Künstliche Intelligenz im Handel (2): Wird Big Data der Heilsbringer?

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Je digitaler der Handel, desto analoger der Nutzen. Diesen vermeintlichen Widerspruch lösen Firmen und Forschungseinrichtungen zunehmend auf, indem sie praktische Lösungen mit künstlicher Intelligenz entwickeln, die die Verbraucher in die Läden locken. Durch große Datensammlungen könnten beide Seiten profitieren. Big Data ist das Schlüsselwort.

„Im Zeitalter des mobilen Internets ist das Zusammenwachsen von Online und Offline ein klarer Trend. Verbraucher unterscheiden nicht zwischen Online und Offline, solange ihre Bedürfnisse erfüllt werden.“

Das Zitat stammt von Jianzhen Peng, dem Generalsekretär des Einzelhandelsverbandes China Chain Store and Franchise Association. Dieser Verband organisiert jedes Jahr Anfang November die wichtigste Messe für den Einzelhandel in China organisiert – und das zu einem strategisch wichtigen Zeitpunkt.

Der Singles‘ Day am 11.11. ist in China ein wahres Einkaufsfest. (C) By Chrionexfleckeri1350 (Own work) [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], via Wikimedia Commons
Denn nur eine Woche später, am 11.11., feiern die Chinesen den Singles‘ Day. Eigentlich ein Tag für Alleinstehende ist dieses Datum mittlerweile auch der größte Onlineshopping-Tag der Welt. Allein die Online-Shopping-Mall Alibaba.com machte 2017 an diesem einen Tag einen Umsatz von 25 Milliarden Dollar. Zum Vergleich: Ebay setzte ein Drittel davon um, Amazon das Siebenfache – aber nicht an einem Tag, sondern im gesamten Jahr.

Der Singles‘ Day ist auch offline ein wahres Einkaufsfest. Restaurants, Autohäuser, Supermärkte, Wohnzentren – kein Geschäft kommt an diesem traditionellen Umsatzbringer vorbei. Dabei testen die Firmen immer wieder neue smarte Lösungen, die dem Einzelhandel neuen Schwung bringen sollen. indem sie die Erfahrungen von Online und Offline kombinieren. Die Basis sind gigantische Datenmengen und Analyseverfahren mit künstlicher Intelligenz.

Bildschirme in Umkleidekabinen empfehlen passende Kleidungsstücke

So hängen schon in 13 Shopping-Malls in China in Umkleidekabinen nicht etwa Werbeplakate, sondern plakatgroße Bildschirme – diese erkennen das Kleidungsstück, das eine Kundin oder ein Kunde anprobieren möchte, und zeigen modisch passende Artikel dazu wie in einem Fotoalbum an. Gefällt ein Artikel, kann er über einen Button quasi herbeigerufen werden: Ein Verkäufer bringt das empfohlene Kleidungsstück direkt zur Umkleidekabine.

Das System „FashionAI“ setzt auf Deep Learning und kennt Millionen von Kleidungsstücken, kombiniert für seine Empfehlungen aber auch aktuelle Designtrends durch die Online-Käufe auf Alibaba.com – und es schlägt Outfits vor, die speziell auf Basis der Artikel entstehen, die im jeweiligen Laden überhaupt vorrätig sind.

Erst Berater, dann Designer – Amazon forscht schon am nächsten Schritt

Auch Amazon hat das Modegeschäft im Auge, ebenfalls mit einem automatischen Empfehlungssystem für stilsichere Outfits. Mit „Echo Look“ wurde der Sprachassistent Alexa quasi optisch erweitert: Eine Kamera erfasst den Look des Kunden und hilft bei der Einschätzung des Stils – und über „Prime Wardrobe“ können Kunden Hosen, Jacken, Blusen etc. noch vor der Bestellung virtuell anprobieren.

Darüber hinaus soll Künstliche Intelligenz sogar passend zum Stil neue Kleidungsstücke designen. Geht es nach der Amazon-eigenen Forschungsabteilung Lab126 in San Francisco, ist möglichst optimales „Reagieren“ nicht mehr das Maß der Dinge – die KI soll die Trends selbst setzen, etwa durch Analyse von Diskussionen über Produkte in sozialen Medien, und damit den Online-Riesen schneller denn je machen. Das Stichwort heißt GANs – Generative Adversarial Networks. Sie bestehen aus neuronalen Netzen, die hocheffizient gigantische Datenmengen analysieren können.

Der Service „Stitch Fix“ prägt bereits neue Trends: Wer nicht gerne offline Kleidung kaufen geht, kann ein Abo abschließen, Präferenzen eingeben, Einblicke in sein Nutzerverhalten bei sozialen Medien zulassen und sich fortan automatisch – durch KI ausgewählte – Modeartikel schicken lassen.

Klingt wie die Spielerei eines illusionistischen Start-ups? Im November 2017 ist die Firma an die Börse gegangen und schon 1,5 Milliarden Dollar wert.

Einsatz von KI macht Einzelhandel effizienter

Intelligente Prognosesysteme finden immer öfter Einsatz – online wie offline. Die KI lernt dabei aus früheren Bestellungen und berücksichtigt saisonale Effekte. „Aus den gewonnenen Einsichten prognostizieren sie zum Beispiel den Absatz der Produkte und wissen im Optimalfall noch vor dem Konsumenten, was als nächstes bestellt wird“, erklärt Dominique Ziegelmayer, KI-Experte von Trusted Shops, und weist auf die Vorteile hin: „Wir können unsere Webseiten auf die entsprechenden Produktgruppen ausrichten, unseren Einkauf veranlassen, das Lager entsprechend zu bestücken, und letztendlich die Versandzeiten weiter verkürzen.“


Tipp: Mehr zu den Themen Automatisierung von Warendisposition und Preisgestaltung lesen Sie in unserem Artikel „Hilft KI im Wettbewerb gegen Amazon & Co.?“.


Große Datenmengen werden auch bei „Location Based Services“ gesammelt. Ob bei Tommy Hilfiger in Düsseldorf oder bei SportScheck in Hannover: Kunden, die die jeweilige App installiert haben, werden automatisch adressiert und zum Beispiel zu Treueaktionen eingeladen, sobald sie den Laden betreten – die Erkennung läuft über Bluetooth-Beacons, die im Laden angebracht sind und noch dazu übermitteln, wann und wo, wie oft und wie lange sich Kunden im Laden aufhalten.

Steigt der Nutzen für den Kunden, so steigt auch seine Bereitschaft, Daten preiszugeben

Auch werden Kundenkarten und Selbstscan-Kassen immer interessanter für die Analyse: Bei Marc O‘Polo etwa sehen die Verkäufer, die mit Tablet unterwegs sind, nach dem Einscannen der Karte sofort die letzten Käufe und können den Kunden direkt mit Goodies oder Rabatten belohnen. Sogar die bargeldlose Abwicklung des Bezahlvorgangs beim Verkäufer ist möglich, ohne dass der Kunde extra zu einer Kasse muss. Und weil die Nutzer von Selbstscan-Kassen im Durchschnitt mehr einkaufen als Kunden, die an normalen Kassen bezahlen, liefern sie wiederum mehr Daten über ihr Einkaufsverhalten.

Selbstscan-Kassen sind praktisch für die Kunden und liefern den Anbietern (wie hier Amazon Go) wertvolle Daten. (C) By SounderBruce (Own work) [CC BY-SA 4.0 (https://creativecommons.org/licenses/by-sa/4.0)], via Wikimedia Commons
„Wenn man sich die rasante Entwicklung der letzten Jahre ansieht, glaube ich, dass es bereits in wenigen Jahren kaum mehr einen Wirtschaftsbereich gibt, der auf KI verzichten kann“, resümiert Dominique Ziegelmayer. „Die Datenmengen wachsen mit einer rasanten Geschwindigkeit, und das befeuert die Technik doppelt: Zum einen bilden diese den Ausgangspunkt für maschinelles Lernen, zum anderen machen sie eine intelligente Datenselektion notwendig.“

Je digitaler, desto analoger – die Kunden kaufen dort, wo es Spaß macht

Da ist es kein Wunder, wenn Alibaba-CEO Daniel Zhang sagt:

„Unser Ziel ist es, die Welt des Offline-Einzelhandels zu digitalisieren.“

Man darf gespannt sein, was sich die Chinesen für den Singles‘ Day 2018 einfallen lassen, um diesem Ziel wieder ein Stück näher zu kommen. 2017 begeisterten sie die Kunden mit einer Funktion in der Alibaba-App, mit der man in Restaurants und Geschäften der Alibaba-Malls eine Art „Pokémon Go“ spielen konnte. Überall waren Goodies versteckt, die sich mit dem Smartphone aufsammeln ließen. Der Lohn: Gutscheine, mit denen man kräftig Geld sparen konnte – die nächste Einkaufstour war also nur eine Frage der Zeit.

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