Logistik: Lieferroboter zwischen Anspruch und Wirklichkeit

Verstopfte Straßen, Lieferfahrer im Stress: Der Boom des Online-Shoppings zeigt immer mehr auch seine negativen Seiten. Zeit, sich Gedanken um eine Lösung des stetig größer werdenden Problems zu machen. Können  Lieferroboter die Antwort für die städtischen Logistik-Herausforderurgen sein? 

Das Internet hat sie zu einer wahren Flutwelle anschwellen lassen. Laut der Plattform Statista wurden 2023 allein in Deutschland 4,2 Milliarden Sendungen von Kurier-, Express- und Paketdiensten ausgeliefert, bis 2027 sollen es 4,87 Milliarden werden. Auch im zehnmal kleineren Österreich schwoll die Paketflut an. Allein  die Österreichische Post hat im Jahr 2023 die Rekordzahl von 200 Millionen Pakete transportiert. Zum Vergleich: 2019 waren es noch 127 Millionen.

Die Folge: Personalmangel und Stress bei den Zustellern, Lieferwagen, die die Großstädte verstopfen und frustrierte Kunden, die ihre Lieferungen auch schon mal im Vorgarten suchen müssen. „Seit Jahren geht das Transportaufkommen nach oben. Da wird man sich was überlegen müssen, wie man dem gerecht wird“ sagt denn auch die Logistikexpertin Margaretha Gansterer von der Universität Klagenfurt gegenüber ORF Topos. Für Gansterer liegt  die Zukunft der urbanen Logistik in der Zusammenarbeit. Sie arbeitet mit ihrem Team an horizontalen Kooperationen sowie Optimierungsalgorithmen für Städte und deren Lieferketten.

Lieferroboter: die Zukunft der Paketzusteller?

Manche  Visionäre haben eine andere Vorstellung:  Sei glauben an Lieferroboter. Sie sind klein, umweltfreundlich und können autonom agieren.  Sensoren und Kameras,  sowie eine ausgefeilte Mechanik sollen dafür sorgen, dass sie selbsttätig ihren Weg durch den Großstadtdschungel finden und Hindernissen und Personen dabei elegant ausweichen.

Insbesondere viele Start-ups wittern hier ihre Chance. So sprach etwa das amerikanische Unternehmen Nuro noch bis vor kurzem  von 4,1 Billionen Dollar Wertschöpfung bis zum Jahr 2035 – allein für die USA. Nuro entwickelt autonom fahrende Lieferwagen, die automatisiert Waren ausliefern. Der Hintergrund: Die Roboter sollen das Lieferpersonal ersetzen, das laut einer Studie von McKinsey aus dem Jahr 2018 immerhin 80 Prozent der Kosten auf der letzten Meile verursacht.

Der Enthusiasmus ist aber mittlerweile Ernüchterung gewichen. Nuro etwa musste im Mai 2023 30 Prozent seiner Beschäftigten entlassen. In einer „Nachricht der Gründer“, wurde zudem eine Neuausrichtung, weg vom Auslieferungsdienst hin zur Entwicklung von Autonomem Fahren und dem Einsatz von KI angekündigt. Eine Weiterentwicklung der Fahrzeugflotte ist damit wohl erstmal vom Tisch.

Nuro R2 auf Lieferfahrt.
Nuro hat autonome Minilaster gebaut und sie für einen automatischen Lieferservice eingesetzt. Bild: Nuro

Versuch und Irrtum

Über die Jahre sind bereits eine ganze Reihe von Projekten in diesem Bereich, die einst mit viel Schwung gestartet wurden, wieder eingestellt worden. Prominentestes Beispiel ist der Roboter „Scout“ von Amazon. Der kleine Lieferroboter war in verschiedenen US-Städten wie etwa Seattle im Einsatz. Ende 2022 wurde der Dienst der kleinen Kisten auf 6 Rädern wieder beendet. Das bisherige Konzept habe nicht funktioniert, hieß es dazu von Amazon.

Auch FedEx hat seine Experimente mit dem Lieferroboter „Roxo“ abgebrochen. Roxo operierte in unterschiedlichen Ländern wie Japan, den Vereinigten Arabischen Emiraten und Dubai und war bis zu 16 km/h schnell. Er lieferte Pakete aus, die die Empfänger nach einer Benachrichtigung mit einem Code abholen konnten. Mit seiner Pensionierung teilt Roxo das Schicksal mit dem deutschen Postroboter Postbot oder auch dem Lieferroboter von Hermes, der kurzzeitig in Hamburg im Einsatz war

Lieferroboter: Begrenzte Leistungfähigkeit

Hersteller dieses Roboters war Starship, ein Unternehmen, das immerhin zu den ganz Großen der Branche gehört. Die Lieferroboter von Starship können zehn Kilogramm zuladen,  etwa drei Einkaufstüten mit Lebensmitteln. Das ist nicht unbedingt viel. Und weil der Roboter nur mit etwa 6 km/h unterwegs ist, sind auch seine Effektivität und Reichweite begrenzt. Hinzu kommt, dass sie sich mit den Fußgängern den Platz auf dem Gehsteig teilen müssen  und die automatische Steuerung nicht immer so effizient arbeitet wie erhofft. Im Grunde sind die Lieferroboter nur teilautonom: Sie müssen von einem Operator überwacht werden.

Größer, schneller: Ab auf die Straße!

Eine mögliche Abhilfe gegen das Kapazitätsproblem könnte das sogenannte „Mothership“-Konzept bieten: Ein Van bringt mehrere Lieferroboter an einen zentralen Ort und diese transportieren dann die Waren zum endgültigen Ziel. Alternative: Man macht die Gefährte größer und lässt sie auf der Straße fahren. Wie etwa die die Lieferroboter von Clevon, die in Riad, Tallinn oder auch in Texas unterwegs sind. Die etwa 2,50 Meter langen Lieferroboter sind modular aufgebaut und funktionieren ähnlich wie ein Containerlaster. Je nach Bedarf können sie mit verschiedenen Transportkisten oder auch mit einer offenen Ladefläche bestückt werden. Passend dazu gibt es eine Kontrollstation, mit der bis zu zehn Roboter gleichzeitig in Videospiel-Manier überwacht werden können. Denn vollautomatisch arbeitet auch der Roboter von Clevon (noch) nicht.

Lieferroboter sind meist nur teilautonom. Zur Überwachung ist ein Command-Center notwendig, wie hier bei Serve.
Lieferroboter sind meist nur teilautonom. Zur Überwachung ist ein Command-Center notwendig, wie hier bei der Uber-Tochter Serve. Bild: Serve

Während die Ingenieure an technischen Problemen  feilen, zeigt sich ein weiteres Problem: Bisweilen ist die Akzeptanz der Lieferroboter ziemlich miserabel.  So häufen sich in den USA Meldungen über Beschädigungen und gar Diebstählen. In Los Angeles, wo die Roboter bereits ein Stück weit verbreitet sind, versuchten Diebe, einen Roboter der Uber-Tochter Serve in einen Van zu laden. Dumm gelaufen: Der Roboter filmte den ganzen Vorgang und ruck-zuck lag das Video bei der Polizei, die in Minutenschnelle die Langfinger dingfest machte. Unangenehmer Nebeneffekt: Der Fall trat eine Diskussion über Datenschutz los. Wie viel wissen die herumeilenden Blechboten eigentlich über ihre Kontaktpersonen?

Mit Kinderaugen gegen Akzeptanzprobleme

Die Hersteller versuchen dem Misstrauen entgegenzusteuern und statten die Roboter oft mit einem freundlichen „Gesicht“ aus. Hauptbestandteil: große Babyaugen, die das Kindchenschema ansprechen. Auch in Japan, dem Land der Mangas, ist das natürlich ein Erfolgsrezept. Dort ist seit Frühling 2023 der wirklich herzallerliebste und überaus höfliche, sprechende Roboter DeliRo im Einsatz. Gebaut wird er von der japanischen Roboterfirma ZMP.

Die Hoffnung ist, dass DeliRo im dem stark überalterten Land als eine Art Nahversorger in ländlichen Gebieten einspringen kann. In Japan, dessen Bevölkerung schon zu mehr als 30 Prozent über 65 Jahre alt ist, haben die Roboter eine hohe Akzeptanz und gelten generell als Hoffnung, den drohenden Arbeitskräftemangel, speziell auch in der Logistik zu mildern. Um die Einführung der Lieferroboter zu vereinfachen, hat Japan extra sein Verkehrsgesetz gelockert.

Dai Fujikawa, Ingenieur beim Elektronikriesen Panasonic, testet in  in Tokio und im nahegelegenen Fujisawa die hauseigenen Lieferroboter, genannt Hakobo. Er drückt gegenüber der Nachrichtenagentur AFP aus, was viele seiner Landsleute denken :  „Ich hoffe, dass unsere Roboter dort eingesetzt werden, wo es nötig ist, und dabei helfen, die Arbeitskräfteknappheit zu lindern“, sagt er.

DeliRo auf den Straßen Tokios
Auch der vielbeachtete DeliRo in Japan gehorcht dem Kindchenschema. Foto: ZMP

Fahrradkuriere sind Lieferroboter fast immer überlegen

Hierzulande sind und bleiben die kleinen Robots noch rar.  Es scheint sich auch eine Art Zeitfenster geschlossen zu haben. Menschlichen Kurieren stehen mittlerweile E-Bikes und Lastenräder zur Verfügung, Routen-Software auf dem Smartphone zeigt den Weg. Unterstützt werden die Fahrradkuriere durch automatisierte Lager, die die Touren selbsttätig zusammenstellen. Dies alles macht diese konventionelleren Konzepte den Lieferrobotern in den meisten Fällen überlegen.

Ganz abgeschrieben sind die Roboter aber noch nicht.  So bietet etwa Rewe in Hamburg seit Herbst letzten Jahres eine autonomen Lieferdienst an. Zwar nur in einem beschränkten Gebiet und mit einem eingeschränktem Sortiment ohne Alkohol und Zigaretten, aber immerhin. Bei Rewe ist man überzeugt von dem Konzept:  „Autonom fahrende Fahrzeuge sind ein Gamechanger für den stationären Einzelhandel“, sagte Alexander Pelkmann, Innovation Manager bei Rewe Digital, auf der Fachkonferenz Robotic4Retail.

Lieferroboter fahren jetzt Aufzug

Auch die technische Entwicklung geht weiter. So hat etwa Pudu Robotics zusammen mit Otis Nippon im Herbst letzten Jahres ein System vorgestellt, mit dem die hauseigenen Lieferroboter „Flashbot“ auch Aufzüge nutzen und sich zwischen den Etagen von Wohn- und Bürohäusern bewegen können. Eine Eigenschaft, die bisher nur menschlichen Boten vorbehalten war.

Roboter f#hrt Aufzug, grafische Darstellung
Pudu hat Lieferrobotern beigebracht. Aufzug zu fahren und selbstständig in Bürohochhäusern auszuliefern. Bild: Pudu

Im innovativen Helsinki führt das gemeinnützige Forum Virium Helsinki ein Projekt durch, das die Akzeptanz und Leistungsfähigkeit unterschiedlicher Lieferroboter untersucht. Die Finnen gehören zu den ersten in Europa, die ein solches Projekt gestartet haben. Ein Vorgängerprojekt lief sogar schon 2019.

Sicheres Reservat für Lieferroboter: der Campus

Besonders erfolgreich sind die Roboter bei Einsatz auf klar begrenztem Gelände, beispielsweise auf Werksgeländen, dem einen oder anderen Universitätscampus oder in Krankenhäusern. So betreibt etwa Starship vier Roboter auf dem Werksgelände von Merck in Darmstadt. Die Flotte bewegt sich hauptsächlich auf bestehenden Fußwegen und wird letztlich von einem Operator gesteuert. Die Mitarbeiter können die Fahrzeuge per Smartphone oder Computer rufen,  um etwa Produktionsproben oder Ersatzteile firmenintern zu verschicken. Der Empfänger bekommt, wenn der Roboter am Ziel ist, eine SMS oder E-Mail,

Für Benedikt Ulmke, Projektmanager Site-Management-Team Digital Engineering bei Merck, sind die Vorteile offensichtlich: „Der neue Lieferroboter kann auf vielfältige Weise eingesetzt werden, erspart den Mitarbeitern zeitaufwendige Wege und trägt so zu einer besseren Effizienz bei. Mit dem ‚Starship‘ können wir die Lieferungen vor Ort verbessern“, sagt er. „Er macht einfach alles schneller. Die Anlagen haben kürzere Ausfallzeiten, die Transitzeit wird verkürzt und letztendlich sind die Kollegen zufriedener.“

Logistikexpertin Margaretha Gansterer bleibt hingegen skeptisch, „Ich glaube, dass es mittelfristig Arten von Lieferrobotern geben wird. Aber derzeit gibt es noch viele rechtliche, technische und organisatorische Hürden“, gibt sie gegenüber futurezone.at zu bedenken.

 

 

 

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