Medien gehören zu den Bereichen, die seit vielen Jahren wohl die größten Auswirkungen der Digitalisierung erfahren – von der klassischen Tageszeitung über Social Media bis zu Filmen und Kunst. Diese Auswirkungen sind vielschichtig – Digitaltechnik eröffnet eine Vielzahl neuer Möglichkeiten, hat aber auch eine Reihe von Problemen verursacht. Wir versuchen eine Bestandsaufnahme.
Quelle des Aufmacherbildes: Pixabay.com (Collage)
Digitale Medien haben unser Leben nachhaltig verändert. Dabei scheint es erst wenige Jahre her zu sein, dass Nachrichten, Fotos, Filme, Musik, Bücher & Co. ausschließlich analog produziert, verbreitet und konsumiert wurden. Auch wenn längst nicht alle klassischen Medien von einer digitalen Variante abgelöst wurden: Ihre Inhalte entstehen heute fast ausschließlich digital – und das erhöht den Anpassungsdruck auf die Medienbranche immens.
Laut dem Branchenverband Bitkom haben vier von fünf Medienunternehmen infolge der Digitalisierung neue Produkte auf den Markt gebracht. So beteiligte sich schon Ende 2016 allein der Axel Springer Verlag an über 90 „digitalen Startups“. Doch jedes fünfte Unternehmen, so der Bitkom, habe bestehende Angebote auch vom Markt genommen, „weil sie nicht mehr zeitgemäß oder wirtschaftlich erfolgreich waren“.
Welche Vorteile bringt die Digitalisierung der Medien?
- Die digitale Produktion von Medien ist fast immer einfacher und günstiger als mit analogen Mitteln. Noch vor 15 Jahren benötigte man zur Erstellung eines Filmbeitrags einen kleinen Lkw, heute reicht ein leistungsfähiges Smartphone.
- Persönliche „Sender“ wie Webseiten, Youtube-Channels, Social Media u.a. lassen sich verhältnismäßig leicht betreiben.
- Der Vertrieb digitaler Medien, etwa von Songs, E-Books oder digitalen Magazinen lässt sich sehr schnell und auch vergleichsweise preisgünstig realisieren.
- Durch digitale Produktionstechnik können mehr Inhalte erzeugt werden, die Vielfalt ist ungleich größer.
- Unabhängig von Alter, Einkommen und sozialer Herkunft hat fast jeder Zugang zu einem fast unbegrenzten Angebot an Medieninhalten. Ein Internetanschluss genügt – gegebenenfalls auch unterwegs oder in öffentlichen Umgebungen wie Internet-Cafés oder Bibliotheken.
- Im Grunde braucht es heute nur eine gute Idee, um berühmt und erfolgreich zu werden. Die Mittel zur Verbreitung liegen jedem Kreativen zu Füßen.
- Künstliche Intelligenz erweitert die Möglichkeiten, Medien zu gestalten, immens. Zudem steigert sie die Effizienz in der Produktion und Verbreitung und verschafft Medienmachern Raum für neue Angebote.
Künstliche Intelligenz in den Medien als Digitalisierung 2.0?
Tatsächlich könnte man KI als neue Form der Digitalisierung betrachten: Das Digitale bekommt quasi ein Update. Dass Künstliche Intelligenz auch im Bereich der Medien und sozialen Netzwerke weiter voranschreitet, haben wir bereits in einem eigenen Beitrag dargestellt.
Es gibt zahlreiche Beispiele für KI-Einsatz in der Medienproduktion:
- Die BBC experimentiert mit KI-Verfahren, um Filme für jeden Zuschauer individuell zu gestalten. Dabei werden die Erzählung, Hintergrundmusik, Farbgebung und das grundlegende Gefühl eines Films in Echtzeit auf die Persönlichkeit abgesttmmt.
- Microsoft hat einem Bot beigebracht, das zu zeichnen, was der Nutzer ihm sagt – ohne passende Motive abzurufen. Vielmehr kreiert die Künstliche Intelligenz die Bilder von Grund auf neu.
- Das Start-up Lyrebird hat eine Software entwickelt, die in wenigen Minuten lernt, beliebige Stimmen nachzuahmen. Die Entwicklung soll die Interaktion mit Computern angenehmer machen und auch sprechbehinderten Menschen helfen.
- Verschiedene Rockbands lassen Musikvideos komplett automatisiert von einem Computer erstellen. Den Anfang machte 2017 die britische Band Muse – mittlerweile gibtes rund ein Dutzend Bands, die ihr nacheifern.
- Eine KI von Sony produziert Songs vollautomatisch, ebenso wie der berühmte „Watson“ von IBM.
- Watson kann sogar ganze Magazine erstellen – von der Bilderauswahl über die Textanpassung bis zur Seitengestaltung.
Noch erreichen solche KI-Anwendungen keine Perfektion, manche sind aber schon nahe dran. Es ist wohl nur noch eine Frage der Zeit, bis wir Menschen vielleicht keine Unterschiede mehr erkennen können.
Welche Probleme verursacht die Digitalisierung der Medien?
- Medienmacher können sich nicht mehr auf ihr Kerngebiet konzentriere. Aus Autoren wurden Ein-Personen-Produktionsabteilungen. Oft müssen sie sogar mehrere Kanäle wie Webseiten, Videos und Social Media gleichzeitig bedienen. Der Stressfaktor nimmt zu – zudem sinkt häufig die inhaltliche und technische Qualität, weil Layouts, Grafiken und Videos nicht mehr von Leuten produziert werden, die sich damit gut auskennen.
- Gleichzeitig droht die Zahl der ausgebildeten Journalisten zurückzugehen – zum einen durch den Zuwachs von „Hobby-Schreibern“, zum anderen weil KI-Anwendungen mehr und mehr ihre Arbeit übernehmen. Besonders wahrscheinlich ist dies in Themenbereiten, in denen Daten und Zahlen die Hauptrolle spielen, etwa bei den Themen Sport, Wetter und Finanzen.
- Das gigantische Medienangebot reduziert die Bindung zwischen Lesern beziehungsweise Zuschauern und den von ihnen konsumierten Medien. User sind schnell bereit, zu einem anderen Angebot zu wechseln.
- Die Finanzierung von Medien wird zunehmend schwieriger, weil viele User nur noch Gratisangebote konsumieren.
- Digitale Raubkopien sind viel leichter herzustellen als analoge.
- Selbst professionelle Medienmacher beschneiden oft ihre eigentliche Domäne: Fundierte Artikel werden für die Online-Zielgruppe stark verkürzt, eine Art „Häppchen-Journalismus“ tritt an ihre Stelle.
- Das Überangebot und die leichte Nutz- und Erreichbarkeit lösen bei immer mehr Menschen Suchtprobleme aus. Zu diesem Thema hat zum Beispiel 3sat einen 30-minütigen Beitrag mit dem Titel „Fluch und Segen der digitalen Welt“ gesendet:
- Künstliche Intelligenz könnte auch dazu führen, dass die Kreativität insgesamt leidet, weil die Auftraggeber „den Maschinen“ die Arbeit überlassen.
- Fundierte Themenauswahl und Aufbereitung geraten in den Hintergrund – weil Algorithmen bestimmen, welche Entscheidungen getroffen werden.
- Wer die Macht über die Algorithmen besitzt, könnte die Meinungsmacht an sich reißen. Gehört Konzernen wie Google, Facebook & Co. schon bald die „digitale Welt“?
- Durch automatisierte Medienproduktion und -verbreitung wird potenzieller Manipulation Tür und Tor geöffnet. Welche Fotos, Videos und Texte können wir schon heute noch als echt oder unecht erkennen? Wie wird diese Unterscheidung in Zukunft möglich sein?
- Die Realität tritt hinter alternativen Fakten zurück: Je mehr Manipulation erkannt und wahrgenommen wird, desto geringer ist das Vertrauen der Nutzer, das sie Medien allgemein entgegenbringen.
Auch dazu einige Beispiele:
- Eine KI von Nvidia verändert Videoaufnahmen so überzeugend, dass zum Beispiel Licht- und Wetterverhältnisse ins Gegenteil gekehrt werden können. Im Film wird so die Nacht zum Tag und umgekehrt.
- Eine Software von Forschern aus Deutschland, Frankreich und den USA erzeugt Videos mit „gefälschten Gesichtern“, etwa indem Barack Obama oder Theresa May wie fremdgesteuert so reden und aussehen, als hätten sie das Gesagte wirklich ausgesprochen.
- Im britischen Wessex haben Wissenschaftler eine KI entwickelt, die Handschriften auf hohem Niveau nachahmen kann.
- Eine KI von Microsoft schrieb tausende Gedichte so „menschlich“, dass die allermeisten User in Online-Foren von der Echtheit überzeugt waren.
- Noch eine KI von Microsoft, diesmal im Bereich der Kunst: Aus Rembrandts „Künstler-DNA“ errechnet die Künstliche Intelligenz ein „typisches“ Gemälde von ihm, das anschließend in 3D gedruckt werden kann.
In Bezug auf Digitalisierung und Künstliche Intelligenz sieht Medienwissenschaftler Andreas Schümchen, Mitbegründer des Deutschen Preises für Innovationsjournalismus, wiederum auch die Medien in der Pflicht:
„Da sehe ich eine ganz wichtige Kontrollfunktion, eine ‚Wachhund-Funktion‘ der Medien. Sie müssen bellen, wenn eine Entwicklung in die falsche Richtung geht, damit sich eine gesellschaftliche Diskussion darüber entwickelt. Das funktioniert einigermaßen gut bei politischen Entwicklungen – und das muss genauso bei technischen Entwicklungen funktionieren, gerade wenn sie so universell sind wie die Digitalisierung. Die Digitalisierung verändert alles – von Industrie 4.0 bis zum Inhalt unseres Kühlschranks. Diese Tatsache verlangt Medien, die diese Entwicklung kontinuierlich kritisch beobachten.“
„Habe Mut, Dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!“
Vor ziemlich genau vier Jahren hielt Tobias Schmid, der Direktor der Landesanstalt für Medien NRW, einen Vortrag über „Die Folgen der Digitalisierung für die Medienwelt“, der heute aktueller denn je ist. Er schließt mit den Worten:
„Kants Wahlspruch der Aufklärung: ‚Habe Mut, dich deines eigenen Verstandes zu bedienen!‘ Wir müssen nicht unbedingt auf dem Weg in den Totalitarismus sein, aber auf dem Weg in die selbstverschuldete Unmündigkeit sehe ich uns durchaus. Jeder von uns kann aber mit seinem eigenen Verhalten im Netz gegensteuern. Tun Sie das bitte, machen Sie sich schlau!“