Digitalisierung für die Umwelt: Neustart in eine grünere Zukunft?

Kaum ein Tag vergeht ohne neue Innovationen durch Digitalisierung. Dies gilt jetzt in der Coronakrise mehr denn je – auch und vor allem in den Bereichen Umwelt und Nachhaltigkeit. Forscher und Entwickler zeigen Lösungen auf, die optimistisch in eine grünere Zukunft blicken lassen. Das schürt die Hoffnung auf so manchen intelligenten Neustart – dank Big Data, maschinellem Lernen und Künstlicher Intelligenz.

Autor: René Wagner; Quelle des Aufmacherbildes: Pixabay.com / Collage: geralt und mohamed_hassan

Quelle des Aufmacherbildes: Pixabay.com / Collage

„Die Menschheit ist verloren, wenn wir nicht die Erde verlassen. Die Ausbreitung im Weltraum ist das Einzige, was uns noch retten kann.“ (Stephen Hawking, 1942–2018)

Stephen Hawking (1942–2018). (C) Von NASA – Original. Source (StarChild Learning Center). Directory listing., Gemeinfrei, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=1657641

Hawkings Aufforderung an die führenden Nationen: Bereitet euch darauf vor, einen anderen Planeten zu besiedeln, schickt innerhalb der nächsten acht Jahre Menschen zum Mars und baut in spätestens 30 Jahren eine Mondbasis auf!

„Die Erde ist in so vielen Bereichen bedroht, dass es für mich schwierig ist, noch positiv zu denken“, sagte der Astrophysiker 2017, ein Jahr vor seinem Tod. Seine Befürchtung: es könne vielleicht nur noch 100 Jahre dauern, bis Katastrophen wie Klimawandel oder Epidemien der Menschheit keine andere Wahl mehr lassen als sich nach einer neuen Erde umzusehen.

Sollen wir eine neue Erde suchen oder doch unsere eigene retten?

Es ist keine Frage, dass man die Warnung eines der größten Genies unserer Zeit nicht leichtfertig in den Wind schlagen sollte. Ein Gefühl der Beklemmung ist dennoch kaum zu vermeiden: Stephen Hawking wird doch hoffentlich nicht recht haben? Und wie sehr sollte diese Mahnung Ansporn für uns sein, alles zu unternehmen, damit unsere Zeit nicht so schnell bzw. möglichst gar nicht abläuft? Dass wir es aus eigener Kraft auf unserem eigenen Planeten schaffen?

Doch vielleicht werden gerade in diesen Tagen und Wochen neue Weichen für die Zukunft der Menschheit gestellt. Längst erleben wir durch die Coronakrise massive Veränderungen in fast allen Bereichen unseres täglichen Lebens. Viele gehen davon aus, dass manches davon auch nach der Krise – teils mehr, teils weniger – erhalten bleiben könnte. Experten, Umweltorganisationen, sogar Wirtschaftsverbände und ein großer Teil der Regierungen sprechen sich für Investitionsprogramme aus, die an ökologische Aspekte gekoppelt sein sollen. Der Tenor: Wenn ein Neustart unumgänglich ist, dann bitte mit dem größtmöglichen Effekt für eine grünere Zukunft.

Ist Digitalisierung gut oder schlecht für die Umwelt?

„Ohne KI werden wir den Kampf gegen den Klimawandel nicht gewinnen können.“ (Oliver Zielinski, Deutsches Forschungszentrum für Künstliche Intelligenz)

Viele sehen die Digitalisierung als wichtigsten Schlüssel für die Bekämpfung der Probleme in der Gesellschaft – und somit auch als Allheilmittel gegen den Klimawandel. Dass Forschung und Entwicklung sich längst nicht einig sind über die möglichen Erfolgsaussichten, darüber berichtete die Intelligente Welt bereits an anderer Stelle.

Trotzdem überwiegen die Vorteile der Digitalisierung auch für die Umwelt, da sind sich die meisten Forscher einig.

Beispiele für Projekte zur Digitalisierung in der Umwelt

Luftverschmutzung kann tödliche Folgen haben, vor allem für Stadtbewohner – und nicht zuletzt für Menschen, die an Covid-19 erkrankt sind. Wissenschaftler sehen einen klaren Zusammenhang zwischen der Luftverschmutzung und den Todeszahlen durch das neuartige Coronavirus. Doch gleichzeitig sind auch gestiegene Bemühungen von großen Städten zu beobachten, die Luftsituation zu verbessern. Und schließlich hat auch der Lockdown in den meisten Ländern zu einer Verbesserung beigetragen.

Luftverschmutzung über Indonesien und dem indischen Ozean – auch hier kann die Digitalisierung der Umwelt helfen und für mehr Nachhaltigkeit sorgen.
Luftverschmutzung über Indonesien und dem indischen Ozean (1997), weiß markiert: von Feuern stammende Aerosole (Rauch) in den unteren Luftschichten,
grün / gelb / rot: darüber liegender Smog.

Das Problem ist nur: Oft fehlt es den Städten an Wissen über Zeit und Ort von auftretender Luftqualität, da nicht genügend bezahlbare Messstationen vorhanden sind. Diese will das Münchner Start-up Hawa Dawa in sehr kleiner und günstiger Form liefern. Gleichzeitig kombiniert es die Sensorik mit einer KI-gestützten Software. Zusammen mit Satelliteninformationen entstehen Unmengen von Daten, wodurch ein flächendeckendes und hochauflösendes Bild der Luftqualität entsteht. Bereits heute ist es in 25 Städten in Deutschland und der Schweiz verfügbar. Die so ermittelten Daten sollen bei der Planung der Stadtentwicklung helfen und das Gesundheits-, Verkehrs- und Logistikmanagement verbessern.

„Insgesamt wird die Bereitschaft, auch die Umwelt mitzudenken, immer größer. Wird daraus ein Trend, wären die Städte für künftige Krisen und Pandemien besser gerüstet – denn sie hätten eine gesündere Bevölkerung.“ (Karim Tarraf, Mitgründer von Hawa Dawa)

Mit KI die Ökosysteme der Erde besser verstehen

Studie des Weltwirtschaftsforums

Mehr als 80 Einsatzmöglichkeiten für KI-Lösungen im Bereich Umweltschutz nennt das Weltwirtschaftsforum in einer Studie. Darunter zum Beispiel die Vorhersage von Naturkatastrophen, die Überwachung von Plastikströmen im Meer oder die Bekämpfung von Wilderei und Artenschwund. Dazu ist allerdings erforderlich, die riesigen Datenmengen, die längst zur Verfügung stehen und oft nur isoliert betrachtet werden, intelligent miteinander zu vernetzen.

Dieses Problem will Microsoft aktiv angehen: Seine digitale Plattform „Planetary Computer“ führt Umweltdaten aus aller Welt zusammen, damit Wissenschaftler, Unternehmen, Regierungen und Umweltschutzorganisationen darauf zugreifen und sich auch untereinander vernetzen können. Ziel ist nicht mehr und nicht weniger als die unglaublich komplexen Ökosysteme unserer Erde besser zu verstehen. Erst so können Aktivitäten zum Schutz der Umwelt und für mehr Nachhaltigkeit greifen.

KI-Projekte für besseren Schutz der Umwelt

Selbstlernende Gebäudetechnik: KI-Systeme sind auch ein großer Trend im Bereich Energietechnik. Das Bonner Start-up Recogizer etwa bringt Gebäuden bei, wie sie selbsttätig und vorausschauend Energie einsetzen und steuern können. Dabei lernen sie nach einiger Zeit, wann wie viel Energie von den Nutzern benötigt wird. Seit 2018 optimiert auch bei Google eine KI den Stromverbrauch seiner Rechenzentren. Dazu bezieht das System alle möglichen Daten wie Auslastung, Kühlung und Wetter, aber auch Vorhersagen des zu erwartenden Datenverkehrs mit ein.

Verschleiß vorhersagen: Selbst der Verschleiß von Geräteteilen braucht nicht mehr abgewartet zu werden, sondern wird rechtzeitig prognostiziert. Beim Windkraftanlagenbauer Senvion läuft ein künstliches neuronales Netz, das kleinste Anomalien im Betrieb erfasst und Alarm schlägt, bevor eine Offshore-Anlage durch spätere größere Probleme komplett ausfällt.

Solaranlagen erkennen: Nach eigenen Angaben ist die Versicherungskammer Bayern der erste Versicherer, der Künstliche Intelligenz einsetzt, um Photovoltaik-Anlagen auf Dächern zu identifizieren und den Betreibern anschließend maßgeschneiderten Versicherungsschutz anzubieten. Hintergrund ist, dass 80 bis 90 Prozent der PV-Anlagen laut VKB unterversichert sind.

Digitalisierung zum Schutz der Umwelt und zur Steigerung der Nachhaltigkeit kann auch bessere Geschäfte bedeuten: Mit Künstlicher Intelligenz identifiziert die Versicherungskammer Bayern Solaranlagen auf Dächern.
Digitalisierung zum Schutz der Umwelt und zur Steigerung der Nachhaltigkeit kann auch bessere Geschäfte bedeuten: Mit Künstlicher Intelligenz identifiziert die Versicherungskammer Bayern Solaranlagen auf Dächern.

Auf Basis von Google Maps – mit Aufnahmen aus Bayern und in der bayerischen Pfalz – wurde die KI mit Tausenden von Satellitenbildern auf die Erkennung von PV-Anlagen trainiert. Hat sie eine entsprechende Installation erkannt, schickt die Versicherungskammer Bayern an die entsprechende Adresse ein Angebot zur Kontaktaufnahme. So trägt die Digitalisierung nicht nur zu mehr Nachhaltigkeit und somit dem Schutz der Umwelt bei, sondern wirkt sich dennoch auch geschäftsfördernd aus.

Mit Datenanalysen zu mehr Nachhaltigkeit

Wasserquellen erhalten: Futurepump aus Großbritannien fungiert als „Social Business“, das sich die Schaffung positiver sozialer und ökologischer Auswirkungen zum Ziel gesetzt hat. Es kümmert sich nicht nur darum, dass landwirtschaftliche Betriebe mit umweltfreundlichen Solar-Bewässerungssystemen versorgt werden, sondern will gleichzeitig sicherstellen, dass es nicht zu einer Erschöpfung des Grundwassers kommt. Dazu überwacht das Unternehmen die Daten von 4000 Pumpen auf Farmen in ganz Afrika und führte diese mit Grundwasserkarten und anderen Informationen zusammen. Auch hier steht verbesserte Nachhaltigkeit im Fokus.

Gebäude präzise analysieren: Das US-Start-up Bractlet sieht jedes Gebäude als ein eigenes Ökosystem mit spezifischen Besonderheiten an. Auf dieser Basis analysiert es mit Hilfe eines digitalen Klons die genaue Funktionsweise, um den Stromverbrauch deutlich zu senken. Weil das Gebäude sich nun als „Digitaler Zwilling“ virtuell betrachten und austesten lässt, sind vielfältige Echtzeit-Simulationen möglich.

Digitales Haltbarkeitsdatum: Das vom Bundesministerium für Wirtschaft und Energie geförderte Projekt „FreshAnalytics“ hat sich zum Ziel gesetzt, eine KI-Plattform zur Optimierung der Lebensmittelkette zu entwickeln. Im Fokus steht die Idee eines digitalen Haltbarkeitsdatums, das sich automatisch unterschiedlichen Lager- und Transportbedingungen anpasst. Das „DHD“ ist nicht aufgedruckt, sondern lässt sich via App auslesen oder auf digitalen Preisschildern oder im Online-Shop dynamisch anzeigen. Auch hier trägt die Digitalisierung somit unmittelbar zu mehr Nachhaltigkeit bei.

Lebensmittelverschwendung reduzieren: Ebenfalls vom BMWi gefördert wird das Projekt REIF (Resource-efficient, Economic and Intelligent Foodchain). Künstliche Intelligenz soll dabei helfen, die Lebensmittelverschwendung in der Lebensmittelindustrie zu verringern. Denn oft werden viele Lebensmittel dort gar nicht erst verarbeitet. Ziel ist es, die Lebensmittelverluste in den Bereich Molkerei, Fleisch und Backwaren um bis zu 90 Prozent zu reduzieren.

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