aussehen. Allerdings dürfte die Übertragungsgeschwindigkeit noch sehr beschränkt sein – und zu den Kosten hat sich auch noch kein Anbieter geäußert.
T-Mobile USA, die zusammen mit Partner Space X Ende des Jahres erste Tests in den USA durchführen möchten, peilt im ersten Schritt eine Übertragungsgeschwindigkeit von 3- bis 4 Mbit/s an. Das reicht gerade mal für Messenger-Dienste.
Und mit diesem Ausblick verabschiedet sich die Redaktion Intelligente Welt in eine Weihnachts- und Jahreswechsel-Pause. Weiter geht es an dieser Stelle Anfang Februar 2024.
Wir wünschen allen Lesern ein paar erholsame Feiertage und einen guten Start ins neue Jahr!