Medien-Unternehmen haben es plötzlich gemerkt. Ihre Postings auf Facebook generieren auf einmal weniger Zugriffe. Warum? Ganz einfach: Facebook hat seinen Algorithmus geändert. Doch was bedeutet das für Seitenbetreiber? Wie genau sind Verlage betroffen? Und wie sollten sie am besten reagieren? Christian Spanik sprach mit Thomas Kaspar von Ippen Digital unter anderem über den Artikel, den dieser zum Thema geschrieben hat.
In seinem Artikel schreibt Thomas Kaspar: „Facebook ist wichtig. Verlage sind wichtiger.” Diese Gelassenheit basiert auf langjähriger Erfahrung. In seinen gut 30 Jahren als Journalist wurden Verlage und Publishing-Häuser immer wieder totgesagt. Mit der Erstarkung von Google hieß es: „Wir brauchen alle nur noch Nutzwert-Seiten”. Mit der Bedeutungszunahme von Facebook und Blogs: „Wir werden gar keine professionellen Journalisten mehr brauchen”. Letzte komme es auf den richtigen Mix an. Auf der einen Seite ist eine klare journalistische Position wichtig, es braucht Experten zum Thema. Auf der anderen Seite will man im Web 2.0 auch Dialog und Interaktion. Facebook ist dahingehend nur ein Baustein in der Portfolio-Kette, um mit Lesern zu kommunizieren.
Facebook-Algorithmus gewichtet neu
Dennoch bleibt es eine spannende Frage, welche Rolle Facebook in Zukunft spielen wird. Einst hatte die Plattform vor allem Fanpages forciert. Doch diese Art, mit Facebook zu arbeiten, sei sichtlich vorbei. Per neuem Algorithmus wurde die Fanpage heruntergestuft. Wichtiger sind nun Communities. Relevante, fokussierte Inhalte zu erstellen, bleibt dennoch Job der regionalen Verlage. Community Building, gemeinsam mit Facebook und weiteren Tools werde für diese aber eine große Rolle spielen.
Thomas Kaspar – 3 Tipps für Verlage:
- Automatisiertes Posten von Artikeln auf der Fanpage einstellen.
- Das massenhafte Posten von Beiträgen wird zu keiner verbesserten Sichtbarkeit führen.
- Über Inhalte nachdenken.
- Was würde einen Leser veranlassen, meinen Inhalt in seinen Newsfeed aufzunehmen? Lustiges, Interessantes, Service? Je mehr „Meaningfull Conversation“ stattfindet, desto mehr besteht die Chance, starken Shorttail-Inhalt aufzubauen.
- Rückbesinung auf die eigene Marke.
- Wofür stehen wir eigentlich? Was ist unsere Haltung und was transportieren wir?
Facebook – widersprüchliches Verhalten
Hieß es von Seiten Facebook vor zwei Jahren noch: „Kommt zu uns mit Instant Articles und exklusiven Inhalten”, klingt es heute eher nach: „Verlage sind nicht so wichtig”. Kaspar hat Verständnis für diesen Meinungs-Wechsel. Mark Zuckerberg habe „Nutzer-Zentrierung” groß geschrieben. So ähnlich hatte er gehandelt als Social Games überhand nahmen. Auch da wurde radikal reagiert. Und nun nehme von Mark Zuckerberg aus wieder eine stärkere Besinnung auf die Facebook-Nutzer ihren Weg in die Organisation.
„Was ich wirklich bewundere, ist die Radikalität mit der man ein Wort gerade bei Facebook überall hört. Und das heißt Listening – Zuhören. Facebook hört seinen Nutzern zu, hört den Gruppen-Admins zu, den Community-Leaders. Hört dem einfachen Nutzer zu, und jeder mit dem du dich gerade unterhältst, erzählt dir Geschichten, wie er mit Leuten zusammensitzt, wie er von denen gelernt hat.”
Thomas Kaspar, Ippen Digital
Diese Kunden-Zentrierung wünscht sich Kaspar auch für so manches Medienhaus und fasst sich selber an der Nase: „Wenn ich überlege, wie wir oft mit Werbung unsere Seiten zuknallen, um zu refinanzieren. Meine Güte, da könnte man wahrscheinlich auch einiges noch besser machen.”
Facebook in der Selbstfindungs-Phase?
Die Widersprüchlichkeit, mit der Facebook vorgeht, empfindet Kaspar allerdings als brutal: „Wenn du mit vier Leuten sprichst, hörst du vier verschiedene Meinungen. Ist es ein negatives Signal, wenn man reported wird oder nicht? Die einen sagen: Ja, ganz starkes Signal. Die nächsten sagen: Kein starkes Signal, das filtern wir heraus. Sollen wir jetzt Videos machen oder nicht? Die einen sagen: Es ist Spam. Die nächsten sagen: Doch, ist ein ganz starkes Signal.” Facebook hat die Entscheidung getroffen, sich neu aufzustellen und per neuem Algorithmus eine massive Änderung vorzunehmen scheint damit jedoch noch in der Selbstfindungs-Phase zu stecken.
„Ich glaube, sie haben eine relativ klare Richtung, wo sie hinwollen: Kunden-zentriert arbeiten. Nutzer-zentrierte Inhalte aufbauen. Lokaler werden. Es gibt aber keine einheitliche Linie, wie man das misst, bewertet und fördert, sodass die Partner ein sicheres System haben, bei dem es sich lohnt mitzumachen.”
Thomas Kaspar, Ippen Digital
Kaspars Tipp: Einatmen, ausatmen
Jetzt heißt es erst mal, die nötige Gelassenheit walten zu lassen. Nicht in hektische Betriebsamkeit auszubrechen und alles sofort schlagartig zu ändern. Lieber dem Social-Media-Team Zeit geben, einen klaren Fokus und eine Haltung zu formulieren und Interaktions-Formate auszuprobieren. Vor allem gehe es darum, den Lesern von morgen zuzuhören und Formate zu entwickeln, die zu ihnen passen. Und zu akzeptieren, dass es unterschiedliche Arten von Artikeln gibt: Short-Tail – die aufregende Nachricht, die nach oben schießt, wie etwa bei einer Fußballweltmeisterschaft. Und Long-Tail-Inhalte, die auf Dauer immer wieder aufgerufen werden, wie etwa zum Thema Apotheken-Notdienst. Kaspar vergleicht Facebook dabei mit einer Art sozialen Suchmaschine:
„Natürlich gibt es hier auch den Short-Tail-Aufreger, der dann durch die Decke schießt, und der, der das als Erster am besten erzählt, interaktiv, wird hier gewinnen. Und natürlich gibt es sehr, sehr, sehr viele Long-Tail-Inhalte, die dann eben nicht durch die Decke schießen, aber eine riesige Masse an Bedürfnissen abdecken, die sonst niemand abdeckt.”
Thomas Kaspar, Ippen Digital
Braucht es Spezialisten für Facebook & Co.?
Gab es früher eine Politik-Redaktion, eine Sport-Redaktion oder Hardware- und Software-Spezialisten, so gibt es heute bei Ippen Digital ein Growth-Team, ein Engagement-Team und ein Special-Interest-Team. Diese unterschiedlichen Rollen haben auch unterschiedliche Fähigkeiten und Ziele: „Ein Reinholer muss stolz sein dürfen: Boh, ich hab‘ die Million gemacht. Und ein Binder wird immer sagen: Ja, aber was hat der Leser davon? Was kann er aktiv damit tun?“ Und dabei geht es immer wieder um das Thema Zuhören: „Wir haben ein User Lab bei Ippen Digital und treffen uns regelmäßig mit sehr unterschiedlichen Personengruppen, und hören denen komplett offen zu.” So hat Kaspar etwa „digital habits”, also digitale Gewohnheiten junger Menschen ausgemacht:
„Junge Leute liegen abends im Bett, haben ihr Handy in der Hand, und bis die Augen zufallen, lassen sie Instagram-Stories, Facebook-Stories, Snapchat-Stories an sich vorbeilaufen. One-Pager, die Geschichten in kurzen Abständen erzählen.”
Dieses Wissen könne man einsetzen, um zu überdenken, wie Nachrichten für diese Zielgruppe erzählt werden müssen.
Chancen für den Lokaljournalismus
Auch der Lokaljournalismus hat seinen Short-Tail. Eine Blaulicht-Meldung laufe immer besser als eine Stadtratssitzung. „Aber wir haben mit den Facebook-Gruppen, mit der Lokalisierung, wahrscheinlich schon einen Partner, also Touchpoint, an dem wir ansetzen können.” Für Nutzer, die sich für lokale Inhalte interessieren. Dass die überregionalen Medien bei Facebook verlieren, glaubt Kaspar dennoch nicht, da neben dem journalistischen Diskurs auch der emotionale Dialog, also das Streiten über Themen, weiter stattfinden werde.
„Da werden große Marken wie die Zeit oder wie Spiegel oder auch junge Marken wie Buzzfeed auch ihren Weg finden, um nationale Inhalte auszuspielen.”
Thomas Kaspar, Ippen Digital
Zur Person Thomas Kaspar
Thomas H. Kaspar, Ippen Digital. Chefredakteur der Zentralredaktion, Produktchef der Online-Plattform, Buchautor und Dozent. Als Soziologe auf digitalen Wandel spezialisiert.
Eine Kurzversion des Talks zum Thema finden Sie in unserem Digitalmagazin 09:59.
Da Facebook und Instagram in den letzten Jahren systematisch an der Reichweite schrauben, scheint das Fehlen eines Algorithmus für diese Menschen die Lösung zu sein. Auf der anderen Seite – und das ist meine persönliche Meinung – bin ich ebenfalls gegen einen Algorithmus.