Aufmacherbild: (C) TU Kaiserslautern
Wenn die Heizung mit dem Kühlschrank spricht und Hausautomatisierung älteren Menschen im Alltag hilft; wenn der Landwirt ressourcenschonend die beste Ernte einfahren kann und Radrennfahrer vollautomatisch optimal trainiert werden – dann stecken hinter diesen Leistungen zu einem großen Teil auch Forscher der Technischen Universität Kaiserslautern. „Ambient Intelligence“ heißt einer ihrer Forschungsschwerpunkte – übersetzt etwa: „intelligente Umgebungen“.
Gestatten, das ist Paul.
Dezent im Hintergrund, immer da, wenn man ihn braucht, kümmert sich Paul um seinen Besitzer. Vor allem älteren Menschen soll er den Alltag erleichtern und ihn sicherer machen. Paul schaltet Licht und wichtige Steckdosen, bewegt Rollläden und sieht nach, wer an der Haustür steht. Er kann sogar Notfälle automatisch erkennen – etwa wenn sein Besitzer nach einem Sturz bewusstlos ist – und dann automatisch Hilfe verständigen. Nebenbei ermöglicht er auch Video-Kommunikation mit Angehörigen, Freunden und Nachbarn, und man kann über ihn beispielsweise bei „Essen auf Rädern“ Mahlzeiten bestellen.
Selbstbestimmt leben mit PAUL
Dabei ist die Liste der Möglichkeiten noch länger. PAUL wird nämlich in Großbuchstaben geschrieben und bedeutet „Persönlicher Assistent für Unterstütztes Leben“. Er ist zentraler Bestandteil eines so genannten AAL-Systems, das an der Technischen Universität Kaiserslautern (TU KL) in Zusammenarbeit mit diversen Partnern entwickelt wurde. Das Kürzel AAL steht für „Ambient Assisted Living“. In diesem Bereich betreibt die TU Kaiserslautern seit 2005 erfolgreich praxisnahe Forschung.
AAL ist ein Sammelbegriff für intelligente Technologien, die möglichst unauffällig in die Lebenswelt von Menschen integriert werden und diese dann in ihrem Alltag auf vielfältige Weise unterstützen. In erster Linie soll AAL dazu dienen, älteren Menschen so lange wie möglich ein selbstbestimmtes und eigenverantwortliches Leben in der gewohnten Umgebung zu ermöglichen. Die Lebensqualität von Senioren soll so verbessert beziehungsweise lange auf einem hohen Niveau gehalten werden.
Um dies zu realisieren, so das Konzept, soll auch die Umgebung ihre eigene Intelligenz entwickeln. Dies beschreiben die Forscher mit dem Begriff „Ambient Intelligence“. Die intelligente Umgebung reagiert sensitiv und adaptiv auf die Anwesenheit von Menschen und Objekten und kann dem Menschen so vielfältige Dienste leisten. Dabei geht es nicht nur um allein lebende ältere Menschen, sondern um so gut wie alle Lebenssituationen – beim Arbeiten, beim Wohnen, beim Sport oder bei anderen Freizeitaktivitäten. Die entsprechenden Anwendungen werden dann mit Schlagworten wie „Ambient Assisted {Working, Living, Training}“ bezeichnet.
„Technologische Basis von Ambient Intelligence ist ein Netzwerk nahezu unsichtbarer, miteinander vernetzter rechnender Einheiten, die über verschiedene Sensoren Informationen sammeln, diese verarbeiten und über Aktuatoren auf die Umgebung und damit auch auf den Menschen einwirken“, heißt es auf der Ambient-Intelligence-Projektseite der TU Kaiserslautern.
Ambient Assisted Training für bessere Ergebnisse im Leistungssport
Ein weiteres Beispiel verdeutlicht die Breite der Einsatzmöglichkeiten: Ein „Fahrraddemonstrator“ soll das Training einer Rennradgruppe optimieren. Dazu sind die Radfahrer und Rennräder mit zahlreichen Sensoren ausgestattet, etwa für Geschwindigkeit, Puls, Leistungsmessung oder auch den Wind, der während der Fahrt auf sie einwirkt. Die Fahrräder sind untereinander und mit einer Trainereinheit über ein Funknetz verbunden. Ziel ist es, die Differenzen zwischen aktuellem Training und vorher definiertem Trainingsplan für alle Radfahrer gleichermaßen zu minimieren. Auf diese Weise soll die Trainingsfahrt so organisiert und gesteuert werden, dass jeder Radfahrer seinen persönlichen Trainingsplan soweit wie möglich erfüllt.
Das Thema „Intelligente Umgebung“ steht im Zentrum vielfältiger Forschungsprojekte an der TU Kaiserslautern. Die Projekte unterstreichen die wichtige Rolle von Grundlagen- und Anwendungsforschung in vielen Themenbereichen, mit denen sich die Informatik heute beschäftigt. Mit 24 Professuren deckt der Fachbereich Informatik der TU Kaiserslautern alle diese Themenfelder ab. Und seit seiner Gründung im Jahr 1974 entstanden aus der international erfolgreichen Arbeit gleich drei renommierte Forschungsinstitute.
Die TU Kaiserslautern zieht internationale Firmen an
Neben den Instituten haben sich in den letzten Jahren im Umfeld auch viele erfolgreiche Firmen entwickelt, sodass Informatik inzwischen ein bedeutender Wirtschaftsfaktor in der Region ist. In Folge zieht der Standort immer mehr international agierende Unternehmen an. Ein Beispiel ist die kürzlich erfolgte Ansiedlung des europäischen Forschungszentrums des US-Landtechnik-Konzerns John Deere, zu dem der Fachbereich Informatik der TU eine enge Beziehung unterhält. Ähnliches gilt für etliche andere mittelständische Unternehmen und große Konzerne wie etwa 1&1, Accenture, Cisco, Google, Mobotix, SAP oder die vwd group.
Eines der erfolgreichsten Forschungsprojekte des Fachbereichs ist die „International Research Training Group“ oder kurz „IRTG 1131“. Sie erforscht interdisziplinär die Visualisierung großer, unstrukturierter Datensätze. Anwendungsgebiete sind zum Beispiel die Modellierung von Flugzeugflügeln oder die Kartografierung der Marsoberfläche in virtueller Realität. Oder etwas alltagsnäher: Ein hochauflösendes Oberflächenmodell für Siedlungsgebiete dient der Simulation von Überflutungen. Denn diese werden wesentlich von den Eigenschaften der Oberfläche beeinflusst, wie zum Beispiel dem Straßenverlauf mit Längs- und Querneigung, der Höhe von Bordsteinen oder der Abgrenzung, Höhenlage und Bebauung der Grundstücke. Ein anderes Projekt der IRTG 1131 stellt die Verteilung von Lärmbelastungen interaktiv und dreidimensional dar.
Nicht minder spannend ist das Projekt „iGreen“. In seinem Rahmen wird ein standortbezogenes Dienste- und Wissensnetzwerk aufgebaut, das verteilte, unterschiedliche Informationsquellen verknüpft – öffentliche wie auch private . Ein erstes Kernanwendungsfeld von iGreen ist der Pflanzenanbau: Öffentliche Geodaten, Wissen aus der Agrarforschung, private Anwenderdaten und andere Informationen werden für einen mobilen Entscheidungsassistenten so aufbereitet, dass eine schnelle, effiziente Beratung vor Ort möglich wird. So erfahren Landwirte, welche Pflanzen sich am besten für den Anbau an einem bestimmten Standort eignen. Und, wie in Projektbeschreibung zu lesen ist: „[iGreen] trägt … in erheblichem Maße zu einer ergebnisorientierten und ressourcenschonenden landwirtschaftlichen Produktion bei.“
TU Kaiserslautern ist führend beim Internet der Dinge
Brandaktuell ist das europäische Forschungsprojekt VICINITY, das Anfang 2016 unter Federführung der TU Kaiserslautern startet. Es befasst sich mit Fragestellungen rund um die Kommunikation zwischen den „Dingen“ im „Internet der Dinge“. Dabei werden nicht nur Computer miteinander vernetzt, sondern etwa auch Maschinen in Fertigungsstraßen, Autos, Haushaltsgeräte und vieles mehr.
Erst kürzlich haben gut 70 Experten und Bürger in Kaiserslautern über das Internet der Dinge diskutiert. Das folgende, knapp fünfminütige Video, verdeutlicht, wie kontrovers die Chancen und Risiken dieser Technik diskutiert werden:
Das Forschungsprojekt der TU beschränkt sich auf die technischen Fragen. Geklärt werden soll, wie Objekte („Dinge“) unterschiedlicher Hersteller aus verschiedenen Domänen auf semantischer Ebene miteinander kommunizieren können. Untersucht werden soll auch, wie Anwendungen und Dienste im Internet die Funktionen solcher Objekte erkennen, klassifizieren und nutzen können.
„Interoperabilität“ heißt diese Fähigkeit, verschiedenste Signale zu entschlüsseln und die daraus gewonnenen Informationen anderen Geräten zur Verfügung zu stellen. Das bereits erwähnte Forschungsprojekt VICINITY tritt mit dem Ziel an, Interoperabilität als Dienst zu entwickeln, der von den Herstellern selbst gespeist und über die Cloud zur Verfügung gestellt wird.
In Kaiserslautern ist man zu Recht stolz darauf, die Federführung dieses Projekts übernommen zu haben. Denn insgesamt arbeiten unter dem Schirm der TU 15 Institutionen aus zehn europäischen Ländern zusammen, damit Geräte und andere Dinge künftig besser miteinander „sprechen“ beziehungsweise sich besser verstehen. Die Ideen aus Kaiserslautern haben sich in der Ausschreibungsphase von VICINITY gegen die stolze Zahl von 125 Konkurrenten durchgesetzt.