Welche Rose ist die kühlste? Ist mein Container schon durch den Zoll? Und: Was bringt eigentlich 5G? Über Supply Chain Visibility beziehungsweise die Transparenz in der Logistikkette sprachen Florence Delalande Henrichs, Head of Business Unit Rail, Traxens, und Rainer Liebhart, Director Transport/Logistics, Lufthansa Industry Solutions, mit Christian Spanik beim Bühnenmagazin der Intelligenten Welt auf der transport logistic 2017.
Sehen Sie im Folgenden den Talk im ca. 16-minütigen Video oder lesen Sie die Zusammenfassung im Artikel.
Treiber für Supply Chain Visibility
Aus Rainer Liebharts Sicht ist der größte Treiber für Supply Chain Visibility die Erwartungshaltung des Kunden. Dabei gebe es eine Kluft zwischen dem B2C- und dem B2B-Bereich – also dem Erlebnis von Privatkunden in Sachen Service-Innovation, Geschwindigkeit oder Flexibilität im Vergleich zu Enterprise-Kunden. Amazon, Apple und Co. zeigen wie es geht. Durch diesen Trend im Consumer Markt wird auch der Umsetzungsdruck gewaltig, Flexibilität in die Supply Chain im B2B-Umfeld zu bringen. Liebhart sieht darin eine gute Entwicklung für die Branche, die in der Logistik die nächsten großen Schritte einleiten werde.
Container-Tracking
Erst in den vergangenen Jahren ist die Container-Industrie auf den Digital-Zug aufgesprungen. Während die Reedereien viel in Technologie investierten, um ihr Geschäft zu optimieren und besser zu organisieren, wurde der Multimodal-Container bei der Digitalisierung-Revolution zunächst außen vor gelassen. Laut Florence Delalande lag die Ursache nicht nur in den Kosten. Sie sieht zwei Haupt-Gründe: Zum Teil wurde höherer Effizienz im Container-Transport durch den Einsatz immer größerer Schiffe erreicht. Doch diese Strategie scheint ihre Grenze erreicht zu haben – größer geht nun nicht mehr. Zum anderen, und das sei noch wichtiger, hat Container-Tracking offenbar niemand richtig versucht. Heute allerdings reicht es nicht mehr aus, nur das Schiff als Ganzes zu tracken. Doch wie schafft man hier die Balance zwischen Nutzen und Kosten?
Um ein Permanent-System zu installieren, das alle Container jederzeit verfolgen kann, braucht es laut Delalande bahnbrechende Technologie, um die niedrigstmöglichen operativen Kosten sicherzustellen. Ein Haupt-Kostenfaktor sei der Stromverbrauch des Senders. Batterien zu laden oder zu wechseln würde so viel kosten wie das Gerät selbst. Die Firma Traxens hat ein spezielles Netzwerk entwickelt, um den Stromverbrauch zu optimieren. Die Idee dahinter: Container reisen nie allein. Sie stehen immer nebeneinander. Der Container mit der besten Satelliten-Verbindung und der höchsten Batterie-Lebensdauer wird als Kopf des Clusters genutzt. Er kann dann seine Netzverbindung teilen. So lässt sich der Stromverbrauch niedrig halten.
Transparenz in der Supply Chain
Laut Rainer Liebhart sind Daten der Schlüsselfaktor für Transparenz in der Supply Chain. Dabei handelt sich um riesige Mengen wie etwa Stammdaten, Inventory-Daten der einzelnen Zuliefer-Gesellschaften, Transportdaten und Container-Daten. „Ein wesentlicher Erfolgsfaktor aus meiner Sicht ist einfach, die Daten zu erheben“, erklärt Liebhart: „Wir haben Geodaten-Zugriffe. Wir haben politische Daten. Wir haben eigentlich alle Daten, die wir brauchen. Der entscheidende Faktor ist, diese in eine auswertbare Qualität zu bekommen und diese Daten dann letztendlich auch in unsere Systeme zu integrieren, um daraus dann die richtigen Schlüsse für die weiteren Vorgehensweisen zu finden.“
Vorteil Satellitensystem Galileo
Für Florence Delalande ist das europäische Satellitensystem Galileo besonders relevant für die erhöhte Genauigkeit des Systems. Es erlaubt etwa zu bestimmen, auf welcher Seite eines Zauns sich ein Container befindet. So kann man erkennen, ob ein Container bereits durch den Zoll ist oder nicht. Auch für die Bahn bestehen Möglichkeiten, diese Genauigkeit zu nutzen – etwa für die Reihung der Wagen. Oder um genau wissen, wann sich ein Zug am richtigen Standort befindet. Die Schienen sind manchmal nur ein paar Meter voneinander entfernt. GPS reicht dann nicht mehr aus, um zu bestimmen, wo der Zug genau steht. In solchen Fällen macht Galileo einen Riesenunterschied.
Prädiktion und Mustererkennung
Bei der Frage, wie Technologie helfen kann, erfolgreicher zu sein, nennt Rainer Liebhart die Themen Prädiktion und Mustererkennung. Er nennt dazu ein Beispiel aus dem eigenen Konzerngeschäft: „Das Schlimmste für ein Flugzeug ist, wenn es auf dem Boden steht. Das heißt, das größere Ziel von uns als Lufthansa-Technik ist es, die Flugzeuge in die Luft zu bringen – und damit verbunden das Thema Maintenance. Vorauszuschauen, wann wird denn welches Teil im Flugzeug vermutlich kaputt gehen, um daraus Schlüsse zu ziehen: Wo müssen wir am intelligentesten die Teile hinliefern, um sie sehr schnell auszuwechseln.“
Für einen deutschen Ingenieur sei es allerdings schwierig, ein Teil auszubauen, das noch gar nicht defekt ist. Wenn aber klar ist, dass es in den nächsten 1000 Flugmeilen kaputtgehen wird, und sich das Flugzeug dann an einem Ort befindet, an dem sich weder eine geeignete Werkstatt noch das benötigte Teil befindet, muss die entsprechende Flexibilität in die Supply Chain integriert werden. „Das heißt, wir müssen in sehr kurzer Zeit diese Teile auch dorthin liefern, wo wir sie brauchen.“ Mittelfristig könne das bedeuten, dass Fluggesellschaften keine Flugzeuge mehr kaufen, sondern Flugzeit. Also den Service statt der Maschine. Die Maintenance wird dann zum Problem des Herstellers.
Transparenz – Vorteil für Frachtbesitzer
Obwohl man von vielen verschiedenen Akteuren der Logistikkette Daten erhält, sind diese laut Florence Delalande nicht in ausreichender Qualität und Menge vorhanden, um die Optimierung einer globalen Logistikkette zu verbessern. Gerade multimodale Container seien bisher ein schwarzes Loch. Durch Informationen, die direkt aus dem Container kommen, können nun zum ersten Mal die Frachtbesitzer unabhängig von den Transportunternehmen direkt Position und Zustand ihrer Ware verfolgen.
Transparenz – Risiko oder Möglichkeit?
Doch wie gefährlich ist diese Transparenz und Visibilität bis zum Container für ein Geschäftsmodell? Wo befindet sich mein Container – das ist vielleicht gar nicht die Frage, um die es wirklich geht.
Liebhart erklärt: „Was wir damit noch nicht wissen ist: In welchem Zustand ist denn die Ware, die in meinem Container drin ist?“ Rosen, Medikamente, aber auch Lebensmittel sind Beispiele, deren Zustand mit der zur Verfügung stehenden Technologie auch innerhalb eines Containers geprüft werden kann. „Da gibt es verschiedene Kühl-Bereiche. Wenn eine Rose direkt unter dem Kühlauslass steht, dann hat sie eine ganz andere Qualität als die, die ganz vorne steht. Und daraus können wir über Sensorik auch Informationen erzeugen, die uns dann sagen, in welchem Zustand welcher Bereich im Container ist. Was uns dann wieder hilft, zu bestimmen, was wir als erstes verkaufen müssen. First expired, first out“, so Liebhart. Anhand dieses Beispiels unterstreicht er, dass die Chance, auf Basis der Informationen besser zu agieren, klar die möglichen Risiken überwiegt.
Relevanz von 5G
Auch 5G war Thema der Talkrunde. Eine Technologie, die deutlich mehr bietet als nur ein schnelles Netz. Wie wichtig wird die 5G-Technologie in der Branche angesehen, wollte Christian Spanik wissen.
Rainer Liebhart denkt, dass sich 5G zur Schlüsseltechnologie für die Geschwindigkeit von Sensoren im Bereich IoT entwickeln kann: „Deswegen beobachten wir ganz genau, was da momentan passiert. Wir beteiligen uns auch in kleineren Bereichen, um prototypische Entwicklungen im Bereich 5G voranzutreiben.“ Er sieht 5G als wichtige Grundlage, um große Datenmengen in Realtime zu verteilen und zu nutzen.
Florence Delalande sieht zwar den Energieverbrauch als Vorteil, mehr noch jedoch die globale Abdeckung des Systems und seine geringen Betriebskosten. Die von ihrem Unternehmen Traxens angebotene Lösung mit den zusammenarbeitenden Containern könnte sehr schnell schon 5G profitieren. Denn sobald einer der Container mit 5G ausgestattet sei, könnten alle Container in seiner Nähe diese Technologie sofort mit nutzen.
Weitere Vorträge von der transport logistic 2017:
- Dr. Christian Grotemeier, BVL: Trends & Strategien in der Logistik – die Highlights der BVL-Studie 2017
- Claudia Steen, Toll Collect: Die Ausweitung der deutschen LKW-Maut auf 40.000 km Bundesstraße
- Thomas Becker, BearingPoint: Supply Chain digital – Transportmanagement-System wird zur 360-Grad-Informationsdrehscheibe