Digitalisierung und Klimaschutz: Profitiert die Umwelt?

Digitalisierung als Heilmittel gegen den Klimawandel – ob das funktionieren kann, darüber sind sich Forscher und Entwickler nicht einig. Oft macht der „Rebound-Effekt“ die Umwelt-Vorteile von Innovationen wieder zunichte: Wird etwas einfacher, komfortabler oder gar ressourcenschonender, erfreuen sich die meisten Menschen so sehr an dieser Verbesserung, dass sie noch mehr davon wollen – und damit Einsparungen zunichte machen. Zukunftsforscher sind sich einig: Im Wesentlichen kommt es auf die Einstellung der Menschen an, wenn sich im Hinblick auf den Schutz von Klima und Umwelt die großen Chancen der Digitalisierung erfüllen sollen.

Quelle des Aufmacherbildes: Pixabay.com / Collage

Acht Beispiele, warum Digitalisierung der Menschheit helfen kann

Was haben die Blätter eines Baumes und der Baum selbst mit der Energiewende zu tun? Es geht um die Betrachtungsweise, wie wir intelligente Stromnetze, sogenannte „Smart Grids“, designen und steuern. Das Ziel ist, Energie möglichst aus der Nachbarschaft zu beziehen. So können lange und ineffiziente Stromwege vermieden werden. Die Intelligente Welt hat dazu schon berichtet – in einem rund vierminütigen Video gibt es die Kurzfassung:

Noch ein Beispiel für Digitalisierung im Dienst der Umwelt, das wir Ihnen ebenfalls als Video präsentieren können: Dank „Precision Farming“ werden Landwirte und ihre Maschinen immer smarter, die Steuerung der landwirtschaftlichen Großgeräte deutlich präziser. Die Optimierung auf dem Feld steht im Mittelpunkt: Precision Farming  berücksichtigt sogar, wenn sich sich die Bodenverhältnisse von einem Quadratmeter auf den anderen ändern – was Kosten spart und die Umwelt schont.

Aller guten Videos sind drei: Schon vor fünf Jahren berichtete die Intelligente Welt über das Elektroauto als Energiespeicher. Stromnetze lassen sich so entlasten und stabilisieren, Energie bleibt lokal gespeichert und dient als „Puffer“ für Wasch- oder Spülmaschine. So wird der Stromverbrauch intelligent.

Es gibt noch viele weitere Beispiele, wie Digitalisierung dem Klima nutzen kann: So schaltet das Start-up „Tracks“ Lastwagen auf Autobahnen zusammen. Sie bilden dann eine Kolonne mit sehr geringem Abstand zwischen den Fahrzeugen, was massiv Kraftstoff spart und den CO₂-Ausstoß reduziert.

Immer mehr Plattformen verbinden kleine Solaranlagen untereinander zu einem großen virtuellen Gesamtnetz, das Einspeisung und Entnahme intelligent ausgleicht. Voraussetzung für die Abstimmung in Echtzeit sind intelligente Stromzähler. Wenn die Solaranlage des Nachbarn beispielsweise mehr Strom produziert als er selbst gerade benötigt, kann man ihm davon etwas abkaufen. Dieses „Social Energy“-Prinzip haben wir schon einmal in einem eigenen Beitrag vorgestellt.

Das Berliner Start-up Infarm ermöglicht den ökologischen Anbau von Kräutern und Gemüsesorten direkt in Restaurants oder Supermärkten („Vertical Farming“) – ganzjährig, platzsparend, ohne Einflüsse durch das zunehmend inhomogene Wetter. Ein 15-minütiger TV-Beitrag von ARTE steigt tiefer in das Thema ein:

Rasant wachsende Bevölkerungen in Städten könnten so versorgt werden, vor allem die Distanzen in der sonst tausende Kilometer langen Produktionskette bei Lebensmitteln lassen sich minimieren. Auch wenn für die künstliche Beleuchtung ihrerseits Strom benötigt wird: Laut Infarm werden im Vergleich zu traditioneller Landwirtschaft bis zu 90 Prozent weniger Wasser und 70 Prozent weniger Dünger benötigt.

Auch der Straßengütertransport per Container lässt sich mit Mitteln der Digitalisierung effizienter und somit umweltschonender gestalten. Ein Projekt des Instituts für Seeverkehrswirtschaft und Logistik macht Lieferprozesse zuverlässiger, steuert intelligenter den Verkehr, verbessert die Auslastung von Terminalkapazitäten, Ladungs- und Verkehrsträgern, verringert Leerfahrten und hilft so bei der Reduktion des Schadstoffausstoßes. Ein kurzes Video erklärt das Prinzip.

Ein ambivalentes Beispiel sind Smart-Home-Anwendungen: Sie steigern nicht nur den Komfort, sondern können durch intelligente Steuerung von Heizung und Licht auch den Energieverbrauch senken. Gleichzeitig kurbeln Komfort und technische Möglichkeiten den „Ausstattungswillen“ der Verbraucher an. Die Geräte im Haus werden immer mehr und verbrauchen somit in der Summe auch mehr Energie.

Schattenseiten der Digitalisierung für die Umwelt

Einige Fakten zeigen jedoch auch die Kehrseite der Medaille auf:

  • Wäre das Internet ein Land, stünde es auf Platz 6 der Liste der Staaten mit dem größten Stromverbrauch.
  • Experten schätzen für die Entwicklung des Internets, dass sich dessen Größe alle zwei Jahre verdoppelt.
  • Die Zahl der Internetnutzer und auch der „digitalisierten Lebensbereiche“ steigt unaufhaltsam.
  • Digitale Technologien sind heute schon für 4 Prozent der weltweiten CO₂-Emissionen verantwortlich.
  • Durch die Herstellung einer immer größeren Zahl smarter Geräte ist auch zunehmend sogenannte „graue Energie“ nötig – die Energie für die Produktion an sich, ohne den späteren Betrieb überhaupt mit einzurechnen
  • Onlinedienste wie Streaming- oder Cloudplattformen entwickeln einen immer größeren Datenhunger, wodurch der Energie- und Kühlungsbedarf der Rechenzentren massiv steigt. Besonders fatal haben sich in den letzten Jahren Kryptowährungen ausgewirkt. Sie verbrauchen eine enorme Rechenleistung, ohne der damit verbrauchten Energie irgendeinen realen Wert gegenüberzustellen.
  • Bis 2025 ist europaweit mit 1,7 Milliarden vernetzten Haushaltsgeräten zu rechnen, wobei Computer und Unterhaltungselektronik noch gar nicht mitgezählt sind
  • Für Sprachbefehle empfangsbereite Geräte können die Stromrechnung eines Haushalts um bis zu 100 Euro pro Jahr in die Höhe treiben. Der Mehrverbrauch in Europa entspricht laut einer Studie dem jährlichen Stromverbrauch aller privaten Haushalte Italiens.

Immerhin: Immer mehr „digitale Unternehmen“ wie Google, Facebook, Microsoft oder auch Apple verstärken ihre Bemühungen, ihre Anwendungen und Geräte nachhaltiger zu betreiben. In der Studie „Clicking Green“ von Greenpeace vor zwei Jahren wurden sie dafür ausdrücklich gelobt.

Dennoch oder gerade deshalb ist es auch für User nicht verkehrt, immer mal darüber nachzudenken, woher die Energie für die Geräte und Server stammt, die man täglich nutzt.

Schaffen wir die Digitalisierung mit mehr Menschlichkeit?

Schlussendlich sollte das Ziel sein, mit Hilfe der Digitalisierung die Welt (und die Umwelt) positiv zu gestalten. Zum Beispiel, indem optimieren von reduzieren begleitet wird. Im Idealfall werden „schlechte“ Prozesse erkannt und ganz vom Planeten gebannt.

„Für die Transformation ist nicht nur Technik nötig, sondern auch mehr soziale Kompetenz, Empathie und Solidarität. Die Herausforderungen der Digitalisierung sind jedenfalls nicht mit den Werkzeugen der Digitalisierung zu lösen. Wir müssen unsere Gesellschaften widerstandsfähig machen, mehr kommunizieren und uns daran orientieren, die Leitplanken des Erdsystems einzuhalten.“
Dirk Messner, Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat der Bundesregierung

Das muss nicht so weit gehen wie bei der Webseite solar.lowtechmagazine.com, die mit Solarenergie betrieben wird und nur dann aufrufbar ist, wenn die Sonne scheint.

Digitalisierung und Schutz der Umwelt mal anders: Diese Webseite ist nur online, wenn die Sonne scheint.
Digitalisierung und Schutz der Umwelt mal anders: Diese Webseite ist nur online, wenn die Sonne scheint.

Die Betreiber wollen mit der Seite deutlich machen, dass das Internet Unmengen an Strom benötigt, um überhaupt zu funktionieren. Deshalb plädiert etwa das Technikmagazin t3n.de für einen Sinneswandel bzw. eine Sinnesschärfung: Nach den „Fridays for Future“ und den „Scientists for Future“ müsse es nun einen Aufruf à la „Tech for Future“ geben – um dafür zu sensibilisieren, „neue Technologien viel stärker in einem nachhaltigen Sinne einzusetzen und zu entwickeln“.

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