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Ideenfabriken, Branchentreffen, Forschungsrunden – sie alle bündeln Kräfte für Innovationen, denn gemeinsam ist man bekanntlich stärker. Wohl nirgendwo wird der Bedarf so deutlich wie in der Energiewirtschaft und dem großen Projekt Energiewende. Thinktanks in Forschung und Entwicklung, aber auch mit Beteiligung großer und kleiner Unternehmen geben den Takt für die Zukunft vor. Unser Titelbild zeigt die weltweite Verteilung dieser Expertenkreise.
Was tun, wenn die wichtigsten Entscheidungsträger ein über 1000 Seiten starkes Paket von Gesetzen zur Abstimmung vorbereiten, das alle Bereiche der Gesellschaft betreffen wird und das so umfassend und komplex ist, dass man im Grunde „nicht durchblickt“? Die Antwort:
Man fragt jemanden, der sich damit auskennt
Das 1000-seitige Paket ist das sogenannte „Winterpaket“ der Europäischen Kommission – vorgelegt gerade erst Ende November, um die künftige europäische Klima- und Energiepolitik so zu regeln, dass die EU ihre Ziele für Klimaschutz und Energie bis zum Jahr 2030 erreichen soll. Da der Zeitplan bis zum geplanten Inkrafttreten 2019 wegen möglicher Änderungen im Gesetzgebungsprozess recht knapp bemessen ist, ist eine fachlich fundierte Einordnung für deutsche Unternehmen, die zwangsläufig betroffen sein werden, sehr hilfreich.
Diese Einordnung hat die Agora Energiewende vorgenommen und dabei einigen „Nachbesserungsbedarf“ entdeckt, aber auch „positive Überraschungen“, so das Fazit. Die Ideenfabrik besteht aus gut 20 Mitarbeitern, die an Forschungsinstitute Studienaufträge vergeben, aber auch eigene Analysen und Studien erarbeiten – mit dem Ziel, mehrheitsfähige Kompromisslösungen für ein Stromsystem zu finden, das auf erneuerbaren Energien basiert.
Gesellschafter sind die Stiftung Mercator und die European Climate Foundation, zu den Partnern zählt unter anderem das bayerische Staatsministerium für Umwelt und Verbraucherschutz. Spannend ist die Zusammensetzung des Rates, dem zum Beispiel mit Klaus Töpfer der Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen angehört. Ebenfalls dabei: Fachleute aus Bundesministerien, Bundestagsfraktionen, EU-Parteien, Bundesnetzagentur, Gewerkschaften, Umwelt- und Verbraucherverbänden, „stromintensiven“ Unternehmen, Stadtwerken, Wissenschaft und zahlreichen weiteren Bereichen.
Ein viel zitiertes und oft in Webseiten integriertes Projekt ist das „Agorameter“, das die stündliche Stromerzeugung in Deutschland anzeigt – so wie hier gezeigt. Dargestellt werden Wind, Sonne, Wasser, Biomasse, Kernenergie, Braunkohle, Steinkohle und Erdgas. Die Darstellung ist tatsächlich tagesaktuell: Die zeitliche Verzögerung der Daten beträgt nur wenige Stunden.
Wettbewerb der besten Thinktanks der Welt
Im weltweiten Ranking der besten unabhängigen Thinktanks 2015, aufgestellt vom International Centre for Climate Governance, belegt die noch wenige Jahre junge Agora Energiewende immerhin schon Platz 38.
Zahlreiche deutsche Ideenfabriken werden noch höher bewertet, etwa das Kieler Institut für Weltwirtschaft (IfW), das Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung (UFZ) oder das Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK) – sie alle sind meist Teil eines globalen Netzwerks von Forschungseinrichtungen und Hochschulen zu Energie- und Umweltfragen.
„Den Klimawandel und seine Folgen zu verstehen ist eine Aufgabe, die kein Institut oder Land alleine leisten kann.“
(PIK Potsdam)
Deutsche Forschungseinrichtungen auf den Spitzenplätzen
In einem anderen Thinktank-Ranking, das jährlich von der Universität von Pennsylvania erstellt wird (Umfrage unter 5000 Journalisten, Politikern, Vertretern von Denkfabriken, öffentlichen und privaten Geldgebern), haben es in diesem Jahr gleich drei Einrichtungen der Johannes-Rau-Forschungsgemeinschaft (JRF) auf Spitzenplätze geschafft: Das Deutsche Institut für Entwicklungspolitik (DIE), das Internationale Konversionszentrum Bonn (BICC) und das Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie zählen nach dem „Global Go To Think Tank“-Ranking zu den renommiertesten Forschungs- und Beratungsinstituten weltweit. Die Forschungsgemeinschaft JRF wurde 2014 als Dachorganisation für aktuell 15 Forschungsinstitute in Nordrhein-Westfalen gegründet.
Im Forschungsbereich ist auch der Energie Campus Nürnberg zu nennen, ein Energieforschungszentrum als Zusammenschluss von sechs Institutionen, die gemeinsam neue Technologien für ein ganzheitliches Energiesystem entwickeln. Erforscht wird laut Webseite „die Kombination von Stromerzeugung aus erneuerbaren Quellen und Energietransport mit intelligenter Einspeisung und Speicherung in Verbindung mit einer effizienten Nutzung“.
Neben solchen Einrichtungen engagieren sich auch viele private Institute und Unternehmen mit eigenen Ideenfabriken. Einige listet etwa der Online-Katalog www.thinktankdirectory.org auf, darunter adelphi research oder auch das Institut für ökologische Wirtschaftsforschung.
Gerade frisch gegründet worden ist – als Pendant zur Agora Energiewende – die Agora Verkehrswende, ebenfalls eine Initiative der Stiftung Mercator und der European Climate Foundation. Ihr Ziel ist eng mit der Energiewende verknüpft: Bis 2050 soll der Verkehrssektor vollständig dekarbonisiert sein, denn weltweit entstehen etwa ein Viertel der klimaschädlichen Emissionen im Verkehrsbereich.
„Es ist meine Überzeugung, dass große Veränderungen in der Gesellschaft eine Dialogplattform wie die Agora Verkehrswende brauchen.“
(Achim Steiner, Vorsitzender des Rates der Agora Verkehrswende)
Die komplette Auftaktveranstaltung lässt sich hier als 2,5-stündiges Video nachvollziehen:
Thinktanks aus allen Bereichen der Gesellschaft
Das Jacques Delors Institut, das direkt neben dem Brandenburger Tor in Berlin residiert, ist eine eigenständige gemeinnützige GmbH und wurde 2014 auf Initiative des langjährigen Kommissionspräsidenten Jacques Delors gegründet. Nach eigener Aussage möchte der wissenschaftlich basierte Thinktank „an der Schnittstelle zur Politik in Berlin dazu beitragen, Schlüsselthemen der Europapolitik noch besser in den politischen Debatten in Deutschland zu verankern“. Dazu hat er den Bereich Energie zu einem seiner vier Hauptarbeitsfelder gewählt.
Gewerkschaften sind ebenfalls als Ideengeber aktiv: 2012 wurde das IG BCE Innovationsforum Energiewende e.V. (kurz: If.E) von Unternehmensvertretern und Betriebsräten gegründet – mit dem Ziel eines gesamtgesellschaftlichen Innovationspakts für die Energiewende in Deutschland. Zu den Mitgliedern gehören zum Beispiel BASF, BP, Continental, E.ON, Evonik, Merck, Mibrag, RWE, Vattenfall und Villeroy & Boch.
Auf der Webseite heißt es: „Unter Beachtung der Versorgungssicherheit sowie wettbewerbsfähiger und bezahlbarer Strompreise werden Empfehlungen abgeleitet, um ein klimapolitisch nachhaltiges Energiesystem zu entwickeln.“ Auch der neunminütige Imagefilm des Innovationsforums macht die eher gewerkschaftliche Sicht auf die Energiewende deutlich:
2013 haben das „Handelsblatt“ und General Electric einen Thinktank gestartet: die Energy Academy. Partner sind die Deutsche Telekom, das Energieunternehmen EDF, die Unternehmensberatung Bearing Point, der Verlag Bellevue and More, der Nachrichtensender N-TV und der Branchendienst Energate. Mehr als 100 Experten aus Wissenschaft und Wirtschaft diskutieren regelmäßig in Round Tables über die Probleme und Chancen der Energiewende. Zudem verleiht die Academy jährlich Preise für herausragende Projekte und Unternehmen der Branche.
Ideenfabriken speziell für junge Leute
Schon 2004 wurde in Hamburg der Think Tank 30 Deutschland (tt30) gegründet. Das interdisziplinäre Netzwerk „junger Leute um die 30, die sich mit Zukunftsfragen auseinandersetzen“, ist ein Organ der Deutschen Gesellschaft Club of Rome und Teil des globalen Netzwerks der Nachwuchsorganisationen des Club of Rome. Zu seiner Arbeit gehören auch regelmäßige Tagungen und die Organisation von Kongressen und Arbeitsgruppen – im Zuge dessen auch zum Thema Energie. Einen Beitrag zur Energiewende hat beispielsweise tt30-Mitglied Catriona McLaughlin im „The European“ veröffentlicht.
„Die Energiewende könnte unser erfolgreichstes nationales Projekt sein. Höchste Zeit, stolz darauf zu sein.“
(tt30-Mitglied Catriona McLaughlin)
Apropos junge Leute: Die Plattform Energybirds dient zum Austausch unter Studierenden und Doktoranden über das Thema nachhaltige Energien – und auch einen eigenen Thinktank gibt es, angeboten von der RWTH Aachen. In Teamdiskussionen werden mit wechselndem Schwerpunkt die einzelnen Energieträger beleuchtet.
Eine Lücke will die Stiftung Neue Verantwortung (SNV) füllen: „Im Bereich der Außenpolitik, in der Wirtschaftspolitik oder in der Umweltpolitik existieren in Deutschland bereits eine Vielzahl hervorragender Forschungsinstitute und Denkfabriken. Dagegen fehlen bei Fragen neuer Technologien vergleichbare Experten-Organisationen, die auf die aktuelle Politik und gesellschaftliche Debatten ausgerichtet sind.“ Die SNV will deshalb auch im Energiebereich das übergreifende Thema Digitalisierung in den Fokus rücken.
Einen Thinktank hat auch die Bundesregierung ins Leben gerufen: Die Plattform Forschung und Innovation (FuI-Plattform) dient dem Bundesministerium für Wirtschaft und Energie als beratendes Gremium, das nicht nur die Forschungs-Netzwerke im Bereich Energie bündelt – es bringt auch Vertreter aus Verbänden und Unternehmen, Forschungsinstituten und den betroffenen Ressorts in Bund und Ländern zusammen. Halbjährlich finden Sitzungen statt, in denen zu aktuellen Themen Handlungsaufträge formuliert werden. Zur jüngsten vierten Sitzung am 7. Dezember gibt es noch keine öffentlichen Informationen, doch auf der dritten Sitzung im Juni wurde beispielsweise ein neues Forschungsnetzwerk gegründet, das sich der Energieeffizienz in Industrie und Gewerbe widmet.
Bis zu den Europawahlen ist nicht mehr viel Zeit
Doch die politischen und wirtschaftlichen Maßnahmen im Energiebereich sind nicht nur auf Deutschland beschränkt. Bis zum Jahr 2019, wenn wieder Europawahlen anstehen und das Winterpaket wohl Auswirkungen auf alle EU-Länder haben wird, gibt es folglich noch viel zu diskutieren, zu planen und zu „denken“ – auch und gerade für Thinktanks im Forschungssektor wie auch im gewerblichen Bereich. „Ein Gesetzgebungsverfahren in der EU dauert mindestens zwei Jahre“, erklärt das Magazin Klimaretter.info und mahnt: „Bis zu den nächsten Europawahlen muss das Paket durch sein, sonst wandert es mehr oder weniger in die Mülltonne, weil ‚alte‘ Vorhaben nicht mit in die neue Legislatur genommen werden.“