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Thinktanks für Medizin: Sie arbeiten an der Zukunft der Gesundheit

Aufmacherbild: Screenshot von www.healthcarefuturists.com

Einen Schritt voraus sein, weil Nach- und Aufholen schwierig bis unmöglich ist – diese Maxime gilt für alle Thinktanks. Also selbstverständlich auch im Bereich Gesundheit. In kaum einer anderen Branche spielen schlüssige Konzepte für die Zukunft eine so große Rolle wie in der Medizin. Welches sind die dominierenden Themen, und wie begegnet ihnen die Gesellschaft? Dazu treffen sich die „Vordenker“ in Ideenfabriken aus Forschung und Unternehmen.

Im Juni 2017 werden es nur noch drei Monate bis zur Bundestagswahl sein. Spätestens dann wird die heiße Phase des Wahlkampfs eingeläutet – und mittendrin steht eines der wichtigsten Themen: die Gesundheitspolitik. Was wird im Wahljahr diskutiert werden?

Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit im Juni 2017

Die Antwort liefert Hauptstadtkongress.de: „Spitzenpolitiker aller Parteien werden ihre Konzepte offenlegen, vor allem zu einer nachhaltigen Finanzierung des Gesundheitswesens. Der Wettbewerb unter den Kassen, die Zusatzbeiträge, eine Rückkehr zur paritätischen Finanzierung, der morbiditätsorientierte Risikostrukturausgleich und die Renaissance der Idee einer Bürgerversicherung werden dabei dominierende Themen sein“, prophezeit die veranstaltende WISO S.E. Consulting GmbH auf ihrer Webseite. Die rückt jetzt zunehmend in den Fokus, weil sie den „Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit“ vorstellt, der vom 20. bis 22. Juni im Citycube Berlin stattfindet und  zu den wichtigsten Thinktanks in diesem Bereich gehört.

Der Hauptstadtkongress Medizin und Gesundheit findet im Juni 2017 statt. (C) Hauptstadtkongress.de / WISO S.E. Consulting GmbH

Diskutiert werden hier nicht zuletzt die Grundpfeiler des Gesundheitswesens: „Qualität und nachhaltige Finanzierung“. Statt nur die Abfederung von Kosten in den Mittelpunkt zu stellen, soll jetzt eine Steuerung durch exakte Qualitätskriterien etabliert werden. Weitere Fragen behandeln die Nutzung von Big Data, Gesundheits-Apps und das Patienten-Empowerment (also mehr Beteiligung der Patienten). Der Hauptstadtkongress werde, so die Ankündigung, diese Fragen „mit führenden Köpfen aus Politik, Selbstverwaltung und Gesundheitswirtschaft weiter diskutieren“, darunter zahlreiche Firmen und Forscher.

Vertiefende Informationen und Mitschnitte der Vorträge wird es auf dem Youtube-Kanal des Kongresses geben. Derzeit enthält er allerdings noch Rückblick-Videos zum Kongress 2016:

Thinktanks von Forschern für Forscher

Auch Forscher schließen sich immer öfter zu Thinktanks zusammen, um ganz spezielle Forschungsschwerpunkte zu diskutieren.

Ein Beispiel ist ein Thinktank für „Mystery Disease“ – die Myalgische Enzephalomyelitis (ME), auch „Chronisches Erschöpfungssyndrom“ genannt. Zehn in diesem Bereich in Europa führende Wissenschaftler wollen Druck auf die internationalen Forschungsanstrengungen ausüben. Denn trotz der großen Zahl der Erkrankten (allein eine Million Menschen in den USA und noch mehr in Europa) fehle dem medizinischen Personal, so die Wissenschaftler, das nötige Wissen über bestehende Forschungs- und Behandlungsmöglichkeiten. Absolut notwendig sei deshalb die Einleitung von Großforschung: „Wir werden niemals in der Lage sein, ME richtig zu behandeln, wenn wir diese Art der Forschung nicht starten“, mahnt Professor Kenny De Meirleir aus Belgien. Die Thinktank-Treffen sind von der neu gegründeten Europäischen Gesellschaft für ME initiiert worden.

Eine Ideenfabrik aus dem Bereich der Wissenschaft ist auch die „Witten/Herdecke Think Tank Series“, die von Studenten organisiert wird – in Zusammenarbeit mit ausgewählten Institutionen und im Austausch mit Studierenden anderer Fakultäten und Universitäten. Auf der Agenda stehen auch hier Themen des Gesundheitswesens, etwa die Neurologie, zu der es sogar einen eigenen Audio-Podcast gibt.

Interdisziplinäre Ideenfabriken werden immer wichtiger

Apropos Berlin: Über 300 Unternehmen aus der Medizin- und Biotechnik haben sich in der Hauptstadt angesiedelt. „Das Potenzial ist groß – aber die Akteure wissen zu wenig voneinander“, konstatiert die Konrad-Adenauer-Stiftung, in der ein eigener Thinktank zum Thema „Gesundheitsstadt Berlin“ angesiedelt wurde. Das Ziel: „Auf dem Feld von Medizin und Gesundheit lässt sich exemplarisch durchspielen, wie die vielbeschworene ‚Stadt des Wissens‘, die Berlin sein soll, aussehen müsste.“ Die Mitwirkenden des Projekts, allesamt Bürger und Akteure des medizinnahen Sektors, haben sich zum Verein „Gesundheitsstadt Berlin e.V.“ zusammengeschlossen.

Auch beim „Frankfurter Zukunftsrat“ haben sich Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens und der Wissenschaften zu einer gemeinnützigen Denkfabrik zusammengeschlossen – mit dem Ziel eines dynamischen Deutschlands, „das gut gerüstet seine Zukunft in einem gemeinsamen Europa, aber auch in der globalisierten Welt gestalten kann“, so die Selbstdarstellung.

Erforderlich sei eine sinn- und friedensstiftende Handlungsweise in der Zukunft, wofür ganzheitliche Konzepte erarbeitet werden müssten, die weit über eine Legislaturperiode hinausgehen. Dazu tagen in regelmäßigen Abständen Zukunftsforen in vier Bereichen, darunter zur Gesundheit. Wobei  nicht etwa Korrekturen oder Optimierungen beim bestehenden System im Fokus stehen, sondern grundlegende Neustrukturierungen erarbeitet werden sollen. Im Rahmen der „Frankfurter Zukunftsnacht“ entstand zum Beispiel dieses rund 90-sekündige Video, das die neun spannendsten und eindringlichsten Fakten präsentiert, mit denen wir uns in den nächsten Jahren auseinandersetzen werden müssen:

Das Zukunftsforum Gesundheit diskutiert aktuell die Frage, welche Auswirkungen die moderne Arbeitswelt auf unsere Gesundheit hat, wie man dem demografischen Wandel und zunehmenden Fachkräftemangel begegnen kann und wie das Gesundheits- und Rentensystem für eine alternde Massengesellschaft zu finanzieren ist. Auch das Thema Digitalisierung spielt eine immer größere Rolle.

„Gerade die Medizin kann Profiteur der digitalen Technik sein –und damit letztlich auch der Patient. Eine personalisierte Medizin, die zielgerichtete Therapien ermöglicht, ist in Zukunft ohne IT nicht denkbar.“ (Roland Nagel, Geschäftsführer der Gesundheitsforen Leipzig GmbH)

Um die Leistungsfähigkeit der digitalen Medizin auszuschöpfen, propagiert der Frankfurter Zukunftsrat eine verstärkte interdisziplinäre Zusammenarbeit – auch mit digitalen Playern, die auf den ersten Blick nicht zum medizinischen Bereich passen. „Denn bisher besteht oft ein zu geringes Wissen über die Stärken und Kompetenzen des jeweils anderen. Die praktische Umsetzung solcher Entwicklungen stellt längerfristig auch einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar.“

In Düsseldorf verstehen sich die „HealthCare Futurists“ als interdisziplinäre Denkfabrik im Gesundheitswesen und führen dazu regelmäßig den „Health-Care Hackathon“ innovate.healthcare in mehreren Städten durch – zuletzt im März 2016 in Hamburg. Trendforscher berichteten dort über Big Data, Smart Data Analytics und Künstliche Intelligenz.

Unternehmen gründen eigene Thinktanks

In den letzten Jahren ist auch in der Wirtschaft eine zunehmende Fokussierung von Themen in Ideenfabriken festzustellen. Über Kooperationen oder Teilnahmen an Kongressen hinaus bilden Unternehmen interne Thinktanks, die mehr sein sollen als bloße Brainstorming-Meetings.

Ein Beispiel ist der Multitechnologiekonzern 3M, der auch im Gesundheitsbereich breit aufgestellt ist. Hier treffen sich Experten unterschiedlicher Disziplinen und Hierarchie-Ebenen jeden Monat zum Lunch, um Ideen zu diskutieren und voranzutreiben. „Unser Thinktank ist wie ein Club. Als wir damit anfingen, haben wir nach kreativen Köpfen im Unternehmen gefragt und danach, wer dazu bereit ist, gute Ideen voranzutreiben. Es sind also immer die gleichen 35 Leute, die eingeladen werden“, erklärt Senior Technical Manager Willi Geser, der den Thinktank seit ein paar Jahren moderiert. Er hebt die interdisziplinäre Zusammenarbeit hervor: „Mit diesem Thinktank haben wir die Möglichkeit, die Mitarbeiter über die Abteilungs- und Geschäftseinheitsgrenzen hinaus zu vernetzen. Und das funktioniert: Die Menschen lernen sich kennen, gehen miteinander essen und entwickeln gemeinsam Ideen – das ist unheimlich wertvoll für unser Unternehmen.“

Think and Do Tank von Vodafone

Als mehr denn eine reine Ideenfabrik sieht Vodafone seinen eigenen Thinktank, das Vodafone Institut für Gesellschaft und Kommunikation, und nennt ihn kurzerhand „Think and Do Tank“ – es fördert nicht nur den Dialog zwischen Wissenschaft, Wirtschaft und Politik, publiziert Studien und praktische Handlungsempfehlungen, sondern entwickelt auch eigene Projekte und Forschungskooperationen. Die Beiratsmitglieder sind renommierte Wissenschaftler und Ökonomen, die zum Beispiel auf Europas wichtigster Internetkonferenz re:publica in Berlin im Panel „Tech Innovations in Health“ zusammen mit internationalen Experten einen Ausblick in die Zukunft wagten. Das Panel kann hier als halbstündiges Video nachverfolgt werden:

Nicht zuletzt ist eine der wohl wichtigsten Denkfabriken Deutschlands – bereits genannt in unserem Thinktank-Beitrag zum Thema Logistik – auch im Bereich Medizin und Gesundheitswesen zu nennen. „2b AHEAD“ mit Sitz in Leipzig bezeichnet sich selbst als „Business-Thinktank mit dem größten Innovatoren-Netzwerk in der deutschen Wirtschaft“. Mehr als 200 Top-Manager entwickeln jährlich die Geschäftsmodelle der nächsten zehn Jahre, das Netzwerk umfasst 800 Innovations-Chefs der deutschen und europäischen Wirtschaft. Entstanden ist hier unter anderem die Trendstudie „Die Personalisierte Medizin der Zukunft“, die 15 Strategie-Empfehlungen für die beteiligten Akteure der Heilberufe gibt.

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