Aufmacherbild: (C) Continental
Autohersteller, Zulieferer und Informatiker entwickeln vielfältige Cloud-Lösungen für die Autos von heute und morgen. In ihrem Fokus stehen bessere Informationen für Fahrer und Systeme, verbrauchsärmeres Fahren und weniger verlorene Zeit im Stau. Allerdings wollen die Autohersteller aus strategischen Gründen die Hoheit über die Backend-Systeme nicht abgeben. Eine wichtige offene Frage ist deshalb, wie sich herstellerspezifische Insellösungen vermeiden lassen, um stattdessen neutrale, übergreifende Plattformen zu realisieren.
In den letzten zehn Jahren haben die Autohersteller in Sachen Vernetzung der von ihnen angebotenen Fahrzeuge mächtig Gas gegeben. Am Anfang standen die Versorgung von Navigationssystemen mit aktuellen Verkehrsinformationen und die Einbindung der seit 2007 im Alltag immer präsenteren Smartphones. Heute lassen sich in aktuelle Fahrzeuge Navigationsziele vom heimischen PC übertragen, Audio-Streamingkanäle als Alternative zum Autoradio anhören und per Fernzugriff via Smartphone-App Funktionen wie die Zentralverriegelung checken oder betätigen, Vorklimatisierung oder Standheizung programmieren – und Elektroautos zeigen auf dem Smartphonedisplay ihren aktuellen Ladestand.
Wer hat die Hoheit über die Daten?
Für die Anbindung der Fahrzeuge sorgen Mobilfunkmodems für die heute verbreiteten Netze UMTS/3G und LTE/4G. Und die beschriebenen Funktionen laufen über Backend-Systeme, die von den Fahrzeugherstellern selbst betrieben werden. Denn die wichtige Verbindung zwischen Kunde, Fahrzeug und Hersteller läuft über die von den Autobauern betriebenen Server. Und sie ist den Anbietern extrem wichtig. Denn groß ist die Sorge, dass die großen Namen der Autoindustrie in einigen Jahren zu reinen Hardwarelieferanten degradiert werden – und dass Google, Apple und Co. das Geschäft mit Diensten und Inhalten an sich ziehen, ähnlich wie es in der Smartphone-Welt geschehen ist. Selbst wenn die technischen Plattformen für Cloud-Services über Dienstleister wie etwa die Rechenzentren von Amazon laufen, wollen die Autohersteller in jedem Fall die Hoheit über die anfallenden Daten behalten.
Nicht zuletzt aus diesem Grund investieren die Autobauer hohe Summen in eigene Forschungs- und Entwicklungsaktivitäten. Ebenfalls stark in die Entwicklungsarbeit involviert sind die einschlägigem Automobilzulieferer wie Bosch, Continental und ZF. Ihre Forschungsabteilungen treiben Innovationen voran, die die Zulieferer dann wiederum ihren Abnehmern, den sogenannten OEMs – also den Fahrzeugherstellern – verkaufen können.
Mit den Disruptions- und Innovations-Fabriken aus dem Silicon Valley verbindet diese OEMs hingegen eher eine Haßliebe. Zwar arbeitet man auf Feldern wie der Smartphone-Integration über Lösungen wie Apple CarPlay oder Android Auto durchaus zusammen. Doch die Vorstellungen gerade über die strategische Ausrichtung solcher Konzepte und die Nutzung der durch sie erhobenen Daten gehen aus den vorher geschilderten Gründen stark auseinander. Die Folge ist für Marktbeobachter klar zu erkennen: Das Innovationstempo der gemeinsamen Projekte und Lösungen ist eher gemächlich.
Hochgenaue digitale Karten sind das erste Ziel
Das sieht in Bereichen, die für die eigenen Strategien und Konzepte der Autohersteller bedeutsam sind, ganz anders aus. Da werden dann auch mal Milliarden investiert, wie etwa beim gemeinsamen Kauf des Digitalkartenanbieters HERE 2015 durch Audi, BMW und Mercedes. Denn hochpräzise Karten sind eine entscheidende Voraussetzung für teil- und hochautomatisiertes Fahren. Diesen wichtigen Baustein ihrer mittelfristig wichtigsten Zukunftsvision wollten sich die Autobauer nicht aus der Hand nehmen lassen. Und die Digitalisierung und Generierung hochauflösender Kartendaten läuft auf Hochtouren – HERE und seine Mitbewerber wie Tomtom geben sich größte Mühe, auch abseits gelegene Straßen in ganz Europa zu erfassen – und die so gewonnenen Daten in geeigneten Datenmodellen zur Verfügung zu stellen.
Industrieweit durchgesetzt hat sich dabei ein Schichtenmodell, dessen unterste Schicht die klassische Straßenkarte ist, und auf der dann weitere Informationsschichten wie Spuranzahl und -verlauf, Steigungswinkel und Kurvenradien, Randbebauung oder Beschilderung aufsetzen. Dynamische Daten wie Verkehrsauslastung oder Staumeldungen sind dann eine weitere solche Schicht. Über ihre Online-Verbindung beziehe bordeigene Systeme diese aktuellen Ergänzungs-Daten und reichern die lokal vorgehaltenen Kartendaten damit an. Übrigens sind es längst nicht mehr nur die Navigationssysteme, die auf diesen Bestand zugreifen. Schon heute bieten Hersteller von Oberklassefahrzeugen Systeme wie prädiktive Effizienzassistenten (also Spritspar-Helfer, die auf Basis ihrer Kenntnis der vorausliegenden Strecke Gang und Motorleistung steuern), GPS-gestützte Komfort-Federungssysteme und ähnliches mehr an. Sie alle beziehen permanent Informationen zu Streckeneigenschaften und Verkehrsgeschehen aus dem Netz.
Die Sensor-Cloud wird zum elektronische Horizont
Doch die Cloud kann noch mehr. So dient sie nach einem Konzept von Continental auch dazu, die Reichweite der Sensorsysteme moderner Autos deutlich zu erhöhen. Die Idee hinter dem „eHorizon“ oder elektronischen Horizont: Wenn möglichst viele Fahrzeuge die von ihren Sensoren erkannten Daten miteinander teilen, entsteht daraus eine „Sensor-Cloud“. Nachfolgende Fahrzeuge erfahren dann zum Beispiel, was ein mehrere Kilometer voraus fahrendes Auto zu Wetter, Straßenbeschaffenheit, Verkehrsbelastung oder variabler Beschilderung festgestellt hat. Auch wenn die Kameras, Radar- und Lidar-Sensoren anderer Fahrzeuge ihre Umgebung nicht immer perfekt erkennen, lassen sich Erkennungsfehler umso besser ausfiltern, je mehr Fahrzeuge an dem Verbund teilnehmen. Dennoch entscheiden sich auch hier die Autohersteller in der Regel dafür, die Sensor-Cloud über ihre eigenen Backend-Systeme zu realisieren – und als praktische Konsequenz nur das Zusammenspiel von Fahrzeugen ihrer eigenen Marke zu ermöglichen. Continental überlässt den OEMs die Wahl, hat aber auch schon Bereitschaft signalisiert, ein markenübergreifendes neutrales Backend in eigener Regie zu betreiben.
Manche Anwendungen brauchen übergreifende Plattformen
Diese herstellerübergreifende Kooperation wird immer wichtiger – und Beispiele wie HERE zeigen, dass die Autohersteller zumindest innerhalb ihrer eigenen Reihen dazu auch grundsätzlich bereit sind. So haben die drei neuen Besitzer des Kartendienstleisters, Audi, BMW und Mercedes angekündigt, noch im laufenden Jahr den Datenaustausch zwischen Fahrzeugen ihrer drei Marken über die gemeinsame Plattform HERE zu ermöglichen.
Erfolgskritisch wäre eine herstellerübergreifende Cloud etwa auch bei der vom Zulieferer ZF konzipierten Fußgängererkennung: Hier ist die Grundidee, dass Smartphones die Position von Fußgängern oder Radfahrern an eine zentrale Cloud melden. Von dort werden sie anonymisiert an Autofahrer weitergemeldet. Zweck der Übung: So können Systeme und Fahrer quasi „um die Ecke“ schauen und etwa kreuzende schwächere Verkehrsteilnehmer frühzeitig wahrnehmen und Rücksicht auf sie nehmen. Es liegt auf der Hand, dass dies clevere Idee nur dann maximalen Nutzen bringt, wenn alle Mobilfunknetze und alle Autohersteller diese Funktion über eine zentrale, gemeinsam betriebene Plattform umsetzen. Erste Sondierungsgespräche laufen – doch bis zu einer Einigung und dem Marktstart einer solchen Lösung dürften noch einige Jahre vergehen.
Verkehrsoptimierung funktioniert am besten, wenn die Cloud nicht zu schlagen ist
Vielleicht wird es auch die öffentliche Hand sein, die entsprechende Plattformen als neutraler Vermittler betreibt und bereitstellt. Gerade vom Autoverkehr überlastete Städte haben ein großes Interesse daran, durch intelligente Verkehrsführung die wachsenden Fahrzeugströme effizienter und umweltverträglicher über ihre Straßen zu leiten. So stellte etwa Volkswagen auf der CeBIT 2017 ein Konzept vor, bei dem Supercomputer für jedes einzelne Fahrzeug die bestmögliche Route und Fahrstrategie berechnen. So soll jedes Auto in der so gesteuerten Flotte sein individuelles Ziel so schnell, verbrauchs- und schadstoffarm wie möglich erreichen.
Ob die Fahrzeuge dann hochautomatisiert fahren oder vom Menschen manuell gesteuert werden, wäre in einem solchen Szenario sekundär – so lange sich möglichst alle Teilnehmer an die Empfehlungen aus der Cloud halten. Die Volkswagen-Forscher sind überzeugt, dass die Motivation dazu ganz von selbst kommen wird. Denn wer meint, er könne das cloud-optimierte Verkehrsgeschehen durch eigene Strategien austricksen, wird vermutlich schnell feststellen, dass er gegen die Verkehrsfluss-Optimierung aus der Cloud nur ins Hintertreffen geraten kann. Die Bereitschaft mitzumachen entsteht dann einfach aus Eigeninteresse – und das ist erfahrungsgemäß der stärkste Motivator.