Worum es beim Verkauf von Nokia HERE wirklich geht

<span style=“font-size: small;“>Aufmacherbild: HERE</span>

Spekulationen und Gerüchte gab es schon seit einiger Zeit, am 3. August wurde es offiziell: Nokia verkauft seine Navigationskarten-Tochter HERE für 2,8 Milliarden Euro an ein Konsortium der drei deutschen Auto-Giganten Audi, BMW und Mercedes.

Die meisten Wirtschaftsmedien und Analysten erklärten diesen Schritt damit, dass sich die drei Autohersteller von eventuell entstehenden Abhängigkeiten, insbesondere von Google, befreien wollten. Doch dies ist – wenn überhaupt zutreffend – allenfalls ein Teilaspekt hinter der Strategie von Audi, BMW und Mercedes.

In ihrer gemeinsamen Ankündigung loben HERE und seine potenziellen neuen Besitzer natürlich die Chancen und Synergien, die sich aus der neuen Konstellation ergeben:

Allerdings ist der Deal noch nicht unter Dach und Fach – die Kartellbehörden müssen ihm noch zustimmen, was keineswegs nur eine Formalität ist. Schließlich hat HERE nach eigener Aussage einen Marktanteil von rund 80 Prozent im Markt für Navigationskarten-Daten. In vier von fünf Autos, in denen ein fest eingebautes Navi den Fahrer zum Ziel führt, kommen also die Kartendaten der Tochterfirma der Finnen zum Einsatz. Allein im Jahr 2014 will HERE rund 13 Millionen Fahrzeuge versorgt haben. Neben Audi, BMW und Mercedes liefert HERE seine digitalen Straßenkarten unter anderem auch an General Motors, Ford, Jaguar, Land Rover, Honda, Nissan und Renault. Außerdem erfreut sich die kostenlose Navi-App des Anbieters für iOS, Android und Windows-Phones großer Beliebtheit.

Audi, BMW und Daimler beeilten sich anzukündigen, dass HERE natürlich auch weiterhin die Kartendaten an andere Hersteller liefern würde – und auch die Gratis-Navi-App soll ihren Nutzern und Fans wohl erhalten bleiben.

Strategisch geht es den drei Konzernen ohnehin weniger um die heute verfügbaren Kartendaten, sondern mehr um die Zukunft.

Wie diese Zukunft für die Autoindustrie aussieht, erklärte Zukunftsforscher Nick Sohnemann der Intelligenten Welt schon im Frühjahr im Rahmen eines Interviews, das wir mit ihm auf der CeBIT geführt haben. Dabei zeigte Sohnemann schon fast prophetische Gaben bei der Vorhersage der nun eingetretenen Entwicklung:

Jedenfalls gelangten die Autohersteller bei der Einschätzung der Lage offenbar zu ähnlichen Ergebnissen wie der Zukunftsforscher: Wenn der Bordcomputer das Auto in Zukunft steuert, wird er zur strategisch wichtigen Komponente im Fahrzeug. Und HERE liefert dazu schon in naher Zukunft einen entscheidenden Bestandteil – hochpräzise Straßenkarten.

Denn künftige hochautomatisiert fahrende Autos brauchen viel genauere Informationen als sie heute in GPS-Navikarten enthalten sind – präzise Daten über Straßenverlauf, Spuren, Steigungen, Gefälle, Kurvenradien sowie -neigungen und vieles mehr. Solche hochgenauen Karten werden nicht erst wichtig, wenn Autos ihre Passagiere wirklich autonom über Autobahnen und Landstraßen chauffieren. Schon die Zwischenschritte auf dem Weg zu dieser Vision wie etwa Autobahn-Stauassistenten oder prädiktive Tempomaten (also Abstandsregeltempomaten, die in ihrer Fahrstrategie auch Streckeneigenschaften, vorausliegende Geschwindigkeitbegrenzungen, hinter Kuppen liegende Abfahrten und ähnliches berücksichtigen) sind auf die hochpräzisen Karten angewiesen. Derzeit sind HERE, Tomtom und andere mit Hochdruck dabei, solche Hi-Res-Karten zu erstellen:

Dass HERE die Erfassung der dafür notwendigen Daten technisch gut im Griff hat, steht dabei außer Frage. Das Unternehmen ist seit Jahren darauf spezialisiert, und stimmt sich eng mit seinen Kunden aus der Automobil-Industrie ab, was diese genau brauchen.

Speziell ausgerüstete Scanner-Fahrzeuge erfassen die Streckendaten mit sehr hoher Genauigkeit.
Speziell ausgerüstete Scanner-Fahrzeuge erfassen die Streckendaten mit sehr hoher Genauigkeit.

Längst werden nicht nur Straßenverläufe und -namen, Verkehrsschilder, Spuren und Fahrtrichtungen erfasst, sondern genaue geometrische Angaben zu Spurbreite, Kurvenradien, Steigung/Gefälle, Bepflanzungen, angrenzenden Gebäuden und vieles mehr. Dazu sind einige Dutzend Spezialfahrzeuge unterwegs, die mit Kameras und Spezialsensoren wie zum Beispiel sogenanntem Lidar (vereinfacht gesagt eine Art Radar, das mit Lichtwellen arbeitet) die zu digitalisierenden Strecken abfahren.

Das digitale Abbild einer Autobahn muss fürs automatisierte Fahren viel exakter sein als für reine GPS-Zielführung.
Das digitale Abbild einer Autobahn muss fürs automatisierte Fahren viel exakter sein als für reine GPS-Zielführung.

Dabei konzentrieren sie sich zunächst auf Autobahnen und Landstraßen. Zurzeit sind in Deutschland wohl etwa 10 bis 20 Prozent dieser Straßen erfasst – HERE arbeitet auf Hochtouren, um die abgedeckten Gebiete zu verbessern. Klar ist natürlich auch, dass diese aufwändige Erfassung Geld kostet – und davon nicht gerade wenig. Hinzu kommen Datacenter, in denen Rückmeldungen von Sensordaten aus den Autos zu Echtzeit-Staumeldungen oder anderen hochgenauen Verkehrsmeldungen zusammengeführt und aufbereitet werden.

Sensordaten aus vernetzten Autos, Straßen-Sensoren, Daten aus Verkehrsleitsystemen und viele andere Quellen setzt HERE in seinen Rechenzentren zu Echtzeit-Verkehslagebildern zusammen.
Sensordaten aus vernetzten Autos, Straßen-Sensoren, Daten aus Verkehrsleitsystemen und viele andere Quellen setzt HERE in seinen Rechenzentren zu Echtzeit-Verkehslagebildern zusammen.

Doch auch um hochauflösenden Kartendaten und Online-Verkehrsinfos heute und in Zukunft weiterhin zu beziehen, hätten die drei deutschen Konzerne den Milliarden-Deal eigentlich nicht gebraucht. Sie hätten die benötigten Digital-Karten in jeder gewünschten Genauigkeit und mit jedweden nur denkbaren Zusatz-Detaildaten weiterhin von Here lizensieren können.

Allerdings gibt es in diesem Zusammenhang zwei wesentliche Aspekte, welche die Lage doch etwas anders aussehen lassen:

Zum einen geht es beim hochautomatisierten Fahren nicht nur um präzise Kartendaten, sondern auch um Cloud-Dienste – in die etwa die Fahrzeugsensoren aktuelle Verkehrsinformationen oder Streckeneigenschaften hochladen, um sie allen angeschlossenen Fahrzeugen zur Verfügung zu stellen. Noch ist aber überhaupt nicht ausgemacht, ob jeder Autohersteller eine eigene solche Cloud betreiben wird, oder ob es dafür übergeordnete Instanzen geben wird. Letztere Variante hätte den Vorteil, dass auch BMW-Fahrer von den Warnmeldungen von Audi- und Mercedes-Sensoren profitieren würden, und umgekehrt. Entscheiden sich zumindest einige Autofirmen für eine herstellerübergreifende Kooperation, ist HERE einer der ersten Kandidaten für eine solche Knotenpunkt-Position – und steht damit viel stärker als bislang an einer strategischen Schlüsselposition.

Zum anderen – und dies dürfte der entscheidendste Punkte sein – war nicht wirklich klar, wie lange dies noch zu Konditionen und vor allem Geschäftsmodellen möglich sein würde, die den Autobauern zusagen. Denn HERE-Mutter Nokia wollte offenbar auf jeden Fall verkaufen. Nachdem die Finnen ihre Lumia-Smartphones an Microsoft abgegeben und stattdessen den Netzausrüster Alcatel-Lucent erworben haben, steht bei ihnen eine Neuausrichtung an. Der Fokus soll dabei auf der Infrastruktur für Mobilfunk- und Festnetze liegen. Auch Spekulationen, ob Nokia nicht doch wieder irgendwann Smartphones unter eigenem Namen anbieten könnte, sind nicht ohne Grundlage. Der aufwändige Kartendienst passte möglicherweise nicht mehr perfekt zu diesen Plänen. Wenngleich Nokia noch im Jahr 2008 die stolze Summe von 5,7 Milliarden Euro für den bis dahin unabhängigen Kartenanbieter Navteq ausgegeben hatte, der dann unter Nokia-Regime zu HERE wurde. Nach einem guten Geschäft für Nokia klingt dies ja eigentlich nicht unbedingt.

Aus der Gerüchteküche ist zu hören, dass andere Kaufinteressenten Facebook und der Taxi-Konkurrent Uber gewesen seien. Und von denen wollten sich die Auto-Giganten für ihre wichtigen Ressourcen hochpräzise Kartendaten und Rechenzentren für autonome Fahrzeuge sicherlich ungern abhängig machen. Offenbar hatten sie Wege und Argumente, HERE davon zu überzeugen, dass ein Verkauf an das Auto-Konsortium mittel- bis langfristig auch für den Kartendienst die bessere Option war. Es wäre interessant zu erfahren, wie sie Nokia davon überzeugten, in diesem Zusammenhang auf die eine oder andere Milliarde zu verzichten.

 

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