Aufmacherbild: (C) Intelligente Welt
Wenn über Anwendungen für das künftige 5G-Mobilfunknetz gesprochen wird, das nach Einschätzung von Branchenkennern etwa 2020 den Betrieb aufnehmen soll, steht die Automobilindustrie ganz weit oben auf der Liste. Anlässlich des Bühnenmagazins der Intelligenten Welt auf der Fachmesse ConCarExpo 2016 sprachen wir mit Dr. Osvaldo Gonsa, Director Mobile Communications ITS von der Continental AG: Wie sieht ein namhafter Automobilzulieferer die aktuelle Entwicklung in Richtung 5G, wo gibt es noch offene Fragen – und nicht zuletzt: gibt es schon Ideen für Geschäftsmodelle, die den Aufbau der neuen Netze finanzieren können?
Als einer der größten Automobilzulieferer beschäftigt sich Continental seit Jahren mit den Themen, um die es bei der Nutzung von 5G gehen soll: Vernetztes und hochautomatisiertes Fahren sowie der Steigerung von Komfort und Effizienz beim Autofahren. Da überrascht es nicht, dass Dr. Gonsa im Namen von Continental die Entwicklung der neuen Mobilfunkgeneration sehr begrüßt – zumal bei der Konzeption des neuen Mobilfunkstandards die Anforderungen der Autoindustrie von Anfang an berücksichtigt werden.
Dennoch gibt es aus Sicht von Dr. Gonsa Herausforderungen: Während Latenz und Zuverlässigkeit der geplanten 5G-Technologie positiv zu bewerten seien, werfe insbesondere die Verfügbarkeit des Netzes Fragen auf. Sicherheitskritische oder für ein Fahrzeug etwa im hochautomatisierten Fahrbetrieb unverzichtbare Funktionen würden voraussetzen, dass das Netz jederzeit und überall verfügbar ist. Gerade in der Phase, in der die neuen Netze aufgebaut werden, ist dies eine unrealistische Annahme.
Deshalb machen sich die Ingenieure schon heute Gedanken darüber, welche Fallback-Mechanismen greifen könnten, wenn das 5G-Netz nicht zu empfangen ist. Eine Alternative zur netzbasierten Kommunikation könnte in solchen Situationen die direkte Datenübertragung von Fahrzeug zu Fahrzeug sein, die sogenannte Car-2-Car-Kommunikation. Hier setzt Continental auf den speziellen Automotive-WLAN-Standard 802.11p. Er basiert auf den bekannten WLAN-Standards, ist jedoch für die schnelle und effiziente Kommunikation zwischen Fahrzeugen optimiert. So entfallen beispielsweise die langwierigen Authentifizierungsprozesse von Clients an Access Points – Signale und Informationen sollen in wenigen Sekunden übertragen werden können.
5G und WLAN 11p – zwei Standards für unterschiedliche Anwendungen
Dr. Gonsa skizzierte in seinem Vortrag, dass es für WLAN 11p und für Mobilfunk-Systeme (heute die spezielle Automotive-Variante von LTE, die als LTE-V – LTE for Vehicles – bezeichnet wird, morgen 5G) jeweils spezifische Einsatzszenarien gibt:
- WLAN 11p soll für Short-Range-Kommunikation genutzt werden, wenn es um sicherheitsrelevante Funktionen geht.
- Mobilfunk (LTE-V bzw. 5G) fände seine Anwendungen vor allem in den Bereichen Komfort und Effizienz
Diesen beiden Szenarien lassen sich dann die einzelnen Anwendungen und Funktionen zuordnen:
In der Automobil-Branche und insbesondere in der Abstimmung mit den Mobilfunkanbietern ist diese Abgrenzung nicht unumstritten – Dr. Gonsa wünscht sich zwar, dass er hier keine Rivalität gäbe. Aber tatsächlich würden die Mobilfunkanbieter gern mehr Funktionen in Ihre Zuständigkeit holen – nicht zuletzt, um die Wichtigkeit ihrer Netze zu untermauern.
Über diesen Aspekt hinaus gibt es nach Einschätzung des Continental-Experten noch weitere Fragen, die zum Thema 5G noch nicht abschließend geklärt sind. So stellt er etwa die Frage nach der Bezahlbarkeit der neuen Dienste und merkt in diesem Zusammenhang an, dass die aktuellen, auf B2C-Märkte ausgelegten Tarife der Mobilfunkanbieter für den Einsatz in Connected Cars zu hohe Kommunikationskosten zur Folge hätten. Angesichts der Milliardenkosten, die der Aufbau neuer Netze verursachen wird, verspricht diese Diskussion spannend zu werden. Sie führt auch schnell zu einer ebenso wichtigen, aber nach Einschätzung von Dr. Gonsa ebenfalls noch nicht wirklich gelösten Frage: Nämlich der nach den Geschäftsmodellen, die den Aufbau und Betrieb von 5G-Netzen und -Diensten letztlich finanzieren sollen. Autohersteller, Zulieferer und Mobilfunkanbieter sind sich einig, dass hier innovative Lösungen gesucht werden müssen. Praktische Beispiele, wie sie aussehen könnten, sind bislang allerdings noch rar.
Funktionale Sicherheit – die Automobilindustrie schult die Mobilfunkanbieter
Ein weiterer Aspekt, der Dr. Gonsa sehr am Herzen liegt, ist die Angleichung von Entwicklungs-Zyklen, aber auch Denk- und Sicherheitsmodellen zwischen Automotive- und Mobilfunk-Branche. Ein entscheidendes Beispiel sei die funktionale Sicherheit („Functional Safety“). Dieses Konzept spielt in der Automobilbranche eine wichtige Rolle und fordert, dass Systeme so ausgelegt sind, dass sie in jeder denkbaren Situation das Fahrzeug in einem sicheren Zustand halten. Diese Anspruch und die daraus abgeleiteten Funktionen und Merkmale sind der Mobilfunkbranche noch fremd – Experten von Continental hätten deshalb damit begonnen, ihre Ansprechpartner in der Mobilfunkbranche über die Konzepte und Anforderungen der entsprechenden ISO-Norm 26262 zu schulen. Darüber hinaus müsse eine komplette Analyse der Mobilfunknetzwerke durchgeführt werden, um Risikoniveaus zu ermitteln und auf dieser Basis die richtigen Maßnahmen zu definieren.
Den rund 11-minütigen Video-Mitschnitt des kompletten Vortrags von Dr. Osvaldo Gonsa auf der ConCarExpo 2016 und die anschließende Fragerunde mit Hannes Rügheimer können Sie hier anschauen:
All dies mag sich nach manchem Dämpfer für allzu große Euphorie bezüglich 5G und Automotive-Anwendungen anhören. Dr. Gonsa möchte seine Einwände aber so verstanden wissen, dass sie wichtige Diskussionspunkte seien, die jetzt geklärt werden müssen, um zum Marktstart entsprechender Dienste und Produkte die richtigen Antworten und Lösungen dafür zu haben. In diesem Licht betrachtet, findet diese Diskussion zum genau richtigen Zeitpunkt zwischen den genau richtigen Partnern statt.