Schuhe, Rucksäcke, Bäume, Lichtschalter – überall im Alltag verstecken sich alternative Energiequellen, die schon jetzt Kleinstgeräte betreiben können, später vielleicht sogar größere. Forscher in aller Welt tüfteln am „Energy Harvesting“, bei dem elektrische Energie aus der direkten Umgebung eines Gerätes erzeugt wird. Gerade für das Internet der Dinge mit seinen Milliarden von kleinen Datensammlern wäre das Prinzip die ideale Lösung.
Aufmacherbild: (C) by Lance Cpl. Kathy Nunez – https://www.dvidshub.net/image/1340025, Public Domain, https://commons.wikimedia.org/w/index.php?curid=39293425
„Es gibt eine riesige Menge kinetischer Energie durch Bewegungen, die sonst verloren geht. Wir wollen etwas von dieser Energie zurückgewinnen und nutzen.“
… sagt Ryan Harne vom Laboratory of Sound and Vibration Research (LSVR) der Universität Columbus in Ohio. Energie durch Bewegungen – das klingt erstmal nicht bahnbrechend. Aber wenn Bewegungen so minimal sind, dass man sie gar nicht sehen kann, und trotzdem Strom in nennenswerter Menge erzeugen, dann darf man hellhörig werden. Denn mit dem so gewonnenen Strom lassen mit dem sich zum Beispiel Sensoren autark betreiben. Ganz ohne den überholten Klassiker Batterien.
Tatsächlich hat das Forscherteam um Ryan Harpe zum Test seiner Theorie erfolgreich einen künstlichen Baum entwickelt, der Schwingungen durch Wind in elektrischen Strom wandelt. Seine Äste sind dazu mit Streifen aus einem speziellen Kunststoff verbunden. Der dabei entstehende piezoelektrische Effekt ist zwar nicht wirklich neu, aber Umgebungsschwingungen galten bisher als „zu zufällig“ und für die Energieerzeugung eher unbrauchbar. Nach den Tests der US-Forscher behalten Bäume jedoch eine stabile Grundschwingung bei.
Natürlich sind von Bäumen keine immensen Stromausbeuten zu erwarten, doch immerhin reicht die Spannung zum Beispiel für Messsensoren aus. Selbst Gebäude weisen fast immer minimale Bewegungen auf und könnten eines Tages vielleicht ihre eigenen Überwachungssensoren speisen. Mit Strom, der erzeugt wird durch die Bewegungsenergie des Windes oder auch durch die Vibration von Autos, die über Brücken fahren.
Strom für 26 Milliarden kleine Datensammler im Jahr 2020
Alle vernetzten Geräte brauchen Energie für Messungen und Datenübermittlung, wie klein sie auch sein mögen. Und davon gibt es immer mehr. Sagenhafte 26 Milliarden Kleinstgeräte, so schätzen Analysten, sollen schon in vier Jahren (!) auf der ganzen Welt im Einsatz sein. Diese Menge komplett mit Batterien zu versorgen, macht wenig Sinn, nicht nur aus Umweltschutzgründen. Denn irgendwann muss jede Batterie ausgetauscht werden – was mit erheblichem logistischem und finanziellem Aufwand verbunden wäre.
Mit Energy Harvesting dagegen „ernten“ die vernetzten Geräte die notwendige Energie direkt aus ihrer Umgebung. Die Triebkraft dafür können nicht nur Vibrationen sein, sondern auch Temperaturunterschiede, Hochfrequenz, Luftströmungen und mechanische Energie. Eine umfangreiche Übersicht nutzbarer Techniken für Energy Harvesting (Screenshot unten) findet sich auf der privaten Webseite von Prof. Dr.-Ing. Jürgen Schwager.
Energy Harvesting in der Praxis: Von Schuhsohlen bis zum Minikraftwerk
Schuhsohlen (unser Titelbild: stromerzeugende Stiefel!) wandeln mechanische Energie in Elektrizität um: Ein Verfahren namens „reverse elektrowetting“ bringe bis zu 1000 Watt Leistung pro Quadratmeter, sagen Forscher im Fachmagazin „Nature Communications“. Um ein Handy aufzuladen, würde ein normaler Spaziergang ausreichen.
Wenn Fußgänger über Bürgersteige laufen, können spezielle Bodenplatten die Energie „auffangen“ und zum Beispiel zur Beleuchtung der Straße einsetzen. In Frankreich gibt es dazu das Projekt „Trott Elec“ (Trottoir électrique – elektrischer Bürgersteig), das in diesem rund dreiminütigen Video vorgestellt wird:
In der Einleitung erwähnten wir Rucksäcke: Ein an der Universität Philadelphia (Pennsylvania) entwickelter Prototyp erzeugt Energie zum Aufladen eines Handys während der Auf-und-Ab-Bewegungen durch den Träger.
Der Klassiker sind Armbanduhren und Taschenlampen, die durch die Bewegung des Handgelenks angetrieben werden.
Ähnlich funktioniert ein Handy-Akku-System, für das Nokia schon vor sechs Jahren ein Patent angemeldet hat. Beweglich gelagerte Komponenten und piezoelektrische Materialien wandeln die Bewegungsenergie in Strom um. Der Handy-Nutzer braucht das Gerät also nur bei sich zu tragen, damit Energie an einen Kondensator abgegeben wird. Der wiederum lädt dann den Akku auf.
Oder der Stromerzeuger wird gleich ausgelagert: Forscher von der Chinesischen Akademie der Wissenschaften Peking präsentierten in der Fachzeitschrift „Advanced Energy Materials“ ein kleines Kraftwerk, das bei Bewegungen elektrostatische Ladungen erzeugt. Eingebaut in handgroße Kugeln, können die Module Handys, Kameras & Co. auch dort mit Strom versorgen, wo es keine Steckdosen gibt.
Energy Harvesting in der Praxis: WLAN, Tastatur und Display
Dass WLAN-Router elektromagnetische Wellen aussenden, ist bekannt – und „praktisch“ für US-Wissenschaftler der Universität des US-Bundesstaats Washington in Seattle. Sie haben einen Router so angepasst, dass er Sensoren drahtlos mit Strom versorgt. Das Verfahren trägt den Namen „Power over WiFi“.
Apropos elektromagnetische Wellen: Ein 13-jähriger Tüftler ist seit diesem Frühjahr ein Medienstar, weil er für nur 14 Dollar ein Gerät gebaut hat, das sich quasi durch Funkwellen ernährt und beispielsweise einen LED-Lichtschlauch zum Leuchten bringt. Das folgende knapp dreiminütige Video berichtet über seine Erfindung:
Eine weitere Anwendung kommt von Wissenschaftlern des City College of New York, die bereits einen Prototyp vorgeführt haben: Tragflächen eines Flugzeugs oder Bauteile von Autos erzeugen Strom über piezoelektrische Fasern während des Fluges oder der Fahrt. Vibrationen wiederum nutzen amerikanische und chinesische Forscher. Sie haben ein Material entwickelt, über das elektronische Geräte während der Autofahrt geladen werden können.
Und die Bewegungsenergie von Autos nutzt eine Drive-in-Filiale von Burger King in den USA, um einen Teil seiner Beleuchtung zu speisen: Beim Pilotprojekt „Motion Power“ erprobt die Burger-King-Filiale Hillside im US-Bundesstaat New Jersey, ob das eingesetzte Energy-Harvesting-System über einen längeren Zeitraum zuverlässig arbeitet.
Täglich wird in Millionen Büros an der Tastatur gearbeitet – diese „Tipp-Energie“ kann durch Energy Harvesting aufgefangen werden. Forscher der australischen Firma Mouser Electronics haben ein Verfahren entwickelt, um die dazu erforderlichen piezoelektrischen Dünnfilmgeneratoren günstig herzustellen.
Ebenso ließe sich das Wischen über Displays von Laptop, Handy, oder Tablet zur Stromerzeugung nutzen. Forscher am Georgia Institute of Technology haben dazu einen durchsichtigen Generator entwickelt, der durch Reibung mechanische in elektrische Energie umwandelt.
Energy Harvesting in der Praxis: überall erzeugen Bewegungen Strom
Während des Musikfestivals „Bestival“ auf der Isle of Wight konnten Besucher bereits 2011 Schlafsäcke und Hosen testen, die Körperwärme in Strom umwandeln, der dann zum Laden von Handys genutzt wird. Schon damals waren nach einer Nacht einige Minuten Sprechzeit möglich.
Das an der Wake Forest University, North Carolina, entwickelte Material „Power Felt“ nutzt Temperaturunterschiede beim Tragen von Kleidung, um Strom zu erzeugen.
Ein Kinderwagen der US-Firma 4moms hat kleine Stromgeneratoren in den Rädern eingebaut – diese betreiben ein Fahrlicht und laden Smartphones auf.
Leuchtdioden können übrigens nicht nur Licht aussenden, sondern auch empfangen. Hier setzt die Schweizer ZHAW School of Engineering in Zürich an: Wenn LEDs Licht „einfangen“, fließt minimale Energie. Sie würde laut den Forschern für viele Anwendungszwecke ausreichen. Vorteil gegenüber Solarzellen: LEDs werden in gigantischen Mengen produziert und sind im Vergleich weitaus günstiger.
Auch in Deutschland wird viel an Energy Harvesting geforscht
Ganz nah an uns „dran“ sitzt eine Energiequelle, die Chemnitzer Forscher nutzen wollen: Kieferbewegungen wandeln mechanische in elektrische Energie, die Hörgeräte mit Strom versorgen soll.
Automobilzulieferer ZF in Friedrichshafen hat einen kleinen Schalter entwickelt, der das Generatorprinzip nutzt. Beim Auslösen des Schalters bewegt sich ein Magnet in einer Spule, aus mechanischer Energie wird elektrische. Das reicht für ein Funksignal aus, das kurze Botschaften überträgt.
Am Karlsruher Institut für Technologie, Fachbereich Mikrostrukturtechnik (IMT), wird an Energy-Harvesting-Systemen geforscht, die auf magnetischen Formgedächtnislegierungen basieren. Sie nutzen die Schwingungsenergie oder Abwärme ihrer Umgebung.
Auf induktive, kapazitive und piezoelektrische Generatoren, die ebenfalls Schwingungen nutzen, hat sich das Institut für Mikrosystemtechnik (IMTEK) der Universität Freiburg spezialisiert. Entwickelt werden Schaltungstechniken für niedrigste Versorgungsspannungen und Leistungen.
Ebenfalls in Freiburg arbeiten aktuell 21 Stipendiaten im Forschungscluster „GRK Micro Energy Harvesting“ an Strategien zur Energiewandlung, Energiespeicherung und zum Energiemanagement. Im Fokus stehen Technologien, die Energie aus Licht, Wärme, Bewegung und chemischer Energie in der lokalen Umgebung eines Sensorknotens „ernten“ und in elektrische Energie umwandeln.
Veranstaltungstipp für Forscher: „Energy Harvesting Systems“
Am 26. und 27. September 2016 lädt das Dresdner Fraunhofer-Institut für Werkstoff- und Strahltechnik (IWS) zu einem Workshop ein. „Energy Harvesting Systems – FlexTEG 2016“ konzentriert sich auf alle Aspekte der Energiegewinnung, setzt aber einen Schwerpunkt auf tragbare Anwendungen.
Zum Stichwort Energy Harvesting habe ich einen spannenden Tipp – und zwar das Startup otego, dass es gerade unter die Finalisten im CODE_n Wettbewerb geschafft hat. Ziel von otego ist die Produktionsautomatisierung von gedruckten, thermoelektrischen Generatoren zur Energieerzeugung aus Wärme. Die elektrischen Schaltungen werden bereits heute auf ultradünne Folien gedruckt. Ein technologischer Durchbruch? Ja, denn Wärme gibt es überall – oft sogar viel mehr als eigentlich benötigt wird – das Startup macht daraus Strom. Weitere Einblicke gibt’s hier im Interview mit otego Gründer Frederick Lessmann: http://www.ideenwerkbw.de/otego-smarte-energieernte/
Danke Anja, für den Hinweis. CODE_n haben wir eh auf dem Radar und wir werden uns das natürlich anschauen!