Was ein Kettensägen-Massaker auf Youtube mit Machine Learning zu tun hat? Plakativ veranschaulicht ein IT-Analyst so den Aufbau vorausschauender Modelle – basierend auf maschinellem Lernen. Je mehr Daten Maschinen zur Verfügung haben, desto besser können sie uns helfen. Zusammen mit Künstlicher Intelligenz und Big Data wird Machine Learning wohl die IT der Zukunft prägen. Das Versprechen lautet, dass unser Alltag dadurch einfacher, komfortabler und sicherer werden soll.
Aufmacherbild: (C) Youtube / Mike Gualtieri
Manchmal braucht es ungewöhnliche Methoden, um den Leuten die Angst zu nehmen. In diesem Fall den IT-Entwicklern, die nach Meinung von Forschern unbedingt Machine Learning in ihre Apps einbauen sollten, um deren Intelligenz zu steigern. Dafür brauche es „keinen Doktortitel in Computerwissenschaften“, meint Mike Gualtieri von Forrester Research. Mit Kettensäge bewaffnet erklärt er in nur zwei Minuten sechs zentrale Schritte, wie „predictive models“, also vorausschauende Modelle aufgebaut werden.
Durch fertige Open-Source- oder auch kommerzielle Tools lassen sich schon jetzt die Apps viel intelligenter machen. Sie sammeln dazu , kontinuierlich Erkenntnisse über das Verhalten des Nutzers und lassen diese in kommende Prognosen einfließen. Algorithmen sind das Zauberwort – sie analysieren Daten und sagen Ergebnisse voraus.
Unbeaufsichtigtes und beaufsichtigtes Machine Learning
Die Forscher unterscheiden dabei hauptsächlich zwei Bereiche: „Unbeaufsichtigtes“ Machine Learning erkennt Muster in noch unbekannten Datensätzen. „Beaufsichtigtes“ Machine Learning sucht gezielt nach vorgegebenen Informationen. Selbst wenn sich eine Vorhersage einmal als falsch herausstellt, ist auch dies eine wertvolle Information für den sich ständig weiterentwickelnden Algorithmus.
Von autonomen Systemen oder Aktienmarkt-Analysen über die Personalisierung von Inhalten (etwa automatisch konfigurierte Eingabemasken) sowie vorausschauende Kaufempfehlungen in Online-Shops bis hin zur Erkennung von Kreditkartenbetrug oder sogar die Vorhersage potenzieller Verbrechen an bestimmten Orten – all dies basiert auf maschinellem Lernen. Weitere Beispiele sind: Erkennung von Spam-Mails, Vorhersage von potenziell abwandernden Kunden, Analyse von Meinungen, Relevanz von Webseiten in Suchmaschinen oder auch automatisierte Problemlösungs-Empfehlungen für den Kundendienst.
Machine Learning im medizinischen Bereich
Auch im medizinischen Bereich gibt es Anwendungen für Machine Learning. Hier lernen die Algorithmen zum Beispiel, „wie man … anhand von Lungen-CT-Bildern potentielle Krebsgeschwüre diagnostiziert – und dies mit einer Präzision, die der des Menschen überlegen ist“, schreibt Björn Böttcher, Senior Analyst bei Crisp Research, einem IT-Forschungs- und Beratungsunternehmen aus Kassel. Diagnose von erkranktem Gewebe und die Entdeckung neuer Medikamente seien keine Zukunftsmusik mehr, denn erste Ergebnisse würden bereits erzielt. „So nutzte ein Zusammenschluss aus Forschern von der Harvard Universität, vom Helmholtz Zentrum in München, vom Francis Crick Institute in London und der Newcastle Upon Tyne Universität genau diese Verfahren, um Krebszellen von künstlicher Intelligenz identifizieren zu lassen.“
Lautsprecher „Echo“: lernender Datensammler von Amazon
Ein prominentes Beispiel für den „ganz normalen Alltag“ ist das gerade in Deutschland von Amazon vorgestellte Audiogerät „Echo“, das nicht nur Kaufprozesse vereinfachen soll. Der intelligente Lautsprecher verfügt über sieben Mikrofone, die ständig auf die Umgebung achten. Bei gesprochenen Schlüsselwörtern und Kommandos führt das Gerät entsprechende Aktionen aus, der Lautsprecher wird zum digitalen Assistenten: Musik abspielen, Wecker einstellen, Begriffe erklären, Kalender verwalten – immer mehr Funktionen kommen aktuell hinzu. Selbst das eigene Smart Home lässt sich über „Echo“ steuern.
Das lässt sich sogar in der Praxis ausprobieren, ohne selbst ein „Echo“ zu besitzen: einfach in Amazon einloggen, dann das sogenannte „Skill-Testing-Tool“ aufrufen, das Mikrofon-Symbol anklicken und eine (englische) Frage stellen.
Die Intelligenz hinter dem System beruht dabei auf dem Nutzerverhalten von Millionen Kunden, die mehr oder weniger freiwillig ihre Daten dem weltgrößten Online-Händler überlassen. Zweifelsohne jedoch ist „Echo“ ziemlich praktisch, denn es generiert – zum Wohle des Anwenders und damit auch zum Wohle des Erfinders – kontinuierlich Wissen aus Erfahrung.
„Ein künstliches System lernt aus Beispielen und kann diese nach Beendigung der Lernphase verallgemeinern. Das heißt, es werden nicht einfach die Beispiele auswendig gelernt, sondern es ‚erkennt‘ Muster und Gesetzmäßigkeiten in den Lerndaten.“
Wikipedia
Maschinelles Lernen: Je mehr Daten, desto besser – vor allem für die Forschung
Das Besondere am Machine Learning ist die Optimierungsfähigkeit: Je mehr Daten zur Verfügung stehen, desto schlauer wird die Anwendung, der Computer, die Maschine – und desto besser und genauer kann sie dem Menschen helfen, gerade durch Einbeziehen von Big Data. Kein Wunder, dass sich zahlreiche Forschungseinrichtungen diesem spannenden Feld der Informatik widmen.
Die Universität Oldenburg entwickelt nicht nur theoretische Modelle, sondern auch praktisch anwendbare Technologien für sensorische Daten – akustische, visuelle und medizinische. Aktuelle Projekte sind zum Beispiel die autonome Wiederherstellung beschädigter Dokumente oder auch das sogenannte „Objektlernen“ durch Erkennen von Mustern in Bildern, was uns Menschen meist mühelos gelingt.
Neue Informationen in Big Data will das Fraunhofer IAIS entdecken und dabei nach eigener Aussage „den Rückspiegel der historischen Daten in Voraussagen und Vorschläge umdrehen“. Ob in Produktionsanlagen, Geschäftsprozessen oder im Netz, maschinelles Lernen müsse tief in komplexe Systeme eingebettet sein und Ergebnisse liefern, die nahtlos weiterverarbeitet werden können. Aktuell arbeiten die Forscher etwa an einer Mustererkennung für betrügerische Transaktionen, an Prognosen über die in das Stromnetz eingespeiste Windenergie sowie an einer Kontext-Erkennung in Autos, die das Verhalten und den Zustand des Fahrers, die aktuelle Umgebung und Situation berücksichtigt.
Auch die Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf nutzt Machine Learning für verschiedene Projekte, zum Beispiel die „Entwacklung“ von Fotos, Entfernen von Linsenfehlern, das Entrauschen von Bildern, etwa für eine bessere Bildverarbeitung in der Kosmologie.
Bildklassifizierung und Objekterkennung sind auch Gegenstand der Forschung an der Universität Koblenz, vor allem im industriellen Kontext. Gemeinsam mit Partnern aus der Industrie entwickeln die Koblenzer Forscher hochkomplexe Mustererkennungssysteme, die unter anderem eine automatisierte Fehlerprüfung ermöglichen.
Lebensmittelhandel: Warendisposition durch Verkaufsvorhersagen
Stichwort Industrie und Handel: „Lebensmittelhändler haben Schwierigkeiten, ihre Prozesse in der Warendisposition an den Kundenanforderungen auszurichten. Das hängt nicht zuletzt damit zusammen, dass sie viele ihrer Entscheidungen nach wie vor nach Bauchgefühl treffen“, so das Ergebnis einer Umfrage von Blue Yonder, einem Anbieter von „Predictive Applications“, unter 750 Führungskräften im Lebensmittelhandel aus den USA, Großbritannien, Deutschland und Frankreich. Zwar nehme die Nutzung von Machine-Learning-Algorithmen für automatisierte Warendisposition und Absatzplanung zu, doch in Deutschland führten noch mehr als die Hälfte des Einzelhandels die Prozesse manuell durch.
Überraschenderweise sehen aber gleichzeitig drei Viertel der Befragten Automation als wesentlich an, um Kundenbedürfnisse mit schnelleren Entscheidungen optimal bedienen zu können. Dabei spiele die automatisierte Warendisposition auf Basis genauer Verkaufsvorhersagen eine zentrale Rolle, und zahlreiche bekannte Handelsunternehmen würden ihre Prozesse durch Machine-Learning-Anwendungen „signifikant optimieren“.
Die Kehrseite: Machine Learning ist auch gut für Kriminelle
Doch so vorteilhaft Machine Learning sein kann, auch diese Errungenschaft hat ihre Kehrseite – nämlich für kriminelle Aktionen wie das Knacken von Passwörtern. Selbst wenn User auf den ersten Blick zufällige Kombinationen von Wörtern und Zahlen verwenden, geschieht dies meist nach gewissen Prinzipien. Schon vor zwei Jahren wurde auf dem Chaos Communication Congress ein Tool vorgestellt, das Schemata beim Passwort-Cracking berücksichtigte.
„Passwörter werden nicht wirklich zufällig gewählt. Wir Menschen neigen dazu, uns Regeln auszudenken, um sie zu generieren.“
Sicherheitsexperte Tonimir Kisasondi, Faculty of Organization and Informatics, Kroatien
Auch wenn es lästig erscheint und mit Aufwand beim späteren Eingeben verbunden ist: Das Generieren zufälliger, sehr komplexer Passwörter – ohne jedwede „anwendbare“ Information – scheint die einzige Möglichkeit zu sein, in diesem Fall dem sonst so nützlichen maschinellen Lernen standzuhalten. Zumindest wenn man Wert darauf legt, dass die mit Passwörtern geschützten Dienste, Anwendungen und Transaktionen sicher bleiben.