Smart City: Die Stadt der Zukunft ist vernetzt und intelligent

Aufmacherbild: (C)  Hwan Hyeok Kim – Own work, CC BY 2.0

Das Projekt „Smart Cities“ könnte neben der Energiewende die größte Herausforderung der Menschheit werden. Gehen unsere Städte den Weg in die Zukunft nicht konsequent mit, droht der Kollaps: Bereits jetzt wachsen sie jede Woche (!) zusammen um 1,5 Millionen Einwohner. 2030 werden in Ballungszentren wohl so viele Menschen leben wie heute auf der ganzen Erde, 2050 sogar drei Viertel der Weltbevölkerung. Damit das Zusammenleben unter solchen Vorzeichen klappt, müssen alle Abläufe in den Städten effizienter werden, besser aufeinander abgestimmt, intelligenter gesteuert – auch durch mehr Bürgerbeteiligung. Zahlreiche Unternehmen und Institute beteiligen sich an der Forschung.

„Smart City ist ein Sammelbegriff für gesamtheitliche Entwicklungskonzepte, die darauf abzielen, Städte effizienter, technologisch fortschrittlicher, grüner und sozial inklusiver zu gestalten. Diese Konzepte beinhalten technische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Innovationen.“ (Wikipedia)

Wohl nirgendwo sonst wird diese lexikalische Definition so „gelebt“ wie vor Südkoreas Westküste. Gut 20 Kilometer vom internationalen Flughafen Incheon entfernt, wurde hier seit Beginn des neuen Jahrtausends eine riesige Landfläche ins Watt aufgeschüttet – auf 6 Quadratkilometern entsteht bis zum Jahr 2020 die Stadt Songdo, übersetzt: „Insel der Pinien“. Die Stadtplaner haben hier praktisch alles aufgefahren, was technisch möglich ist, um die Stadt der Zukunft zur smartesten der Welt zu machen. Doch das wird wohl auch nötig sein, denn sie soll Platz für 70.000 Bewohner und 300.000 Pendler bieten. Allein die Wohn-, Büro- und Handelsflächen, die durch die Privatwirtschaft hergestellt werden, sollen in ihrer Größe Boston-City entsprechen.

Tolle Eindrücke von Songdo City liefert der Fotograf Kyoung Sop Choi in seinem vierminütigen Video:

Was aber macht Songdo so smart? Es ist nicht nur die zentrale Steuerung der Infrastruktur über ein einziges großes Computernetzwerk, sondern auch die „Verzahnung“ aller Bereiche. Jeder Einwohner ist Besitzer einer Smart Card, über die er sich ausweist, mit der er den ÖPNV nutzen kann, seine Haustür öffnet, aber auch Waren bezahlt und medizinisch versorgt wird. Durch eine permanente Datenerhebung – vom öffentlichen Raum bis in private Bereiche – soll sich etwa ein Drittel der Energie und Ressourcen gegenüber den bisher üblichen Städten einsparen lassen. Ampeln stellen sich dynamisch auf den Verkehr ein, Straßenlaternen wiederum auf die Frequenz der Passanten. Als ein Highlight gilt das unterirdische Abfallentsorgungsnetz: Von jedem Einwurfspunkt aus wird der Müll in Spezialbehältern wie bei einer Rohrpost mit Druckluft in ein Kraftwerk zur Biogasgewinnung befördert.

Dolera soll zu einer der modernsten Städte Indiens werden. (C) Kishanseo – Own work, CC BY-SA 4.0,

Songdo City mag aktuell das Leuchtturmprojekt in der Welt sein, doch Smart Cities entstehen auch anderswo. Zum Beispiel in Dholera, einem von nicht weniger als 100 Projekten in Indien, in deren Rahmen intelligente Städte entstehen sollen. Oder im japanischen Fujisawa, wo alle Haushaltsgeräte, Elektroautos und Gebäude über ein intelligentes Energiemanagement-System vernetzt sind – die Stadt gilt als erste voll funktionsfähige Smart City. Oder in Masdar in den Vereinigten Arabischen Emiraten, wo bis 2030 eine „CO2-neutrale Wissenschaftsstadt“ entstehen soll. Oder…

Deutsche Städte werden zu Smart Cities

… in Bottrop. In der „InnovationCity Ruhr“ arbeitet ein interdisziplinäres Team zusammen, um die Stadt nachhaltig weiterzuentwickeln und das Klima zu schützen. Ziel ist es, die CO2-Emissionen zu halbieren und gleichzeitig die Lebensqualität zu steigern. Gemeinsam mit zahlreichen Wirtschaftspartnern wurden bislang über 300 Einzelprojekte zum größten Teil bereits umgesetzt und teilweise schon abgeschlossen – dokumentiert auf einer klar gegliederten Übersicht und über eine praktische Landkarte.

300 Projekte, die Bottrop zur Smart City machen, sind auf einer Karte abrufbar. (C) InnovationCity Ruhr

Ein überzeugendes Beispiel ist der Umbau einer Aral-Station zur wohl energieeffizientesten Tankstelle in Deutschland. Oder das Projekt „stadtverträgliches Lkw-Routing“, bei dem die Erreichbarkeit von Gewerbe- und Industriebetrieben so optimiert wird, dass die Bevölkerung vor Lärm und Schadstoffen geschützt wird.

Solche Projekte sind ohne starke Partner aus Forschung und Wirtschaft kaum denkbar. Höhere Energieeffizienz, weniger Verkehr, mehr Kontrolle über öffentliche Ausgaben, bessere Leistungen der öffentlichen Verkehrsmittel – diese Vorteile entstehen zwar durch clevere Nutzung digitaler Ressourcen, doch kann der Weg dorthin ziemlich steinig sein. Öffentliche Einrichtungen, Unternehmen und Organisationen erzeugen ein immenses Datenvolumen mit unterschiedlichen Datenformaten, teilweise als wahre Flut von Echtzeitdaten.

Keine smarte Stadt ohne Innovationen aus Forschung und Wirtschaft

So hat sich etwa das Unternehmen OpenDataSoft mit Hauptsitz in Paris darauf spezialisiert, diese Datenformate in Services wie Datenvisualisierungen, Echtzeit-Monitoring oder Schnittstellen zu anderen Systemen umzuformen. Business-Usern soll es dabei einfacher gemacht werden, ohne technisches Hintergrundwissen Daten zu veröffentlichen, zu teilen und weiterzuverwenden. Zu den Kunden zählen die Städte Paris und Brüssel, das französische Innenministerium, das portugiesische Gesundheitsministerium, die französischen und Schweizer Bahnunternehmen SNCF und SBB sowie eine Reihe von Energie- und Versorgungsunternehmen wie Total, Veolia und Suez.

Als Vorreiter im Bereich Smart-City-Projekte gilt IBM, das schon 2008 die Initiative „Smarter Planet“ startete. So wurde zum Beispiel für Rio de Janeiro eine Operation-Center-Software entwickelt, mit der die Behörden einen Überblick über die aktuelle Wetter- und Verkehrslage und Energiesysteme erhalten. In Glasgow nutzt man die Hitzeabstrahlung von Industriegebäuden zum Beheizen von Wohnhäusern. Und zusammen mit der Deutschen Telekom werden deutsche Städte mit Machine-to-Machine-Lösungen versorgt, wodurch etwa der ÖPNV vernetzt wird.

Auch andere Firmen treiben als „Big Smart City Player“ die Entwicklung voran. Cisco Systems etwa bietet mit der Konzernsparte „Internet of Everything“ die Steuerung von Energienetzwerken über Verkehr bis zum Einkauf im Supermarkt. Und auch Siemens richtet sich mit seinen Produkten und Dienstleistungen gezielt an Städte, die ihre Abläufe optimieren wollen.

Smarte Autos kommunizieren mit smarten Häusern

Gerade in der Verbindung von intelligenter Mobilität und intelligenten Gebäuden sehen die Unternehmen viel Potenzial. Etwa durch die Regelung der Hausheizung von unterwegs oder durch die Kopplung des Terminkalenders mit Zieleingaben im Navigationssystem. Zudem sollen Elektroautos zu fahrenden Energiespeichern im Smart Grid werden.

BMW etwa hat mit „Enlighten“ eine App für Autofahrer entwickelt, die es ermöglicht, die Ampelphasen direkt auf dem Display ihres Autos anzeigen zu lassen, auch zur cleveren Anpassung der Geschwindigkeit, um wirklich eine grüne Welle nutzen zu können. In den US-Bundesstaaten Oregon und Utah wurden bereits mehr als 2000 Ampeln in drei Städten so umgerüstet, dass die App ihre Daten auswerten kann.

Den Prototypen eines vernetzten Autos, das mit anderen Fahrzeugen und der Infrastruktur kommunizieren kann, hat Daimler vorgestellt. „Ihr Mercedes kennt Ihren Arbeitsweg, Ihren Fahrstil, Termine, den Musikgeschmack“, sagte Daimler-Chef Dieter Zetsche auf der IAA in Frankfurt und zeichnete eine spannende Zukunftsvision: Der Autositz könne einige Vitaldaten des Fahrers checken und je nach Blutdruck oder Pulsschlag die gesamte Atmosphäre im Mercedes verändern – neben der Musik auch mit Licht, Temperatur und Duft.

Datenschutz und Angreifbarkeit sind der wunde Punkt intelligenter Städte

Womit wir beim „wunden Punkt“ der Smart Cities wären: Die Systeme sind hochkomplex und zumindest theoretisch angreifbar – gar nicht zu reden über Fragen des Datenschutzes. All das muss noch geklärt, geschützt, gesichert werden, damit die Vorteile bei Weitem die Nachteile überwiegen und die Stadt der Zukunft funktionsfähig und lebenswert bleibt. So haben Hackerangriffe in der Vergangenheit bereits gezeigt, dass es eine kluge Entscheidung sein dürfte, verstärkt in die Forschung rund um IT-Sicherheit zu investieren. Beispiele, dass die Bedrohungen längst nicht mehr nur theoretisch sind, gibt es reichlich: der Ausfall eines Fünftels des Stromnetzes von Kiew, die Sperrung von Fahrkartenautomaten in San Francisco durch Ransomware, ein konzertierter Fehlalarm von über 150 Meldeanlagen des Sturmwarnsystems in Dallas – überall waren digitale Eindringlinge am Werk.

Für die Entwicklung von Techniken und Verfahren, ob im Sinne des Komforts, der Effizienz oder zur Gefahrenabwehr, braucht es nicht zuletzt Grundlagenforschung in diesem Bereich.

Grundlagenforschung zu Smart Cities

Die Bundesregierung fördert die Forschung und Entwicklung zukunftsweisender Energietechnologien – und hier speziell im Gebäudebereich, der eine Schlüsselrolle in der Energiewende spielt. Immer wichtiger wird das Zusammenwirken von Gebäuden, Quartieren und Energieinfrastruktur, weshalb das BMWi mehrere einzelne Förderschwerpunkte zur Forschungsinitiative „Energiewendebauen“ zusammengefasst hat.

Forschungsbericht des Bundesinstituts für Bau-, Stadt- und Raumforschung

Einen Handlungsrahmen, wie Kommunen die Entwicklung hin zur Smart City gestalten können, hat das Bundesinstitut für Bau-, Stadt- und Raumforschung (BBSR) entwickelt. Der Forschungsbericht ist als PDF-Datei abrufbar.

Zwei Feldversuche der RWTH Aachen beschäftigen sich mit der Smart-City-Optimierung von Quartieren.

Die „Smart City Platform“ der TU Berlin vereint die diversen Forschungsprojekte an der Technischen Universität und führt verschiedene Stränge der wissenschaftlichen Ausrichtung zusammen.

(C) www.smartcity.institute / Screenshot

Das „SmartCity.institute“ befasst sich mit Forschungsfragen rund um die Stadt der Zukunft. Gegründet 2014 von Dr. Chirine Etezadzadeh, der Vorstandsvorsitzenden des Bundesverbands Smart City e.V., soll das Institut dem interdisziplinären Austausch zwischen den Wissenschaften, Städten und der Industrie dienen. Auf einer eigenen News-Plattform rund um Smart Cities werden Informationen zur globalen Entwicklung zusammengetragen, und es stellen sich auch Städte aus aller Welt vor und berichten über ihre Aktivitäten und Erfahrungen.

An einer umfassenden Bestandsaufnahme der Aktivitäten deutscher Städte im Bereich Smart City arbeitet derzeit das Deutsche Institut für Urbanistik (Difu). Es fungiert als Forschungs-, Fortbildungs- und Informationseinrichtung für Städte, Gemeinden, Landkreise, Kommunalverbände und Planungsgemeinschaften.

Trotz aller technischen Innovationen, die in die Stadt integriert und dem Bürger quasi „von oben“ präsentiert werden, ist eine weitere Komponente nicht weniger wichtig: der Mensch.

Smart Cities erfordern Smart People

„Smart Cities existieren nicht ‚an sich‘, sondern erfordern Smart People, die smarte Städte in ihren Handlungen tagtäglich realisieren und aktualisieren müssen – sowohl top-down als auch bottom-up.“ (TU Berlin)

Beispiele sind mehr Transparenz und Bürgernähe bei Rettungsdiensten, Nahverkehr und Entsorgung – etwa die Möglichkeit, verdreckte oder zugemüllte Stellen in der Stadt zu melden, ebenso Beschädigungen wie Schlaglöcher oder umgeknickte Schilder. Oder man markiert positive Dinge, wie zum Beispiel behindertengerechte U-Bahn-Stationen – das geht bereits auf der digitalen Karte „Wheelmap“. Das deutsche Portal Nebenan.de verknüpft Nachbarschaften und erleichtert die gegenseitige Hilfe im engen Kreis, wobei sichergestellt ist, dass nur Anwohner des eigenen Bereichs registriert sein können. Ähnlich funktioniert das Projekt „Design for Social Change“ (D4SC), über das sich Menschen zusammenschließen können, um Projekte in ihrem Stadtviertel zu verwirklichen.

Zum Schluss ein Tipp für alle, die tiefer in das Thema Smart Cities eindringen möchten: Bei den Kollegen vom Bayerischen Rundfunk ist immer noch ein 23-minütiges Radiofeature aus dem Jahr 2013 abrufbar, das sich zum großen Teil als zeitlos aktuell erweist. Der Beitrag, der auch als Download verfügbar ist, beinhaltet überaus informative Fakten und spannende O-Töne von Wissenschaftlern. Genau das Richtige also für die nächste Auto- oder Zugfahrt durch unsere zunehmend smarter werdenden Großstädte.

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