Blockchain ist eine Technologie, die durch Krypto-Algorithmen digitales Vertrauen schaffen will.

Blockchain – programmiertes Vertrauen

Gastautor: Frank Bolten, CHAINSTEP

Aufmacherbild: (C) Robert Bagnall via YouTube

Digitale Werte direkt – also ohne Nutzung einer zwischengeschalteten Instanz wie einer Bank – an einen beliebigen Ort auf der Welt übermitteln. Die Echtheit eines Diamanten und die bisherigen Besitzer zweifelsfrei nachvollziehen können. Sicherstellen, dass ein lebenswichtiges Medikament echt ist und keine Fälschung. Auf einem Privathaus erzeugte, überschüssige Solarenergie automatisch an den meistbietenden Abnehmer in der Nachbarschaft verkaufen. Dies und vieles mehr sind Anwendungen der Blockchain-Technologie, die derzeit in aller Munde ist.

Das Prinzip hinter Blockchain: Transaktionen werden lückenlos, sauber hintereinander aufgelistet – quasi in einer Kette. Jede Transaktion wird mit einem Zeitstempel versehen und durch kryptologische Verfahren abgesichert. Dabei liegen diese Datenketten identisch auf einer Vielzahl von dezentralen Rechnersystemen, was Fälschungen quasi unmöglich macht.

Dieses ausgeklügelte Prinzip macht die Blockchain-Technologie zu einem leistungsfähigen Werkzeug in einer Vielzahl von Einsatzszenarien – von Anwendungen im Finanz- und Buchhaltungsbereich über Registrierungen aller Art (etwa Geburtsurkunden, Grundstückregister, Wahlberechtigungen etc.), im Vertragsbereich (auch über mehrere Parteien hinweg), bei Versicherungen, im Gesundheitswesen, im Bildungswesen, bei Lieferketten bis hin zum „Internet der Dinge“.

Ende Oktober 2015 titelte The Economist: „The trust machine"

Ende Oktober 2015 titelte The Economist: „The trust machine“ und brachte damit ein wesentliches Ziel der Blockchain-Technologie auf den Punkt: Gewährleisten von Vertrauen.

Der Zeitpunkt, zu dem diese Titelstory veröffentlicht wurde, belegt das nahezu explosionsartig gewachsene Interesse an der Blockchain-Technologie. Innerhalb eines Jahres hat sich beispielsweise die Zahl der Google-Suchanfragen nach dem Begriff „Blockchain“ mehr als vervierfacht:

Von Mitte 2015 bis Mitte 2016 hat sich die Anzahl der Google-Suchanfragen nach dem Begriff "Blockchain" mehr als vervierfacht.

Warum ist das Interesse an dieser Technologie in den letzten Monaten so stark angestiegen? Und ist es wirklich gerechtfertigt?

Wie funktioniert die Blockchain-Technologie?

Zum Verständnis der Technologie und der Entwicklung in den letzten Jahren hilft ein genauerer Blick auf die Grundlagen der Kryptowährung „Bitcoin“. Das Konzept von Bitcoin wurde im Jahr 2008 in einem Whitepaper vorgestellt, am 3. Januar 2009 wurden die ersten 50 Bitcoin „geschöpft“. In dem Whitepaper wurde das Ziel erläutert: die Übertragung einer dezentralen digitalen Währung direkt, also ohne die Nutzung eines „Mittelmannes“ (auch „Intermediär“ genannt), von einem Internetnutzer zum anderen, zu ermöglichen. Werte sollen überwiesen werden können, ohne eine Instanz wie eine Bank dazwischenzuschalten.

Das normale Internet-Protokoll stößt bei dieser Aufgabe an seine Grenzen. Denn wenn A an B einen Datensatz (Text, Bild, Musikdatei oder Ähnliches) über das Internet-Protokoll verschickt, dann verfügen anschließend beide (also A und B) über eine identische Kopie dieser Datei. Für eine eindeutige und verbindliche Übertragung eines wie auch immer gearteten Wertes (auch wenn dieser „nur“ ein Datensatz ist) taugt dieses Konzept daher nicht. Es wird also eine Alternative benötigt.

Eine geeignete Lösung entwickelte eine bisher nicht zweifelsfrei identifizierte Person beziehungsweise Personengruppe, die unter dem Pseudonym Satoshi Nakamoto auftrat – nämlich Bitcoin. Die Grundidee hinter dieser digitalen Währung ist ein „Peer-to-Peer-Dateisystem“, bei dem alle Transaktionen in einer Art verteiltem Hauptbuch auf allen Knotenpunkten (Computern) des Peer-to-Peer-Netzwerkes identisch chronologisch archiviert und in Klarschrift lesbar sind. In diesem Hauptbuch ist jederzeit eindeutig nachlesbar, wann wer (beziehungsweise welche anonyme Adresse) an wen (beziehungsweise an welche andere anonyme Adresse) welchen Bitcoin-Betrag übertragen hat. Das folgende 100-Sekunden-Video erklärt das Prinzip:

Um dieses Verfahren wirklich fälschungssicher zu machen, besitzt es eine geniale, vielschichtige Architektur: Wird eine Bitcoin-Transaktion veranlasst (A möchte an B x Bitcoin übertragen), so wird diese neben anderen Transaktionen zur Verifizierung in einen „Block“ abgelegt. Die Inhalte des Blocks werden mittels Kryptologie gegen Zugriffe geschützt und durch so genannte „Miner“ (am Netzwerk beteiligte Knotenpunkte/Rechnereinheiten) über komplexe mathematische Verfahren auf Echtheit überprüft. So wird beispielsweise sichergestellt, dass der „Sender“ der Bitcoin zum Zeitpunkt der Transaktion auch tatsächlich im Besitz der Bitcoin ist, um ein „double spending“ (also eine mehrmalige Überweisung ein und desselben Bitcoins an verschiedene Adressen) auszuschließen. Hierbei ist eine Vielzahl von Minern aktiv – und erst wenn die Mehrheit der Miner die jeweilige Verifizierung bestätigt hat, erlangt der Block und damit die darin enthaltenen Transaktionen Gültigkeit.

Jeder neu bestätigte Block wird als eine Art Kettenglied an den direkt zuvor bestätigten Block angehängt – so erklärt sich auch der Name Blockchain (von englisch „chain“, deutsch: Kette). Genau die Kombination der Bestätigung von Echtheit beziehungsweise Gültigkeit eines Blocks durch die Mehrzahl der Miner sowie das chronologische Aneinanderketten der Blöcke ist die Grundlage für die Sicherheit der Daten. Tatsächlich ist es in sieben Jahren noch niemandem gelungen, bei der Bitcoin-Blockchain, Transaktionen im Nachhinein zu verändern.

Bei der Bitcoin-Blockchain wird eine offene oder „public“ Blockchain genutzt. Prinzipiell hat jeder die Möglichkeit, als Miner an dieser Blockchain teilzunehmen – was dazu führt, dass es bei diesem Blockchain-Typ es eine sehr große Zahl von Minern gibt. Dieser Prozess macht die Blockchain-Technologie enorm sicher.

Um einen Block bestätigen zu können, wird den Minern ein mathematisches Rätsel aufgegeben. Dieses Rätsel ist so konstruiert, dass es schwierig ist, die Lösung zu finden, aber einfach zu erkennen, wenn eine genannte Lösung korrekt ist. Der Miner, der als erstes die richtige Lösung gefunden hat, wird von den weiteren Minern, die die Richtigkeit schnell erkennen, bestätigt und erhält als Belohnung eine neue „ge-minte“ Anzahl von Bitcoins sowie die Transaktionskosten aus dem bestätigten Block. Das folgende, rund dreieinhalbminütige Video, bietet einen Überblick, wie dieser Vorgang mathematisch abläuft:

Wird eine Standard-Bitcoin-Transaktion initiiert, kommt ein sogenanntes asymmetrisches Schlüsselpaar zum Einsatz. Es besteht aus einem öffentlichen Schlüssel, der pro Transaktion über ein Zufallsverfahren erzeugt wird, und dem privaten (geheimen) Schlüssel des jeweiligen Nutzers. Diesen privaten Schlüssel benötigt der Nutzer, um auf die Inhalte der Transaktion zuzugreifen. Dies gewährleistet dem Bitcoin-Nutzer weitgehende Anonymität, so lange er seinen privaten Schlüssel nicht preisgibt.

Allerdings  ist auf dieser Basis bei Bedarf auch eine so genannte „programmierbare Privatheit“ möglich. Dann wird jeder Nutzer über spezifisch programmierte Prozesse eindeutig identifizierbar, was zum Beispiel beim Einsatz der Blockchain-Technologie innerhalb oder zwischen Unternehmen gewollt sein kann.

Ein wichtiger und vertrauensbildender Aspekt bei Blockchain-Entwicklungen ist, dass der Quellcode der Programme in der Regel „open source“ ist. Jeder Programmierer kann den Quellcode für seine Zwecke weiterentwickeln. Da die genauen Abläufe öffentlich einsehbar sind, können Programmierer überprüfen, dass in die Programme keine Hintertüren eingebaut wurden oder Datenmanipulation stattfinden.

Wachsende Bedenken gegenüber Intermediären

Wichtiger Auslöser für die Entwicklung der Blockchain-Technologie war mutmaßlich das aufkommende Misstrauen in Intermediäre – zur Zeit der Finanzkrise vor allem das Misstrauen in die Finanzwirtschaft. Zwar sind Internet-Nutzer an den Einsatz verschiedener Intermediäre von Bezahldiensten über Marktplätze und Vermittlungsplattformen bis hin zu Social-Media-Diensten gewöhnt und schätzen auch oft den von ihnen angebotenen Nutzungskomfort. Aber parallel zur steigenden Bedeutung der verschiedenen Plattformen wuchsen auch die Bedenken gegenüber Intermediären.

Einerseits wird beklagt, dass die Intermediäre oft hohe (Transaktions-) Gebühren abschöpfen und über strikte Regelwerke den Handlungsspielraum von Anbietern und Nachfragern einengen. Andererseits gibt es Bedenken bezüglich Datensicherheit (zum Beispiel durch einen Hacker-Angriff auf zentral vom Intermediär verwalteten Daten) und Privatheit (die Nutzer der Plattformen wissen teilweise gar nicht, in welcher Form und zu welchem Zweck die durch sie generierten Daten ausgewertet und monetarisiert werden).

Dies führte dazu, dass die hinter der Kryptowährung Bitcoin stehende Blockchain-Technologie auch für andere Anwendungen in den Fokus rückte. Denn das „Gewährleisten von Vertrauen“ als wesentlicher Nutzen der Blockchain-Technologie muss nicht auf digitale Währungen beschränkt bleiben.

Deshalb wurden zu immer mehr klassischen „Intermediär-Modellen“ in den letzten Monaten Blockchain-Alternativen entwickelt. Für Aufmerksamkeit sorgten in jüngerer Vergangenheit vor allem zwei Konzepte: Die Plattform Arcade City bietet Fahrdienstleistungen à la „Uber“. Und openbazaar.org bietet sich als Einkaufsplattform à la eBay an. Beide basieren auf Peer-to-Peer-Transaktionen, funktionieren also ohne Mittelmann.

Interessant ist die Frage, ob es derartigen Ansätzen gelingt, die Platzhirsche ernsthaft herauszufordern. Denn bei allen Vorteilen von Blockchain-basierten Plattformen bleibt ein großer Vorteil der heutigen Intermediäre die enorme Zahl ihrer Nutzer. „Users go, where users are“ ist ein in der Internet-Branche verbreiteter Leitsatz. Sollte es den Herausforderern jedoch gelingen, aus den Vorteilen der Blockchain sichtbare Mehrwerte für die Nutzer gegenüber den heutigen marktführenden Plattformen zu entwickeln, könnten sich hier ernstzunehmende Wettbewerber herausbilden.

Entwicklung von Blockchain-Plattformen

Darüber hinaus lässt die sich Blockchain-Technologie auch zur Steuerung und Realisation von Unternehmensprozessen nutzen. Dies ruft auch die führenden IT-Konzerne auf den Plan. IBM setzt beispielsweise mit dem Projekt hyperledger.org auf einen offenen Industrie-Standard und hat beeindruckende 44.000 Zeilen Programm-Code für das Open-Source-Projekt der Linux-Foundation geliefert. IBM spricht hierbei von einem „Betriebssystem für Interaktionen“ und arbeitet daran, ihre Aktivitäten im Bereich künstliche Intelligenz (Stichwort „Watson“) mit Blockchain-Technologie zusammenzubringen.

Microsoft als zweites Schwergewicht der PC-Branche forciert auf seiner Cloud-Plattform Azure „Blockchain-as-a-Service“ und hat bereits eine nennenswerte Zahl von Entwicklern eingebunden. Microsoft verfolgt die „Vision einer offenen, modularen Blockchain-Struktur, die von Azure getrieben wird“ und hat  Mitte Juni 2016 unter anderem eine spezielle Middleware für Blockchain-Technologie angekündigt.

Die stetig wachsende Zahl von Prozessoptimierungen und Ideen für ganz neue Geschäftsmodelle auf Basis der Blockchain-Technologie lässt das Interesse weiter wachsen. Inzwischen existiert eine Vielzahl von Blockchain-Konzepten mit unterschiedlichem Fokus und teilweise mit weiteren Leistungsmerkmalen.

Eine besondere Bedeutung wird seit einigen Monaten der Plattform „Ethereum“ zugeschrieben. Der Begründer von Ethereum, der 1994 geborene Vitalik Buterin, hatte sich mehrere Jahre intensiv mit der Kryptowährung Bitcoin beschäftigt und erkannt, dass in der ihr zu Grunde liegenden Blockchain-Technologie enormes Potential liegt, das weit über den Einsatz für digitale Währungen hinausgeht.

Ethereum beinhaltet eine komplette „universal touring complete programming language“ –eine Programmiersprache, mit der sich unter anderem auf dem Blockchain-Prinzip aufsetzende „Smart Contracts“ programmieren lassen. Auf diese Weise werden, ähnlich wie in Verträgen, Vereinbarungen zwischen Parteien getroffen, deren Inhalt jedoch kein Vertragspapier mit Paragrafen, sondern ein abgestimmter, selbstablaufender Computer-Code ist. Wird hierbei auf eine schriftliche Fixierung in klassischer Vertragsform verzichtet, entstehen unter Umständen neue juristische Fragestellungen, die an dieser Stelle jedoch nicht erörtert werden sollen. Dezentrale Anwendungen („decentralized applications“, DAPPs) können diese Protokolle dann für Transaktionen oder Prozess-Abwicklungen nutzen.

Ethereum ging im Jahr 2015 mit der Beta-Phase live und erhielt für das „Homestead Release“, der nach der Betatest-Phase ersten funktionsfähigen Version des Systems, im März 2016 viel Aufmerksamkeit (White Paper: Ethereum Homestead Release, Dr. Gavin Wood).

Bereits heute ist abzusehen, dass durch Möglichkeiten, wie sie Ethereum bietet, das Potenzial der Blockchain-Technologie nochmals erheblich wächst. In diesem knapp 10-minütigen Video erläutern Vitalik Buterin und Charles Hoskinson, einer der Hauptentwickler der Plattform, das Konzept von Ethereum und geben interessante Einblicke in seine Anwendungsmöglichkeiten. Zum Abschluss bringt Vitalik Buterin die Idee auf den Punkt: „Wenn es bei Bitcoin um Geld übers Internet geht, dreht sich Etherium um (Geschäfts-) Beziehungen übers Internet.“

Auch dies sind nur einige Beispiele für aktuelle Blockchain-Konzepte – es gibt noch wesentlich mehr, die jedoch den Rahmen dieses Beitrags sprengen würden. Wichtig ist, je nach Zielsetzung und Ausrichtung eines Projektes in Zusammenarbeit mit einem entsprechenden Experten die passende Blockchain-Technologie auszuwählen. Leser, die an weiterführenden technischen Informationen interessiert sind, finden diese in den White Papers zu Bitcoin und Ethereum.

Einsatzgebiete der Blockchain-Technologie

Die Blockchain-Technologie bietet ein ganzes Bündel an Leistungen, die Grundlage für das „Gewährleisten von Vertrauen“ sind – unter anderem zum Beispiel:

– Transparenz
– Verschlüsselung
– Unveränderbarkeit
– Eindeutigkeit
– Authentizität

Für die Blockchain-Technologie gibt es vielfältige Einsatzmöglichkeiten – das Prinzip wird immer dann interessant, wenn die Zuordnung eines Wertes oder einer Eigenschaft zu einer Institution / Person / Adresse eineindeutig festgestellt und/oder gesichert verändert werden soll.

In diesen Gebieten wird bereits heute mit Blockchain-Technologien gearbeitet:

Finanzwesen

Mit Bitcoin wurde der „Urtyp“ einer Kryptowährung geschaffen. Inzwischen gibt es eine dreistellige Zahl von „Alt(ernativ)-Coin“-Währungen, größtenteils für spezifische Zwecke.

Da die Transaktionen über eine Blockchain-Lösung automatisiert, schnell und mit sehr geringen Transaktionskosten ablaufen, bietet sich diese Technologie aber auch für Prozesse in der Finanzwelt an. Viele führende Banken arbeiten – teilweise in verschiedenen Kooperationen – an Konzepten, um zum Beispiel Teile des Inter-Banken-Verkehrs über so genannte „permission blockchain“-Konzepte abzuwickeln (also Transaktionen, an denen nur bestimmte Teilnehmer mitwirken können). Die Banken versprechen sich durch Prozessoptimierungen Einsparungen von 15 bis 20 Millarden US-Dollar pro Jahr. Als ein führendes Unternehmen gilt Digital Assets, das von maßgeblichen Finanzunternehmen Anfang 2016 eine Investitionssumme in Höhe von 50 Millionen US-Dollar erhalten hat.

Für Überweisungen – inbesondere in Dritte-Welt-Länder – existieren bereits einige Lösungen auf Blockchain-Basis. Die Vorteile liegen auf der Hand: Der Geldtransfer wird deutlich schneller, günstiger – und sicherer.

eCommerce

Der Handel übers Internet ist stark von bekannten Plattformen geprägt. Dieser Vormachtstellung wollen einige Marktplatz-Plattformen auf Blockchain-Basis entgegentreten. Ein viel beachtetes Beispiel für einen Peer-to-Peer-Marktplatz ist die bereits erwähnte Plattform openbazaar.org mit ihrem Slogan „A Free decentralized Market for all. No Fees. No Restrictions. With bitcoin.“. Eine kurze Übersicht, wie OpenBazaar arbeitet, zeigt dieses rund vierminütige Video:

Management der Lieferkette (Supply Chain Management)

Beispiele wie die in der Einleitung erwähnte Echtheit von Medikamenten oder die Übersicht von Vorbesitzern eines Diamanten benötigen eindeutige Feststellungen über die Herkunft eines Produkts. Eine Lösung dafür: Jedes betroffene Produkt erhält eine digitale Identität, die auf einer Blockchain gespeichert wird. Immer dann, wenn das Produkt weitergegeben wird (etwa an den Spediteur, an den Handel oder an den Endkunden) erfolgt die Transaktion über ein Blockchain-Protokoll. So kann man jederzeit eindeutig feststellen, dass das Produkt echt ist, wer das Produkt besitzt und welche Vorbesitzer es gab.

Das Beispiel lässt sich auf virtuelle Güter oder jedwede Art von Dokumenten übertragen. Getestet wird auch, ob sich dieses Konzept eignet um beispielsweise die Herkunft und Echtheit von Lebensmittel-Bestandteilen sicherzustellen. Eine Überblick über die vielfältigen Einsatzmöglichkeiten der Blockchain-Technologie im Supply Chain Management finden Sie in diesem rund siebenminütigen Vortragsvideo der Firma Provenance aus UK:

eGovernment

Staatliche Stellen entscheiden in der Regel zögerlich über die Nutzung innovativer Technologien und setzen diese meist später ein als die freie Wirtschaft. Vor diesem Hintergrund ist es beeindruckend, dass auch von staatlicher Seite bereits erste konkrete Blockchain-Projekte aufgesetzt wurden:

Estland bietet als erstes Land mit dem e-Residency Programm eine über die Blockchain gesicherte Identität an. Die Ukraine plant die Etablierung einer dezentralen Auktionsplattform für die öffentliche Hand mittels Blockchain-Technologie.

Das Office of Science des UK Government hat Anfang des Jahres 2016 eine vielbeachtete Studie veröffentlicht, die im folgenden rund 5-minütigen Video vorgestellt wird:

Die Studie selbst können Sie hier herunterladen. Wie bereits im Supply Chain Management Bereich stehen bei diesen Projekte die Zusatznutzen im Vordergrund, die durch Echtheit, Unveränderbarkeit und Transparenz entstehen.

Energiemarkt

An verschiedenen Orten in der Welt wird bereits an Lösungen gearbeitet, erneuerbare Energie lokal in der Nachbarschaft des Erzeugers mittels Smart Contracts über Blockchain-Applikationen zu vermarkten. Dabei handeln mit Smart Contracts versehene Computereinheiten Lieferung / Bezug der Energie aus. Das Joint Venture TransActiveGrid hat Anfang 2016 ein derartiges Konzept in New York etabliert und stellt es in diesem 5-Minuten-Video vor:

Beeindruckend sind etwa auch die Aktivitäten des deutschen Energieversorgers RWE, der mit dem Projekt „Blockcharge“ einen Prototyp entwickelt hat, bei dem die Blockchain beim Nachladen von Elektroautos eingesetzt wird. Details erklärt dieses knapp 4-minütige Video:

Bildungswesen

Auch im Bildungsbereich bietet die Blockchain-Technologie hochinteressante Einsatzmöglichkeiten. Zum einen können – ähnlich wie im Supply Chain Management­ – Zertifikate sicher auf einer Blockchain gespeichert werden. Zum anderen kann der jeweilige Ausbildungsstand eines Schülers oder Studenten auf einer Blockchain abgelegt werden und gezielt einzelnen Personen für eine definierte Zeit zur Verfügung gestellt werden. Diverse Hochschulen arbeiten bereits an solchen Konzepten und auch Unternehmen wie Sony beschäftigen sich bereits mit diesem Ansatz.

Gesundheitswesen

Neben dem bereits genannten Nutzungsbeispiel „Echtheit von Medikamenten“ ergeben sich im Gesundheitswesen noch viele weitere Möglichkeiten für den Einsatz Blockchain-basierter Lösungen. Denkbar wäre etwa, die Daten einer Gesundheitskarte gesichert auf der Blockchain abzulegen. Dabei würden Daten zu einem Krankheitsverlauf gezielt und gesichert nur bestimmten Ärzten für eine bestimmte Zeit zur Verfügung gestellt. Das Startup Blockchainhealth  aus San Francisco hat ein solches Konzept für den US-amerikanischen Markt entwickelt.

Versicherungen

Die Versicherungswirtschaft dürfte durch die Blockchain-Technologie vor erheblichen Umwälzungen stehen. Allerdings sind die Prozesse der Versicherer komplex, zudem finden Änderungen dort nur langsam Einzug und es existieren enge regulatorische Rahmenbedingungen. Derzeit wird jedoch schon intensiv geprüft, in welchen Bereichen die Blockchain der Branche Nutzen bringen könnte.

Als sicher gilt bereits, dass über Smart Contracts einfache, quasi selbstablaufende Versicherungsverträge möglich werden. Zum Bespiel könnte ein Versicherer eine Flugausfallversicherung anbieten, die als Smart Contract auf einer Blockchain abgelegt wird. Fällt der Flug aus, wird diese Information durch einen externen Service (eine erste Plattform für diesen Zweck ist oraclize.it) an die Blockchain gesandt. Von dort wird dann automatisch die Zahlung der Entschädigung an den Vertragspartner veranlasst. Der Fall ist prompt erledigt, keine manuelle Arbeit wurde notwendig. Dieses einfache Beispiel zeigt, welches Potenzial für die Versicherungswirtschaft in der Blockchain-Technologie liegt. Vermutlich gibt es bald erste konkrete Anwendungen in diesem Bereich zu sehen.

Der Münchner Versicherungskonzern Allianz ist nach erfolgreichem Test zu dem Ergebnis gekommen, dass auf Blockchain basierende „Smart Contract“-Technologie das Vertragsmanagement für bestimmten Swaps und Anleihen erleichtern und beschleunigen kann. Die Allianz zeigt sich überzeugt: „Blockchain verspricht transparentere, bequemere und schnellere Leistungen für unsere Kunden“.

Internet der Dinge

Natürlich bietet sich bei einem so „programmierten“ Thema wie der Vernetzung von Gegenständen mit dem Internet der Einsatz von Blockchain-Technologie an. So könnten zum Beispiel Smart Contracts Leihverträge für einen bestimmten Zeitraum automatisiert abschließen.

Das funktioniert bei der Firma Slock.it so: Der Nutzer gibt in einer Smartphone-App die gewünschten Buchungsdaten für ein Produkt ein – das folgende Beispiel geht einfach von einem Schloss aus. Sobald der Nutzer sich der Schließvorrichtung nähert, wird er über sein Smartphone erkannt und erhält automatisch Zugang zu dem Produkt gemäß dem geschlossenen Vertrag. Während der Vertragslaufzeit kann der Nutzer das Schloss dann nach Belieben öffnen und schließen. Die Zahlung erfolgt automatisch, ebenfalls über einen Smart Contract, der auf einer Blockchain gespeichert ist. Durch kryptologische Verfahren sind die Daten gesichert. Weitere Optionen, wie zum Beispiel das automatische Hinzubuchen von Versicherungen, sind möglich.

Ob Lösungen für die „Sharing Economy“ oder Notariatsdienste – es vergeht kaum eine Woche, in der nicht weitere, interessante Blockchain-Projekte angekündigt werden.

Politik und Wirtschaft

Auch Politik und Wirtschaft beschäftigen inzwischen intensiv mit den Möglichkeiten der Blockchain. So veröffentlichte das Weltwirtschaftsforum zu seiner Veranstaltung im Januar 2016 in Davos das folgende Video (2:20):

In den politischen Institutionen gibt es bereits eine Vielzahl von Gremien, Arbeitsgruppen und Veranstaltungen, die sich mit den Chancen und Herausforderungen der Blockchain-Technologie beschäftigen. Vorreiter sind hier wie so oft die USA. Auf YouTube sind Aufzeichnungen von einigen interessanten Anhörungen des US-Repräsentatenhauses zu finden. Ein Beispiel aus dem Ausschuss „Energy and Commerce“ inklusive Statements verschiedener führender Blockchain-Vetreter finden Sie hier (nicht wundern, das Hearing startet tatsächlich erst bei der Spielzeit 41:14):

An Relevanz gewinnt derzeit auch die Chamber of Digital Commerce. Sie veranstaltete im März 2016 den „DC Blockchain Summit“, zu dem sich auf Youtube ein ganzer Kanal mit insgesamt 12 sehenswerten Vorträgen findet.

Auch im EU-Parlament fanden bereits einige Hearings zu Blockchain statt, im April 2016 wurde eine viertägige Blockchain-Konferenz durchgeführt. Hierzu sind leider online keine ausführlichen Informationen verfügbar, nur auf der EDCAB-Website sind wenige Sätze zu der Veranstaltung zu finden. Wer daran interessiert ist, wie tiefgreifend die Diskussion auf europäischer Ebene abläuft, an der mehrere namhafte Fachleute beteiligt sind, dem sei das ebenfalls im März 2016 veranstaltete Seminar „Blockchain: regulatory technology or technology to regulate?“ empfohlen, dessen Videomitschnitt ebenfalls auf Youtube zu finden ist. Dafür brauchen Interessenten allerdings einiges an Zeit – das Video ist knapp 3:15 Stunden lang:

Es ist wichtig, dass die Politik die richtigen Rahmenbedingungen für die noch junge Technologie schafft. Denn schon heute ist abzusehen, die Blockchain-Technologie wird in den nächsten Jahren erheblich an Relevanz gewinnen und hat das Potenzial, viele Branchen fundamental zu verändern.

Ausblick

In den letzten Monaten bilden sich zum Einsatz der Blockchain-Technologie immer deutlicher zwei grundsätzlich verschiedene Philosophien heraus: Die Vertreter von Bitcoin und weiteren Kryptowährungen forcieren eher einen libertären/revolutionären Ansatz. Im Vordergrund steht hier Disruption, die teilweise auch bestehende Machtstrukturen auflösen soll (zum Beispiel durch die Ablösung der Intermediäre), und die Änderung des Status Quo. Basis hier ist in der Regel eine „public“ Blockchain.

Auf der anderen Seite versuchen die heutigen Platzhirsche zu verstehen, wie sie mit Hilfe dieser Technologie ihre bisherige Position ausbauen können. Bei diesem eher technokratischen/evolutionären Ansatz wird analysiert, wie bestehende Unternehmen und Institutionen die Effizienzvorteile und neuen Möglichkeiten der Blockchain-Technologie für ihre Geschäftsmodelle und die dazugehörigen Prozesse nutzen können. Meist kommt hier eine „private“ oder „permission-“ Blockchain zum Einsatz, da die Betreiber die Teilnehmer an dem genutzten Netzwerk im Vorfeld kennen möchten. Da bei der Blockchain-Technologie eine wichtige Grundlage der öffentliche Konsensprozess ist, ist allerdings umstritten, ob solche Beispiele wirklich Blockchain-Anwendung im originären Sinne sind. Für viele „interne“ Anwendungen kann aber dieses auch als „Distributed Ledger Technology“ (DLT) bezeichnete Verfahren jedoch genau der richtige Weg sein und viele Vorteile gegenüber herkömmlichen Verfahren bieten.

Wer auch immer sich hinter dem Pseudonym „Satoshi Nakamoto“ verbirgt, verfolgte bei der Entwicklung von Bitcoin sicher eher den revolutionären Ansatz. Durch das inzwischen deutlich gewachsene Verständnis der dahinter stehenden Blockchain-Technologie werden jedoch auch in den eher unspektakulären Prozesswelten von Unternehmen enorme Potenziale sichtbar.

Derzeit analysieren vielfältige Branchen und Player diese Möglichkeiten. Ihnen winken Kosten-, Effizienz-, Sicherheits- und Geschwindigkeitsvorteile in heute noch gar nicht abschätzbarer Größenordnung. Die Blockchain-Technologie dürfte die Art und Weise, wie wir Geschäfte betreiben, uns organisieren und interagieren, grundlegend verändern.

Ein Gedanke zu „Blockchain – programmiertes Vertrauen“

  1. Ich bin auch großer Fan der Blockchain-Technologie, mich fasziniert auch die Vielfalt der Einsatzmöglichkeiten. Ich bin gespannt, wie wir in der Zukunft arbeiten werden. Aktuell gibt es ja auch kluge Software, die vieles leistet. Es wäre aber perspektivisch toll, dass auch auf einer Blockchain abzubilden. Im Unternehmen laufen so viele Prozesse von Personaleinsatzplanung bis Vertragsmanagement, man sollte es so einfach wie möglich halten.

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