Der bisweilen steinige Weg zu All-IP

Die Zukunft der Telekommunikation heißt All-IP. Alle Netzbetreiber haben mittel- oder sogar ziemlich kurzfristig die Strategie, ihre Netze auf ausschließlichen Einsatz des Internet-Protokolls („IP“) umzustellen. Dann werden auch konventionelle Telefongespräche in Form von Internet-Datenpaketen übertragen. Als „Voice-over-IP“ ist das längst bekannt, doch nun soll die IP-Telefonie auch dem klassischen analogen Festnetz und insbesondere dem digitalen Telefonnetz ISDN den Garaus machen.

Marktführer Telekom prescht hier besonders vor. Nutzer von Anschlusskombinationen wie ISDN+(V)DSL oder Analogtelefonie+VDSL sind schon seit einigen Monaten Ziel von Callcenter-Anrufen und Werbebriefen, die zum Umstieg auf einen „IP-basierten Anschluss“ motivieren sollen. Und wer sich – wie der Autor dieses Beitrags – über längere Zeit standhaft weigert, seinen bewährten ISDN-Anschluss aufzugeben, bei dem klingelt schon mal – wie beim Autor dieses Beitrags – ein Telekom-Vertriebsmitarbeiter an der Tür und versucht die Umstellung des Anschlusses im argumentativen Nahkampf durchzusetzen. Als Ultima Ratio drohe die Zwangskündigung des vorhandenen Anschlusses durch den Anbieter, so der an sich freundliche Herr mit dem Telekom-Badge am Revers.

Doch warum die Eile? Was steckt hinter dieser Vertriebs- und Technikmodernisierungs-Offensive, bei der zumindest der Verdacht naheliegt, dass die Vorteile eher auf Seite des Anbieters als auf der des Kunden liegen könnten?

Tatsächlich gibt es mehrere Gründe, warum die Telekom die aus ihrer Sicht veralteten ISDN-Anschlüsse und VDSL-Kombinationen mit Analog- oder Digital-Telefonie möglichst schnell loswerden möchte. Erstens: IP-Telefonie ist die Zukunft – nicht zuletzt weil sie den Netzbetrieb deutlich billiger macht als die Vorgängertechniken „POTS“ (englischer Fachslang für „Plain Old Telephon System“, also Analog-Telefonanschluss) oder ISDN. Zweitens: Die Telekom möchte dort, wo sie heute VDSL anbietet, möglichst schnell den Datenratenturbo „Vectoring“ anbieten. Der verspricht Datenraten bis zu 100 MBit/s – funktioniert aber nur, wenn die gesamte Bandbreite der Leitung für die VDSL-Signale zur Verfügung steht. Analogtelefonie oder ISDN, die bislang den unteren Frequenzbereich auf der Kupferdoppelader belegen, stören dabei. Drittens: Die in den Vermittlungsstellen verbaute ISDN-Technik ist etwa 20 Jahre alt, und die Telekom argumentiert, dass Ersatzteile dafür zunehmend schwieriger zu bekommen sind.

Wie lassen sich vorhandene Geräte weiter nutzen?

Was bedeutet so eine Umstellung nun für den betroffenen Kunden? Das hängt stark davon ab, welche Technik er bislang bei sich einsetzt:

Auch die Fritzboxen 7390 und 7490 von AVM sind für All-IP-Anschlüsse gerüstet –  und bieten für vorhandene ISDN-Geräte sogar einen internen S0-Bus.
Auch die Fritzboxen 7390 und 7490 von AVM sind für All-IP-Anschlüsse gerüstet –  und bieten für vorhandene ISDN-Geräte sogar einen internen S0-Bus.

Router: Wer einen modernen Telekom-Router wie die Modelle Speedport W724V oder W921V besitzt, ist für die Umstellung grundsätzlich gut gerüstet. Auch auf dem freien Markt erhältliche Router wie die Fritzboxen 7390 und 7490 von AVM oder die bauähnlichen 1&1 Homeserver kommen mit dem reinen „IP-basierten Anschluss“ problemlos zurecht. Im Wesentlichen muss die Verkabelung so geändert werden, dass der DSL-Router direkt an der Telefonleitung angeschlossen wird – der bisher übliche Splitter ist nicht mehr erforderlich und muss bei All-IP sogar unbedingt aus dem Signalweg entfernt werden.

Telefone: Vorhandene analoge Telefone, egal ob schnurgebunden oder schnurlos, werden nun an der Telefonbuchse des Routers angeschlossen und telefonieren dann künftig einfach via IP. Auch ISDN-Telefone lassen sich grundsätzlich weiterverwenden – allerdings setzt dies voraus, dass der Router auch eine ISDN-Buchse – eine sogenannte S0-Schnittstelle – besitzt. Bei den Telekom-Routern erfüllt dies derzeit nur der W921V. AVMs Fritzboxen und deren 1&1-Derivate können es ebenfalls. Weil der von der Telekom derzeit bevorzugt angebotene Router W721V keine S0-Buchse besitzt, gibt es bei der Telekom Überlegungen, dafür künftig einen externen ISDN-Adapter anzubieten.

Faxgeräte: Grundsätzlich lassen sich auch Faxe via IP übertragen. Allerdings funktioniert dies nur, wenn das Fax an einem analogen Anschluss des Routers hängt. Faxgeräte, die bislang an einem ISDN-Adapter betrieben wurden, müssen entsprechend umverkabelt und umprogrammiert werden. Denn die Wandlung Fax-ISDN-IP-Analog-Fax führt bei der Übertragung von Fernkopien zu Problemen. Außerdem kann es sinnvoll sein, die maximale Übertragungsrate am Faxgerät gezielt auf einen niedrigeren Wert wie 14400 Bit/s oder 9600 Bit/s herunterzuschalten.

Spezialitäten: Die meisten Probleme entstehen bei Spezialgeräten, die bislang auf ISDN angewiesen waren. Zum Beispiel ISDN-basierte Hausnotrufsysteme oder Alarmanlagen. Oder die im Handel verbreiteten EC-Kartenterminals mit ISDN-Übertragung. Sie lassen sich nicht ohne weiteres an IP-Anschlüssen betrieben. In vielen Fällen muss die vorhandene ISDN-Technik durch eine neuere, IP-kompatible Variante ersetzt werden.

Nachteile der IP-Technik

Vor allem auf den zuletzt angesprochenen Aspekt konzentriert sich die Kritik an der von der Telekom vorangetriebenen Zwangsumstellung: Denn gegenüber den bislang üblichen Analog- oder auch ISDN-Anschlüssen hat die IP-Technik eine Reihe von systembedingten Nachteilen:

Keine Notspeisung: Klassische Telefonanschlüsse lieferten die Stromversorgung für Telefone über ihre eigenen Kupferadern. Das Telefon blieb einsatzfähig, auch wenn die Stromversorgung im Haus ausgefallen ist. Bei ISDN ließ sich diese Sicherheit zumindest noch erreichen, wenn man ein „notspeisungsfähiges“ ISDN-Telefon beziehungsweise ISDN-Modem verwendete. Stromausfall im IP-Zeitalter heißt, dass der Router ausfällt – und damit auch die daran angeschlossenen Telefone.

Ausfallsicherheit: Auch bei einem Ausfall der DSL-Komponente blieb der analoge oder ISDN-Telefonanschluss in den meisten Fällen noch betriebsbereit. Auch dies ist bei der IP-Technik nicht mehr der Fall.

Sprachqualität: Voice-over-IP hat in puncto Sprachqualität keinen allzu guten Ruf. Allerdings muss man fairerweise anmerken, dass sich dieser Wert in den letzten Jahren deutlich verbessert hat. Dennoch bleibt ein prinzipbedingtes Problem: Gerade bei ISDN hatten die Sprachkanäle eine fest zugewiesene Bandbreite – die Qualität war im wesentlichen immer gleich. Bei IP-Technik ändert sich der Datendurchsatz abhängig davon, wie viele Datenpakete noch gleichzeitig über dieselbe Leitung wandern. Bei starker Auslastung der Leitung, insbesondere bei nicht allzu schnellen DSL-Anschlüssen, kann die Sprachqualität hörbar leiden.

Zuverlässigkeit: Auch die Anzahl nicht zustande kommender Verbindungen ist bei IP-Telefonie höher als bei ISDN und Analoganschlüssen. Allerdings liegt dieser Wert insgesamt auf geringem Niveau – auch per IP werden deutlich über 99 Prozent der Wählverbindungen problemlos durchgestellt.

Vorteile der IP-Technik

Immerhin – neben den aufgezählten Nachteilen bringt die IP-Technik auch Vorteile:

Schnurlose Telefone mit dem Logo "CAT-iq" sind für HD-Telefonie grundsätzlich vorbereitet.
Schnurlose Telefone mit dem Logo „CAT-iq“ sind für HD-Telefonie grundsätzlich vorbereitet.

HD-Telefonie: Die variable Bandbreite von IP-Verbindungen kann auch genutzt werden, um Telefonate in besserer Sprachqualität zu führen. Diese Technik nennt sich „HD-Telefonie“ und verspricht natürlicheren Klang als bisherige Telefongespräche. Allerdings müssen für „HD-Voice“ mehrere Voraussetzungen erfüllt sein: Beide Teilnehmer brauchen HD-taugliche Endgeräte – zum Beispiel Schnurlostelefone, die den Standard CAT-iq unterstützen. Basisstation und Router müssen HD-Voice ebenfalls unterstützen. Und beide Teilnehmer müssen beim gleichen Telefonnetzbetreiber angemeldet sein.

Mehrere Sprachkanäle: Über eine Analogleitung ließ sich genau ein Gespräch führen, ISDN erlaubte zwei parallele Verbindungen. Per IP lassen sich theoretisch auch drei oder mehr gleichzeitige Telefongespräche führen – interessant zum Beispiel für Familien oder kleine Bürogemeinschaften. Allerdings setzen Schnurlos-Basisstationen und Router hier meist Grenzen – sowie natürlich die am DSL-Anschluss verfügbare Bandbreite beziehungsweise Datenrate.

Kosten: Dass die All-IP-Technik im Betrieb deutlich billiger als die bisherige Telefonvermittlungstechnik ist, sollten Netzbetreiber zumindest in Form kleiner Preissenkungen zum Teil an ihre Kunden weitergeben. Die Telekom versüßt ihre derzeitigen Wechselangebote mit Aktionsrabatten in der Größenordnung von 5 Euro pro Monat. Ob und wie viel der Kunde unterm Strich tatsächlich sparen kann, hängt aber auch davon ab, welchen Tarif und welche Dienste er bislang abonniert hatte.

Und wie geht’s jetzt weiter?

Aus den eingangs genannten Gründen können sich selbst überzeugte ISDN-Nutzer und –Fans wohl nicht mehr allzu lange gegen die Zwangsumstellung auf All-IP wehren. Beachten Sie die voranstehend genannten Punkte und bereiten Sie die Umstellung sorgfältig vor, um am Tag X nicht ohne Telefonanschluss und vielleicht sogar ohne Internet dazustehen. Technisch weniger versierten Kunden bietet die Telekom auch ausführlichere Beratung oder Support durch einen Kundendienst-Techniker vor Ort an. Einige weiterführende Informationen habe ich außerdem im diesem Beitrag für die Zeitschrift connect zusammengestellt. Wer darüber hinaus noch weitere Fragen hat, ist sehr willkommen, die auch unten bei den Antworten zu diesem Beitrag zu stellen – ich werde mich bemühen, sie zeitnah zu beantworten.

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