Energiewende: Comeback für den Wasserstoff?

Bei der Energiewende denkt fast jeder nur noch an Elektroautos. Dabei hat das Konzept der batteriebetriebenen Fahrzeuge durchaus seine Grenzen. Es lohnt sich deshalb, auch nochmal intensiver über den bei vielen Experten bereits abgeschriebenen Wasserstoff als Energieträger nachzudenken. Für einen Erfolg braucht es aber Geduld und Gestaltungswillen.

Aufmacherbild:  PIRO4D/Pixabay 

So langsam aber sicher scheint es was zu werden: Laut dem Marktforschungsinstitut Statista gab es 2020 einen neuen Rekordwert bei der Anzahl der Neuzulassungen von Elektroautos in Deutschland – mit rund 194.200 Pkw mit reinem Elektroantrieb wurden 2020 so viele neu zugelassen wie nie zuvor. Im Vergleich zum Vorjahr 2019 entspricht das einer Verdreifachung der Zulassungszahl. Auch das Jahr 2021 startete laut Statista mit einem deutlichen Zuwachs im Vergleich zum Vorjahreszeitraum. Bis Mai kletterten die Zulassungszahlen vollelektrische Autos bereits auf 115.000.

Doch die Erfolgszahlen sind mit Vorsicht zu genießen.  Von den 770 TWh, die 2019 in Deutschland für den Verkehr eingesetzt wurden, entfielen 2019 12 TWh auf Strom – über 94 Prozent wurden in Form mineralölbasierter Kraftstoffe verbraucht. Und zieht man den Europäischen Energiemix heran, dann stammen von diesen 12 TWh gerade mal 38 Prozent aus erneuerbaren Energien.

Wasserstoff für die Brummis

Selbst wenn alle Autos in Zukunft mit grünem Strom fahren, so ist das Konzept batteriebetriebener Fahrzeuge nicht immer der Königsweg zu einer erfolgreichen Energiewende. Das gilt vor allem auch für den Lastkraftverkehr. LKWs gelten als ziemliche Dreckschleudern. Sie produzieren zwei Fünftel aller Klimagas-Emissionen im Straßenverkehr. Doch Batterieantrieb ist hier keine echte Alternative: Die erforderlichen Akkus würden in Brummis zu viel Platz wegnehmen und zu viel Gewicht beitragen. Zudem sind sie bei den gerade für LKW-Leistung und -Reichweiten erforderlichen Energiemengen sehr teuer. Stattdessen setzt die Branche auf die oft schon totgesagte Wasserstofftechnik: Brennstoffzellen erzeugen hier sauberen Strom und sorgen für den Antrieb. „Der wasserstoffbasierte Brennstoffzellenantrieb wird im CO2-neutralen Lkw-Fernverkehr der Zukunft unverzichtbar sein“, ist Martin Daum, Chef der Truck-Sparte der Daimler AG, überzeugt.

Der Brennstoffzellen LKW GenH2 von Daimler Trucks soll 2027 in Serie gehen.
Der Brennstoffzellen-LKW GenH2 von Daimler Trucks soll 2027 in Serie gehen. Bild: Daimler Trucks

Die Entwicklung schreitet zügig voran – auch dank Druck durch die EU. Bis 2025 müssen die LKW-Bauer die CO2-Emissionen durchschnittlich um 15 Prozent, bis 2030 gar um 30 Prozent senken. Ansonsten setzt es hohe Strafen. Bei Daimler ist man bei dem Thema schon ziemlich weit: Die Schwaben wollen noch in diesem Jahr ein Jointventure mit Volvo gründen.  Derzeit erproben sie einen mit Flüssigwasserstoff betriebenen Prototyp namens GenH2. Er soll eine Reichweite von über 1000 Kilometer haben und 2027 in Serie gehen. 2039 soll dann das Aus für Diesel-LKW kommen.

Fördermillionen treiben Entwicklung

Dass allerdings der PSA-Konzern mit dem Opel Vivaro-e Hydrogen nun doch noch einen Klein-LKW mit Wasserstoffantrieb bringt, überraschte die Branche dann doch. In dieser Fahrzeugklasse gibt es bereits eine Reihe von batteriebetriebenen Modellen, die locker 300 km schaffen – mehr als genug für die meisten Lieferfahrten. Uneingeschränkt scheint der Konzern auch nicht hinter der Technik zu stehen: Der Transporter soll wohl nur in Kleinserie zusammengeschraubt werden. Ein wichtiger Grund für seine Existenz dürften wohl auch die Steuergelder in Höhe von 5,7 Mio. Euro sein, die der deutsche Bundesverkehrsminister für seine Entwicklung spendiert.

Der Opel Vivaro-e Hydrogen ist eines der wenigen Wasserstoff-Fahrzeuge in der Klasse der Kleintransporter.
Der Opel Vivaro-e Hydrogen ist eines der wenigen Wasserstoff-Fahrzeuge in der Klasse der Kleintransporter. Bild: Opel

Auch PKW  mit Wasserstoffantrieb sind immer noch echte Exoten. Bei den deutschen Herstellern war der Mercedes GLC F-Cell das bisher einzige Auto mit dieser Technik. Es wurde allerdings nicht  zum Kauf und nicht für private Endkunden angeboten, mittlerweile hat Daimler das Projekt ganz gestoppt. Wer trotzdem auf den sauberen Antrieb  setzen möchte, braucht ein großes Budget: Im Angebot sind der rund 64.000 Euro teure Toyota Mirai  und der Hyundai Nexo für 69.000  Euro. Als Besitzer des Nexo kann man sich dann als Mitglied eines ziemlich exklusiven Clubs fühlen: Von dem sauberen SUV wurden bisher noch nicht mal dreistellige Stückzahlen verkauft.

Immerhin: Sorgen, mit leerem Tank liegen zu bleiben, braucht man nicht zu haben – zumindest wenn man rechtzeitig ans Nachfüllen denkt.  Die App H2.LIVE bietet Echtzeitinformationen über den aktuellen Status der – aktuell allerdings noch raren – öffentlichen Wasserstofftankstellen in Deutschland.  Wer öfter in Frankreich unterwegs ist, kann sich mit H2 360° über Zapfsäulen für den sauberen Treibstoff im Nachbarland  informieren. Und einen generellen Überblick über Wasserstoffprojekte in Deutschland – darunter auch Tankstellen – bietet die App H2Connect , die auch das Eintragen eigener Aktivitäten zulässt.

Ammoniak statt Schiffsdiesel

Besonders dringend für die Energiewende erscheint die Entwicklung einer nachhaltigen Lösung für die Antriebe der Ozeanfrachter. Diese verbrennen Schweröl und sind weltweit zu 2,6 Prozent für alle Klimaemissionen verantwortlich. Zudem spucken sie große Mengen an Schwefel- und Stickstoffoxiden in die Atmosphäre. Der Einsatz von gewöhnlichen Brennstoffzellen ist hier aber problematisch:  Wasserstoff muss für den Transport stark gekühlt oder unter hohen Druck gesetzt werden.

Die Viking Energy soll als erstes Schiff mit Wasserstoff betrieben werden, der an Bord aus Ammoniak gewonnen wird. Bild: Eidesvik
Die Viking Energy soll als erstes Schiff mit Wasserstoff betrieben werden, der an Bord aus Ammoniak gewonnen wird. Bild: Eidesvik

Im Rahmendes Projektes ShipFC  experimentiert man deshalb in Norwegen unter Beteiligung des Fraunhofer-Instituts für Mikrotechnik und Mikrosysteme IMM mit Ammoniak als Energieträger. Die Verbindung aus Wasserstoff und Stickstoff ist deutlich einfacher zu handhaben: Das Gas verflüssigt sich schon bei einem Druck von 9 bar. Erstmals eingesetzt werden soll die Technik auf dem Versorgungsschiff Viking Energy der Reederei Eidesvik. Ein kleiner Reaktor an Bord soll das Ammoniak zuerst in seine Bestandteile spalten, bevor eine konventionelle Brennstoffzelle aus dem so gewonnen Wasserstoff Strom erzeugt. Katalysatoren sorgen dafür, dass keine schädlichen Stickoxide freigesetzt werden. Die umgerüstete Viking Energy soll in der zweiten Hälfte des Jahres 2023 in See stechen.

EU-Projekte geben Anschub

Auch die EU setzt in Sachen Energiewende weiter auf das saubere Gas.  Im Rahmen von Wasserstoff-IPCEI (Important Projects of Common European Interest) haben das Bundeswirtschaftsministerium und das Bundesverkehrsministerium 62 Großprojekte vorgestellt. Gleich zwölf von ihnen sind in Hamburg angesiedelt. Entstehen soll dort eine Wasserstoff-Wertschöpfungskette, bei der es nicht nur um das Thema Transport, sondern auch um die Industrie in der Region geht. Für sie soll Wasserstoff künftig als alternative Energiequelle dienen. Kernstück des Plans ist ein 100-Megawatt-„Elektrolyseur“ im Hamburger Hafen. Das System, das unter Einsatz elektrischer Energie aus Wasser Grünen Wasserstoff erzeugt, soll bis 2025 entstehen. Vor allem auch die Off-Shore-Windräder in der nahen Nordsee sollen den dazu benötigten Strom liefern.

In Hamburg soll ein Cluster für Wasserstoff-Technologie entstehen.
In Hamburg soll ein Cluster für Wasserstoff-Technologie entstehen. Bild: Wärme Hamburg

Auch von der Industrie selbst gehen Wasserstoff-Initiativen aus. So hat BASF vor kurzem eine Kooperation mit RWE zur Herstellung von Grünem Wasserstoff bekannt gemacht. Produktionsprozesse von Basischemikalien, die bisher auf fossilen Energieträgern beruhen, sollen elektrifiziert werden. Dies soll Einsparungen von 3,8 Mio. Tonnen CO2 pro Jahr ermöglichen.

Wasserstoff statt Erdgas

Langfristig gesehen kann Grüner Wasserstoff auch das Erdgas ersetzen. Vom Gesetzgeber wurde mit September 2016 die Digitalisierung im Energiebereich festgeschrieben. Wichtigstes Ziel war die Förderung von intelligenten Messsystemen und eine gleichzeitige Minimierung der Kosten für die Endverbraucher. Ein  Resultat dieser Maßnahme ist eine Software namens SmartSim. Sie erlaubt es, den Brennwert eines Mischgases im Netz rechnerisch zu bestimmen. So wird es erstmals möglich, Wasserstoff, Erdgas und Biogase gemischt einzusetzen und hochgenau abzurechnen – auch ohne Einsatz aufwändiger Messtechnik Die Software nutzt dazu ein Konglomerat aus bereits verfügbaren digitalen Daten, wie etwa  Netztopologie, Druck und Verbraucherdaten. Das Verfahren ist bereits bei einer Vielzahl von Netzbetreibern erfolgreich im Einsatz und von den Eichämtern und der Physikalisch-Technischen Bundesanstalt (PTB) für die Abrechnung anerkannt.

Wasserstoff-Infrastruktur ist essentiell

Auch bei der Bahn tut eine Energiewende Not. Viele Strecken werden so selten befahren, dass sich eine Elektrifizierung nicht lohnt. Stattdessen setzen die Bahnbetriebe dort heute umweltschädliche Dieselloks ein. Batteriebetriebene Loks wären eine Alternative – kommen aber nur auf kurzen Strecken in Frage und scheitern an großen Steigungen.

Alstom baut den den ersten Wasserstoff betriebenen Zug.
Alstom baut den den ersten Wasserstoff betriebenen Zug. Bild: Alstom.

Die Verkehrsbetriebe in Bremervörde haben als Alternative  zwei Jahre lang Wasserstoffzüge der französischen Firma Alstom erprobt. Das Projekt war so erfolgreich, dass es nun in den Regelbetrieb gehen soll. Ab 2022 werden 14 Coradia iLint-Serienzüge die bisher im Weser-Elbe-Netz verwendeten Dieseltriebzüge ersetzen. Das Gas-Unternehmen Linde will hierfür eine Wasserstofftankstelle in der Nähe des Bahnhofs Bremervörde errichten und betreiben.

Allerdings: Noch sind die Wasserstoff-Loks eher Exoten. Und ob eine Wasserstofftankstelle gebaut werden kann und sie sich rentiert, hängt von vielen Faktoren ab. Etwa von der Art der umliegenden Industrie, die möglicherweise Wasserstoff als Abfallprodukt liefern kann – oder etwa auch, ob es vielleicht einen Verkehrsverbund gibt, der seine Busse ebenfalls mit Wasserstoff auf die Straße schicken möchte. Was in Bremervörde funktioniert, muss in anderen Regionen daher noch lange kein Erfolg werden. Immerhin: Auch in Österreich und in den Niederlanden wird das System nun evaluiert.

Farbenlehre – Wasserstoff als Mogelpackung

Wie beim Strom gilt jedoch auch beim Wasserstoff: Für eine echte Energiewende muss er aus erneuerbaren Energien hergestellt werden.  Gerade beim Wasserstoff ist der vermeintlich saubere Energieträger aber noch vielfach eine Mogelpackung. Auch aufgrund geringer Produktionsmengen wird nämlich statt Grünem Wasserstoff sogenannter Grauer Wasserstoff eingesetzt. Der fundmentale Unterschied: Anders als Grüner Wasserstoff wird der Graue aus fossilen Brennstoffen gewonnen. Zu seiner Herstellung  wird Erdgas unter Hitze in Wasserstoff und CO2 umgewandelt. Bei der Produktion einer Tonne Wasserstoff entstehen dabei rund 10 Tonnen CO2. Daneben gibt es auch sogenannten Blauen Wasserstoff – eigentlich auch Grauer Wasserstoff, bei dem aber das CO2 abgespalten und gespeichert wird. Wasserstoff lässt sich in einer Hochtemperatur-Reaktion auch aus Methan gewinnen. Übrig bleibt hier fester Kohlenstoff. Diese besondere Variante nennt man dann Türkisen Wasserstoff.

Afrika soll Versorgung mit Grünem Wasserstoff sichern

Noch steht nicht fest, wie hoch Deutschlands Bedarf an Grünem Wasserstoff in Zukunft wirklich sein wird. Fest steht allerdings schon heute: Die Produktion im eigenen Land dürfte wohl in keinem Fall ausreichen, Deutschland wird auf Exporte aus dem Ausland angewiesen sein. Das Max-Planck-Institut für Chemische Energiekonversion geht davon aus, dass Deutschland bis 2050 rund 45 Millionen Tonnen Wasserstoff wird importieren müssen. Das entspricht einer Energiemenge von 1500 Terawattstunden. Deutschland schmiedet deshalb mit den sonnenreichen Ländern in West- und Südafrika eine strategische Wasserstoffpartnerschaft.

Bundesministerin für Bildung und Forschung Anja Karliczek, Dr. Stefan Kaufmann, Innovationsbeauftragter Grüner Wasserstoff,Christoph Kannengießer, Hauptgeschäftsführer Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft sowie Solomon Nwabueze Agbo, Projektkoordinator stellen die Wasserstoff-Partnerschaft mit Afrika vor.
Bundesministerin für Bildung und Forschung Anja Karliczek, Dr. Stefan Kaufmann, Innovationsbeauftragter Grüner Wasserstoff, Christoph Kannengießer, Hauptgeschäftsführer Afrika-Verein der deutschen Wirtschaft sowie Solomon Nwabueze Agbo, Projektkoordinator stellen die Wasserstoff-Partnerschaft mit Afrika vor. Bild: BMBF/Hans-Joachim Rickel

Laut der Studie „Potenzialatlas Grüner Wasserstoff“, deren erste Ergebnisse  vom Bundesministerium für Bildung und Forschung Ende Mai vorgestellt wurden, lassen sich allein in Westafrika jährlich bis zu 165.000 TWh Grüner Wasserstoff herstellen. Also 110mal so viel, wie Deutschland 2050 voraussichtlich wird importieren müssen. Und das zu Produktionskosten, die deutlich unter denen in Deutschland liegen. Zudem geht der Aufbau einer auf Grünem Wasserstoff basierenden Wirtschaft in städtischen wie auch ländlichen Regionen Westafrikas mit einem hohen gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Nutzen einher. Das würde den Einstieg in diese Technologie zu einer echten Win-Win-Situation machen.

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