Man muss nur das böse Wort Peilsender in die Headline packen, dann noch die Schlagworte Überwachung und Datenschutz unterbringen und schon hat man einen Artikel der die Wogen hochgehen lässt. Haben wir vor drei Jahren nicht gemacht, als wir zum ersten Mal über die App Schutzranzen berichtet haben, sondern was vom Schutz der Kinder, Sicherheitsabstand und Warnsignal geschrieben. Macht halt nicht so viel her. Darum probieren wir es heute eben auch mal anders. (Sorry ;-)
Aufmacherbild: Coodriver GmbH
Aber ernsthaft: Das Thema wurde gerade wieder aktuell weil eine Testphase an zwei Wolfsburger Grundschulen durchgeführt werden sollte. Zwischen Totalüberwachung und Kinderschutz bewegt sich die Diskussion. Wir dachten: Ein paar Fakten könnten helfen. Nicht zuletzt da uns sogar SAT 1 anrief und fragte ob sie Teile unseres Films zum Thema verwenden können. Also: Hier die ganze Geschichte zur Schutzranzen-App und ein paar Gedanken dazu.
Laut Meldungen verschiedener Medien schlägt den Entwicklern der Schutzranzen-App eine Welle der Empörung entgegen: Kritiker befürchten eine Totalüberwachung der Kinder, außerdem wurden Bedenken laut, Pädophile könnten die App ausnutzen. (Quelle: Hannoversche Allgemeine)
Schutzranzen – was macht die App?
Worum es geht: Mit der App Schutzranzen im Schulranzen (entweder auf einem Smartphone oder über einen GPS-Tracker) soll der Standort der Kinder sowohl an die Eltern als auch anonym über die Cloud an Autofahrer, die die App ebenfalls auf ihrem Smartphone installiert haben, übermittelt werden. Ist ein Kind in der Nähe sollen die Autofahrer durch optische und akustische Hinweise gewarnt werden. Hier unser Video dazu (ca. 4 Minuten).
Während die Anbieter (Coodriver GmbH) davon sprechen, dass die Kinder dank der App sicherer und selbständiger im Straßenverkehr unterwegs sein könnten und sich dadurch auch die Anzahl der „Elterntaxis“ verringern ließe, glauben manche Kritiker, dass sich sowohl Kinder als auch Autofahrer derart auf die App verlassen könnten, dass sie nicht mehr eigenständig auf den jeweils anderen Verkehrsteilnehmer achten. Oder geben ein noch drastischeres Szenario zu bedenken: Kinder vor Unfällen mit Autos schützen, indem man Autofahrer durch eine Warnung auf dem Handy von der Straße ablenkt? In den sozialen Medien sorgt das für Kopfschütteln, (Quelle: Frankfurter Rundschau) Außerdem wird durch den Begriff Peilsender das Thema Selbstbestimmung der Kinder offenbar akut.
Sorge bezüglich Datenschutz der Schutzranzen-App
Auch geben Datenschützer zu bedenken, dass Daten in der Cloud, die unter anderem zu Google und Amazon gehöre, nicht sicher seien. Hacker könnten sich die Aufenthaltsdaten von Kindern besorgen. (Quelle: Neue Presse) Der Bürgerrechtsverein Digitalcourage kritisierte zudem die Geschäftsmodelle der Unternehmen und ihre Gier nach Daten und forderte in einem offenen Brief, dass das Projekt sofort eingestellt wird. (Quelle: Digitalcourage)
Kurzer Rückblick: Schon 2016 ging die Volkswagen AG eine strategische Partnerschaft mit der Coodriver GmbH ein. Mittelfristig sollte die Schutzranzen-Technologie vollständig in das Anzeige- und Bedienkonzept von Fahrzeugen integriert werden. (Quelle: Automobil Produktion) Im gleichen Jahr ging übrigens der „auto motor und sport- mobility & safety Award“ an die „Initiative Schutzranzen“. (Quelle: Presseportal)
Wollen Eltern den Peilsender?
Die Eltern stehen dem Projekt zwiespältig gegenüber. Bei einer nicht repräsentativen Umfrage des NDR an einer der zwei Schulen reichte die Bandbreite der Antworten von Zustimmung bis Ablehnung: Einige Eltern waren angetan, dass es so mehr Sicherheit für ihre Kinder gebe, andere kündigten dagegen an, ihre Kleinen nicht überwachen zu wollen. Und wieder andere sagten, sie hätten derzeit einfach noch zu wenig Informationen über das Vorhaben. (Quelle: NDR)
Die Bedenken sind verständlich. Bemühungen um mehr Sicherheit von Kindern im Straßenverkehr ein kraftvolles Argument. Welchen Preis – im Sinne von Daten – ist man gewillt dafür zu zahlen? Und: Müssen wir uns das nicht mittlerweile bei vielen Angeboten, Produkten und Services fragen? Wir leben in einem vernetzten Zeitalter. Über Sport-Apps wie „Runtastic“ oder soziale Medien geben wir freiwillig Einblick in unser Leben und unseren aktuellen Standort. Kinder wachsen außerdem heute in vielen Haushalten bereits mit „Siri“, „Alexa“ oder „Ok, Google“ auf. Und auch Eltern die ihren Nachwuchs digital überwachen wollen haben schon längst andere Möglichkeiten als den Schutzranzen. Spricht also der aktuelle Medienhype nicht vielmehr einen Punkt an mit dem wir uns im modernen Alltag viel häufiger auseinandersetzen müssten?