Aufmacherbild: (C) Continental
Hochautomatisiert fahrende Autos sind mehr oder weniger zwangsläufig auch vernetzte Autos. Zwar müssen die Fahrzeuge auf Fallback-Mechanismen zugreifen können, wenn sie den Kontakt zu anderen Autos, zur Infrastruktur und/oder zum Internet verlieren. Doch im Normalbetrieb sollen sie Daten und Informationen aus vielen Quellen beziehen, auf deren Basis die Algorithmen ihre Fahrentscheidungen treffen. Als Grundlage dieser Vernetzung und Datenkommunikation konkurrieren verschiedene Standards – hinter deren Entwicklung unterschiedliche Gremien und Forschungsinstitutionen stehen.
Was beabsichtigt das Fahrzeug auf der rechten Nebenspur? Wird es dem langsameren Lkw überholen und somit auf die eigene Spur wechseln, bevor das eigene Fahrzeug den Lastwagen passiert hat? Wird das Auto auf der Einfädelspur verlangsamen und erst hinter dem eigenen Fahrzeug auf die Autobahn auffahren? Beim Autofahren unternehmen routinierte Fahrer ständig solche Einschätzungen und Abschätzungen. Auch beim „analogen“ Fahren finden dabei Kommunikationsprozesse statt – etwa das Setzen des Blinkers oder das Aufleuchten der Bremslichter.
Wenn Computer die Steuerung des Fahrzeugs übernehmen sollen, wird dieser Abgleich von Absichten und Aktivitäten anders stattfinden. Statt Kameras und Sensoren zur Interpretation von Blinkzeichen und Bremslichten anderer Verkehrsteilnehmer zu überlassen, ist es effizienter und sicherer, wenn sich hochautomatisierte Fahrzeuge gegenseitig digital über ihre Absichten informieren.
Hinzu kommt eine Vielzahl weiterer Daten und Informationen, die den Algorithmen und Fahrsystemen bei ihren Entscheidungen helfen sollen. Beispielsweise hochpräzise Verkehrsinformationen, die nicht nur Staus, sondern etwa auch gesperrte Fahrspuren, durch Schnee oder Glatteis beeinträchtigte Streckenabschnitte und ähnliche Informationen beinhalten. Oder beim Fahren im Stadtverkehr Informationen über Ampelphasen, Querverkehr und ähnliches.
Abhängig davon, zwischen welchen Komponenten diese Kommunikation erfolgt, spricht man auch von Car-2-Car- beziehungsweise Car-2-Infrastructure-Vernetzung. Als Oberbegriff für beide Anwendungsbereiche hat sich darüberhinaus „Car-2-X“ beziehungsweise „Vehicle-to-X“ etabliert.
Informationsübertragung begann schon mit dem UKW-Radio
Doch wie sieht die Übertragung der benötigten Informationen konkret aus? Wie die Antwort auf diese Frage lautet, hängt nicht zuletzt davon ab, wem man sie stellt – und wie die genaue Interessenslage des Gesprächspartners aussieht.
Für „konventionell vernetzte“ Fahrzeuge – also Autos mit digitalem Außenkontakt, aber ohne autonome Fahrfunktionen, gibt es natürlich eine ganze Reihe von etablierten Datenquellen. Dazu zählen etwa der traditionelle Rundfunk, vom analogen UKW bis hin zum digitalen DAB. Auch Satellitenortungssysteme wie GPS und das künftige GALILEO sind in diesem Sinne Informationsquellen. Allerdings läuft die Kommunikation in den genannten Fällen nur unidirektional – das Fahrzeug ist in der Regel nur Empfänger, und nicht Sender.
Dies hat sich mit dem Einsatz von Mobilfunk- und WLAN-Technik im Auto deutlich geändert. Schon mit GSM oder UMTS können vernetzte Fahrzeuge bidirektional kommunizieren. Mit dem aktuellen Mobilfunkstandard LTE ohnehin.
5G als Rückgrat der automobilen Vernetzung
Was für Infotainment und „Connected Navigation“ noch ausreichte, stößt angesichts der Anforderungen autonomen Fahrens jedoch schnell an seine Grenzen.
Geht es nach der entsprechenden Hersteller und Betreiber, so soll die Antwort auf alle skizzierten Anforderungen jedoch auch in Zukunft Mobilfunk heißen – oder genauer: „5G“. Viele Eigenschaften des künftigen Mobilfunkstandards zielen nicht zuletzt auf den Einsatz im Automotive-Markt: Die kurzen Latenzzeiten, mit deren Hilfe das Netz in Millisekunden auf Anfragen reagieren soll. Die hohe Verfügbarkeit, die es gewährleisten soll, dass auch sicherheitsrelevante Anwendungen auf 5G-Basis umgesetzt werden können. Und als Folge dieser Eckpunkte das sogenannte „Mobile Edge Computing“ – die Auslagerung von Rechenleistung und Datenspeicherung in die 5G-Basisstationen und somit an den „Rand“ des Netzwerks statt in dessen Kern.
Die finale Standardisierung der 5G-Technik erwarten Branchenkenner für 2018. Das zuständige Gremium ist das 3GPP – das „3rd Generation Partnership Project“. Wie der Name schon andeutet, wurde das 3GPP für die Spezifikation der dritten Mobilfunkgeneration (3G oder UMTS) gegründet, wirkte dann aber auch an der Standardisierung der vierten Generation mit und arbeitet nun an der fünften.
Dabei handelt es sich um eine Art Dachverband von Institutionen, die sich mit der Standardisierung von Mobilfunkprotokollen beschäftigen – unter anderem dem ETSI (European Telecommunications Standards Institute), der US-Allianz ATIS (Alliance for Telecommunications Industry Solutions) der CCSA (China Communication Standards Association), der koreanischen TTA (Telecommunications Technology Association) und vielen weiteren regionalen Industrieverbünden. Diesen Institutionen und Allianzen gehören wiederum Unternehmen und Universitäten an, wo die grundliegende Entwicklungsarbeit vorgenommen wurde. So fließen etwa die 5G-Grundlagen, die am 5G-Lab der TU Dresden oder an der Universität Duisburg-Essen entwickelt wurden, in die zur Diskussion stehenden Standards mit ein. Ähnliches gilt für die für 5G relevanten Forschungsaktivitäten an internationalen Hochschulen wie dem MIT (Massachusetts Institute of Technology) oder der Stanford University in den USA, die ihre Forschungsergebnisse wiederum über US-Gremien wie die ATIS oder das IEEE (Institute of Electrical and Electronics Engineers) in die Standardisierung einbringen. Dabei geht es nicht nur um Konzepte wie „Mobile Edge Computing“ und „Network Slicing„, sondern auch um prinzipielle Architekturfragen wie beispielsweise SDN (Software-Defined Networking).
Neben Hochschulen sind es aber auch die Entwicklungsabteilungen von Netzausrüstungs-Anbietern wie Nokia Networks (samt dem von Nokia aufgekauften Alcatel-Lucent), Ericsson oder Huawei, die an den Detail der 5G-Technik arbeiten. Darüberhinaus engagieren sich auch die Netzbetreiber wie hierzulande etwa Telekom und Vodafone in der Detailentwicklung von 5G. Und beide suchen dazu wiederum den Schulterschluss mit internationalen Hochschulpartnern.
Die Konzepte und Visionen, wie die Nutzung von 5G im Zusammenhang mit selbstfahrenden Autos konkret aussehen könnte, zeigen wir ausführlich im entsprechenden Kapitel unseres Webspecials zur IT-Gipfel-Plattform „Digitale Netze und Mobilität“.
Car-to-Car-Kommunikation mit WLAN 11p
Doch es gibt auch alternative Ideen und Konzepte – und das nicht ohne Grund. Denn zur Nutzung von 5G-Mobilfunk beim autonomen Fahren gibt es auch kritische Fragen: Was passiert, wenn das Mobilfunknetz doch mal nicht verfügbar ist? Ist der Umweg über eine zentrale Netzinfrastruktur – und sei er mit „Mobile Edge Computing“ noch so kurz – für die Informationübertragung zwischen Fahrzeugen sinnvoll und notwendig?
Die Arbeitsgruppe „802.11p“ des IEEE sieht dies ein wenig anders. Der genannte Standard, in der Automotive-Welt auch als „WLAN 11p“ oder „WLANp“ bekannt, ist eine spezielle Variante der bekannten WLAN-Spezifiationen für die Kommunikation zwischen Fahrzeugen. Er basiert auf der WLAN-Variante 802.11a, verzichtet jedoch zum Beispiel auf zeitaufwändige Authentifizierungs-Mechanismen – fürs Aushandeln von WLAN-Passwörten bleibt schlicht keine Zeit, wenn sich gegenseitig über eine Notbremsung oder einen Spurwechsel informieren sollen.
Gleichzeitig muss die Datenübertragung robust sein, damit sie auch bei höheren Geschwindigkeiten, höherem Verkehrsaufkommen mit vielen sendenden und empfangenden Fahrzeugen und über möglichst große Fahrzeugabstände funktioniert. Dieser Anforderung trägt 802.11p mit verschiedenen Parametern wie längerer Symboldauer und größeren Schutzintervallen zwischen den Datenpaketen Rechnung. Die Konsequenz daraus sind zwar geringere Datenraten – doch Verbindungsgeschwindigkeiten zwischen 3 und 27 MBit/s sind für Warnungen und Ziel- beziehungsweise Richtungsangaben mehr als ausreichend.
Dennoch muss natürlich gewährleistet sein, dass die übertragenen Informationen valide sind. Insbesondere gilt es, Hacker und vermeintliche Spaßvögel aus der Datenkommunikation auszusperren, von deren Inhalten durchaus Menschenleben abhängen können. Dies sollen 802.11p-basierte Kommunikationsprotokolle gewährleisten, die auf bewährten Konzepten wie digitalen Zertifikaten basieren.
Auch mit diesen Fragen beschäftigen sich Hochschulen und Forschungseinrichtungen. So untersucht die Universität Paderborn beispielsweise in Zusammenarbeit mit der UCLA (Universität von Kalifornien, Los Angeles) verschiedene Aspekte von der physischen Datenübertragung bis hin zur Gewährleistung bestimmter Servicequalitäts-Level. Studenten der Pierre and Marie Curie Universität in Paris, der Universität von Rio de Janeiro, der North Carolina State University und anderen arbeiten gemeinsam an der Fragestellung, ob virtualisierte Netzwerk-Schnittstellen mehr Sicherheit und Flexibilität in das System bringen können.
Weltweit beschäftigen sich mehrere Dutzend Elektrotechnik- und Informatik-Fakultäten mit den verschiedenen Herausforderungen und Aspekten WLAN-basierter Car-2-Car-Kommunikation.
Kommunikation fürs autonome Fahren – Wettstreit oder Kooperation?
Zeichnet sich hier also wieder ein Streit um Standards ab, wie wir ihn von VHS versus Betamax oder Blu-ray versus HD-DVD kannten? Die Mehrheit der uns bekannten Meinungen aus der Automobilindustrie sagt: Nein. Vielmehr sollen die verschiedenen Standards für unterschiedliche Anwendungen eingesetzt werden und sich bei Ausfall einer der Kanäle zum Teil auch ersetzen können.
So unterscheidet etwa Dr. Osvaldo Gonsa, Director Mobile Communications Intelligent Transport Systems bei der Continental AG zwischen den spezifischen Stärken der Funktechniken für Kurzstrecken-Kommunikation (WLAN) und Langstrecken-Kommunikation (4G/5G).
Typische Anwendungen für WLAN auf Kurzstrecken wären etwa Informationen zu Fahrtabsichten, Notbremsungen sowie Gefahren in der unmittelbaren Umgebung des Fahrzeugs. Oder auch Komfortfunktionen wie Kreuzungs- und Überholassistenten, Platooning oder die Warnung vor Rettungs- und Einsatzfahrzeugen.
Typische Langstrecken- oder 5G-Anwendungen sieht Dr. Gonsa eher in Telematikdiensten, Navigation, Notrufen per eCall, Remote-Diagnosen, Baustellen- und Stauwarnungen und ähnlichem mehr.
Im 30-Sekunden-Kurzinterview mit der Intelligenten Welt erklärt der Continental-Fachmann, warum er keine ausgeprägte Rivalität zwischen den beiden Technologien:
Unsere Einschätzung: Wie die Autoindustrie die zur Wahl stehenden Standards und Technologien nutzen wird, bleibt abzuwarten. Ihre spezifischen Stärken und Schwächen legen nahe, sie für unterschiedliche Anwendungen einzusetzen. Interessantes und lohnendes Ziel intensiver Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten ist die Car-to-X-Kommunikation auf jeden Fall – wie die weltweiten Aktivitäten auf diesem Gebiet klar belegen.