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Crowd Computing: Mit Smartphone, PC oder Spielekonsole die Welt retten

Aufmacherbild: HTC

1.000.000.000.000.000 Rechenoperationen in einer einzigen Sekunde – das schaffen nur Supercomputer. Doch selbst diese wahnwitzige Leistung reicht nicht aus, um die wichtigsten Datenprobleme der Menschheit „zeitnah“ zu analysieren. Deshalb setzen Forscher immer öfter auf Crowd Computing: Dutzende wissenschaftliche Projekte bündeln ungenutzte Ressourcen von Millionen Rechnern weltweit, vor allem von privaten PCs und sogar Smartphones und Spielekonsolen. Zig Erfolge sind bereits dokumentiert und machen Appetit darauf, selbst „mal eben die Welt zu retten“ – der Einstieg war noch nie so leicht.

Hand aufs Herz: Haben Sie schon mal nach einem Heilmittel für AIDS oder einem Impfstoff für Ebola gesucht? Nein? Oder wenigstens Gravitationswellen im Weltraum? Was ist mit der Analyse von Proteinstrukturen, um Medikamente zu verbessern, oder der Berechnung komplexer Gleichungen der Quantentheorie? Gut, versuchen wir’s mit der Entwicklung von günstigem Material zur Solarenergie-Gewinnung – das kriegen Sie doch hin, oder?

(C) Stephanie Hofschläger / pixelio.de
(C) Stephanie Hofschläger / pixelio.de

Keine Sorge, Sie müssen das nicht alles selbst machen. Lassen Sie Ihren Rechner die Arbeit übernehmen und die Berechnungen durchführen – im Verbund von Millionen Computern, die wie Ihrer täglich und gar nicht mal so selten im Leerlauf schlummern, ohne zu diesem Zeitpunkt etwas wirklich Sinnvolles zu machen. Sinnvoll aber wird es dann, wenn man gemeinsam, über die ganze Welt verteilt, Problemlösungen erarbeiten kann – die tatsächlich dabei helfen können, die Welt ein Stück besser zu machen. Vielleicht sogar ein großes Stück. Und das vollautomatisch und im Hintergrund; immer dann, wenn Kollege Computer gerade mal wieder Zeit dafür hat.

Wer die Anfänge des „vernetzten Rechnens“ miterlebt hat, dann das wohl berühmteste Projekt aller Zeiten selbst mal (wie der Verfasser dieses Beitrags) ausprobiert und schließlich die Crowd-Computing-„Szene“ (ebenso wie der Verfasser) nach und nach aus den Augen verloren hat, der wird sich jetzt schmunzelnd erinnern: Ziemlich genau 15 Jahre ist es her, dass Millionen Anwender damit begannen, mit Hilfe einer Leerlauf-Software nach außerirdischer Intelligenz zu suchen. Was zumindest theoretisch möglich ist, sollte praktisch überprüft werden – durch die systematische Analyse von Radioteleskop-Aufnahmen.

Das Projekt „SETI@home“ der University of California in Berkeley analysierte Unmengen an Daten, die das Arecibo-Observatorium in Puerto Rico empfangen und zur Auswertung an die weltweite SETI@home-Gemeinde ausgelagert hatte. Alle Rechner zusammen haben seit 1999 gut 2,3 Millionen Jahre Rechenzeit zur Verfügung gestellt und über 1,8 Milliarden Resultate von 5,4 Millionen Benutzern geliefert. Immerhin wurden so zahlreiche Punkte am Himmel ausgemacht, die das Interesse der Forscher auf sich zogen.

Doch seitdem sind 15 Jahre vergangen, und auch der Nachfolger von SETI@home hat bereits 10 Jahre auf dem Buckel. Ist die Idee des vernetzten Rechnens danach weiterentwickelt worden? Nach dem Schmunzeln über das Science-Fiction-Thema folgt schnell die Begeisterung und Neugier, denn SETI@home wurde zum Vorbild für viele weitere Crowd-Computing-Projekte – in praktisch allen naturwissenschaftlichen Bereichen, von Medizin (38 Projekte) und Biologie (9) über Chemie (7) und Physik (13) bis zu Mathematik (40) und Astrophysik (14).

Die Liste der laufenden oder abgeschlossenen Projekte ist aber noch weitaus länger, wie die Übersicht des Vereins Rechenkraft.net e.V. beweist. Der Verein mit Sitz in Marburg hat gut 80 Mitglieder und wurde 2005 gegründet mit dem Ziel, die Idee des vernetzten Rechnens – also Rechenzeit für einen gemeinnützigen Zweck zu spenden – bekannter und populärer zu machen.

Allein auf die Mitglieder des Vereins gehen zahlreiche Forschungserfolge zurück. So wurden viele Primzahlen errechnet, die zum Zeitpunkt ihrer Entdeckung zu den größten überhaupt zählten. Gefunden wurden auch Pulsare im Weltraum, bei mehrdimensionalen Berechnungen wissenschaftlich interessante Ergebnisse sowie eine erstaunliche Zahl an Molekülen, die Aktivität gegen Krebs entfalten.

Zu den bekanntesten Projekten zählt „Folding@home“ der Stanford University zur Simulation der Faltung von Proteinen. Verteiltes Rechnen hilft dabei, den Aufbau von Proteinen zu verstehen und so die Entstehung und Heilung von Krankheiten zu erforschen, die aus Fehlern bei der Faltung resultieren – wie zum Beispiel Alzheimer, BSE oder Krebs.

Die über 100.000 aktiven Computer und 70.000 Grafikprozessoren (auch diese können einbezogen werden) laufen in Unternehmen, öffentlichen Einrichtungen und bei Privatpersonen – und schaffen ein gigantisches Rechennetzwerk, das jeden aktuellen weltweiten Supercomputer in Sachen Rechenleistung überflügelt. Hinzu kommen mehr als eine Million Besitzer einer PlayStation 3, die mit ihren Spielekonsolen das bisher leistungsstärkste verteilte Rechnernetzwerk bilden. Kein Wunder, dass diese Leistung im Guinness-Buch der Rekorde steht.

„Rosetta@home“ der University of Washington geht noch einen Schritt weiter: Es versucht die Vorhersage von Proteinstrukturen und -bindungen aus einer Aminosäuresequenz – wodurch die Entwicklung von Heilverfahren für AIDS, Krebs, Malaria, Alzheimer und Virenerkrankungen möglich wäre. Etwa 1,5 Millionen Rechner beteiligen sich an diesen Berechnungen.

Dutzende neue Pulsare wurden über das Projekt „Einstein@home“ entdeckt, das nach Gravitationswellen im Weltraum sucht. Die Rechenleistung des Netzwerks reiht sich im Vergleich mit Supercomputern in die Top 20 ein.

Einige ausgewählte Projekte, die unter deutscher Federführung laufen:

„Constellation“ führt Simulationen durch, die sich mit Luft- und Raumfahrt befassen, zum Beispiel der Flugbahn-Optimierung von Trägerraketen, Satelliten und Sonden.

„DistributedDataMining“ prognostiziert ökonomische Zeitreihen und analysiert u.a. soziale Netzwerke.

„Evolution@home“ beschäftigt sich mit Fragestellungen der Evolutionsforschung, z.B. in einer Simulation mit dem Aussterben bedrohter Tierarten durch nachteilige Mutationen.

„POEM@Home“ bedeutet „Proteinoptimierung mit Energiemethoden“, das Projekt untersucht Proteinstrukturen und simuliert die Zusammensetzung von Teilstrukturen zu einer neuen, besseren Struktur. Damit können etwa Medikamente oder auch biokompatible Implantate verbessert werden.

„QMC@home“ soll die so genannte Quanten-Monte-Carlo-Methode so weiterentwickeln, dass sie in der Quantenchemie allgemein verwendet werden kann. So lassen sich Struktur und Reaktivität von Molekülen, die für Chemie, Biologie und Medizin wichtig sind, vorhersagen.

„Spinhenge@home“ simuliert physikalische Eigenschaften nanomolekularer Magnete und arbeitet auf neuartige Behandlungsmethoden in der Medizin oder die Grundlage für nanomolekulare Bausteine in der Elektro- und Biotechnologie hin.

„Vswarm“ will schnelles Grafik-Rendering für kommerzielle und nichtkommerzielle Nutzung ermöglichen.

Nach so vielen spannenden Einsatzfeldern, die wohl unweigerlich zur eigenen Teilnahme anregen, stellt sich natürlich die Frage, wie man da selbst mitmachen kann. Der Standard für den Einstieg in die Crowd-Computing-Welt ist das Verwaltungsprogramm BOINC – einfach herunterladen, installieren, dann ein Projekt auswählen und dem Programm zuweisen. Auf Wunsch lassen sich noch Kleinigkeiten einstellen, etwa dass die Bearbeitung von Datenpaketen erst drei Minuten nach Beginn des Rechner-Leerlaufs starten soll. Sobald diese „Inaktivität“ durch Maus-Bewegung oder Tastatur-Bedienung unterbrochen wird, steht der PC dem Anwender wieder voll zur Verfügung.

Auf BOINC setzt auch die Software „World Community Grid“ auf, die von Hauptsponsor IBM unterstützt wird. Etwa 700.000 Nutzer mit über 2,9 Millionen Computern haben bisher mehr als 1 Million Jahre an Rechenzeit zur Verfügung gestellt – mit seiner Rechenleistung ist das Grid eines der größten Crowd-Computing-Projekte überhaupt.

Ein riesiges Potenzial bieten auch die Unmengen an Smartphones, die im Grunde noch viel öfter im Leerlauf verharren als PCs. Deshalb gibt es nicht nur BOINC als App für Android, sondern auch eine Version vom Hersteller HTC.

„HTC Power to Give“ verbindet das Smartphone mit aktuell neun Forschungsprojekten. Wenn die App ausgeführt wird, lädt sie die benötigte Projektsoftware herunter, die dann die Berechnungen verwaltet, die zum Verarbeiten der einzelnen Aufgaben erforderlich sind. Nach Abschluss der Berechnung werden die Ergebnisse auf die zentralen Server des Projektteams hochgeladen und eine neue Aufgabe wird zugeteilt. Damit aber der Smartphone-Akku nicht im Dienst der Wissenschaft leer läuft, wird die Prozessorleistung nur genutzt, wenn das Gerät über WLAN Kontakt zum Internet hat und an eine externe Stromquelle angeschlossen ist – zum Beispiel per USB-Kabel im Büro.

Das Grundprinzip dieses verteilten und vernetzten Rechnens erklärt Hersteller HTC in einer grafischen Übersicht:

htc-power-to-give_infografik

Es liegt also buchstäblich in unserer Hand, ob wir etwa bei der Forschung nach Heilmitteln helfen oder an vielen anderen Problemlösungen mitarbeiten. Warum jede Minute, die ein Prozessor im Leerlauf verbringt, vergeuden?

René Wagner

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